Südafrika / Impfstrategie überdenken?

In Pretoria sind neben Älteren vor allem junge Kinder von Omikron betroffen

Stuttgart - 03.12.2021, 13:45 Uhr

Die Sicherheitsdaten für den Kinder-Impfstoff seien noch nicht ganz ausreichend, sagte STIKO-Mitglied Martin Terhardt im ZDF. Zum Risiko von Herzmuskelentzündungen sei noch nichts bekannt. Bis zur Klärung der Frage könne es Januar oder Februar werden. (s / Foto: lithiumphoto / AdobeStock)

Die Sicherheitsdaten für den Kinder-Impfstoff seien noch nicht ganz ausreichend, sagte STIKO-Mitglied Martin Terhardt im ZDF. Zum Risiko von Herzmuskelentzündungen sei noch nichts bekannt. Bis zur Klärung der Frage könne es Januar oder Februar werden. (s / Foto: lithiumphoto / AdobeStock)


Bislang geht die STIKO davon aus, dass Kinderimpfungen – zwischen fünf bis elf Jahren – kein Ausweg aus der Pandemie sind. Wichtiger ist es, die Impflücken bei den Erwachsenen zu schließen, und so die Kinder zu schützen. Doch was, wenn neue Corona-Varianten für Kinder gefährlicher sind als bislang? Erste Meldungen aus Südafrika zur neuen Omikron-Variante regen zum Nachdenken an.

Schon früh haben sich Wissenschaftler:innen Gedanken darüber gemacht, wie es mit der Corona-Pandemie in den nächsten Jahren weitergehen, oder wie sie im besten Fall enden könnte. So wagten beispielsweise Anfang des Jahres US-Forscher:innen der Emory Universität in Atlanta und der Staatlichen Universität Pennsylvania Voraussagen zur Entwicklung des SARS-CoV-2 Virus und stellten Vergleiche mit den vier weltweit endemisch zirkulierenden Coronavirus-Stämmen an. Natürlich waren dabei zahlreiche Unsicherheiten zu bedenken, ein Faktor bei ihren Überlegungen war aber auch die Rolle der Kinder. 

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Unter dem Strich, hieß es damals, dass – wenn SARS-CoV-2 eine niedrige Letalität bei Babys und Kleinkindern beibehält – COVID-19 sich mittelfristig innerhalb der nächsten Jahre bis Jahrzehnte zu einer eher harmlosen Erkältung entwickeln könnte – mit etwas ausgeprägteren Symptomen bei den Jüngeren und später bei den Wiederinfektionen eher harmlosen Symptomen bei allen älteren Infizierten. Dann würden irgendwann auch Impfungen nicht mehr unbedingt notwendig sein, schrieben die Forscher:innen. Zum Hintergrund erklärten sie, dass zu Beginn eines Virus-Ausbruchs die Altersstruktur der Fälle die der Populationen widerspiegele. Wenn aber ein Gleichgewichtszustand der Epidemie erreicht ist, sagte das Modell der Forscher:innen voraus, dass schließlich fast alle Ersterkrankungen bei Babys oder Kleinkindern erfolgen würden – langfristig auch bei COVID-19. Doch was, wenn eine neue Coronavirus-Variante mehr Gefahren für Kinder mit sich bringt?

Noch zu früh für fundierte wissenschaftliche Schlüsse

Wie die Deutsche Presse-Agentur am heutigen Freitag meldet, sind Kleinkinder laut südafrikanischen Wissenschaftler:innen vor der neuen Variante B.1.1.529 (Omikron) nicht gefeit. Omikron überrasche Wissenschaftler:innen in Südafrika durch eine zunehmende Infektion auch von jungen Kindern. „Es gibt eine Zunahme bei Krankenhauseinlieferungen von Kindern der Altersgruppe bis fünf Jahre“, sagte die Wissenschaftlerin Michelle Groome vom Nationalen Institut für übertragbare Krankheiten NICD am Freitag. Das unterscheide die in Südafrika beginnende vierte Infektionswelle von früheren derartigen Phasen. Es sei aber noch zu früh, aus den bisher vorhandenen Daten wissenschaftlich fundierte Schlüsse zu ziehen.

Anstieg bei den unter Fünfjährigen

Allein im Großraum um die Hauptstadt Pretoria (Tshwane-Metropole) habe es in den vergangenen zwei Wochen rund 100 Hospitalisierungen junger Kinder gegeben. Nach der Altersgruppe der über 60-Jährigen stellten junge Kinder dort nun die zweitgrößte Gruppe. „Wir haben einen Anstieg der Krankenhauseinlieferungen bei unter Fünfjährigen beobachtet“, bestätigte am heutigen Freitag auch Ramphelane Morewane vom südafrikanischen Gesundheitsministerium. Bei all diesen jungen Patient:innen seien die Eltern nicht geimpft gewesen, sagte die NICD-Medizinerin Waasila Jassat. Sie schloss nicht aus, dass Kleinkinder nun für das Virus empfänglicher seien als zuvor. Der Kap-Staat bereitet sich angesichts rasant steigender Fallzahlen auf die vierte Infektionswelle vor.

Laut Gesundheitsminister Joe Phaahla gibt es trotz zunehmender Behandlungen im Krankenhaus aber noch keine Engpässe in den Kliniken. Bisher seien die Fälle zu fast 80 Prozent im Großraum um die Metropole Johannesburg und die Hauptstadt Pretoria (Gauteng-Provinz) aufgetreten. Nun steige ihre Zahl langsam auch in den anderen Provinzen. Nach noch sehr frühen Erkenntnissen sei Omikron zwar extrem ansteckend, verursache aber bei geimpften Personen nur relativ milde Erkrankungen. In Südafrika zeigten fast 80 Prozent aller DNA-sequenzierten Corona-Testergebnisse eine Omikron-Infektion an, hatte die NICD am Vortag bekannt gegeben. Laut der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union (Africa CDC) wurden vergangene Woche in ganz Afrika 52.300 Neuinfektionen gezählt – 105 Prozent mehr als in der Vorwoche. Rund 31.000 Neuinfektionen entfielen auf Südafrika.

Impfkommission will rechtzeitig Empfehlung zu Kinder-Impfung abgeben

Vergangenen Donnerstag berichtete die Nachrichtenagentur dpa, dass die STIKO auf die in Deutschland um eine Woche vorgezogene Auslieferung des speziellen Corona-Impfstoffs für Kinder von fünf bis elf Jahren reagieren wolle. „Wenn irgend möglich“ solle bis zum 13. Dezember eine Empfehlung vorliegen, teilte der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens auf Anfrage mit. STIKO-Mitglied Martin Terhardt sagte am Mittwochabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“: „Wir werden sicherlich bis dahin eine Empfehlung haben.“ 

Es gibt schon länger Hinweise darauf, dass die STIKO die Impfung zunächst ausdrücklich nur für Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen und erkrankten Angehörigen ausdrücklich empfehlen könnte. Die Sächsische Impfkommission SIKO hat sich bereits entsprechend geäußert. Eine spätere Ausweitung auf alle Gruppen hatte es auch beim Impfen von 12- bis 17-Jährigen gegeben. Dies würde aber nicht bedeuten, dass die Impfung nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder der Sorgeberechtigten nicht möglich ist, hatte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin vergangene Woche nach der Zulassung des Mittels durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA betont. 

Die Sicherheitsdaten für den Kinder-Impfstoff seien noch nicht ganz ausreichend, sagte Terhardt im ZDF. Zum Risiko von Herzmuskelentzündungen sei noch nichts bekannt. Bis zur Klärung der Frage könne es Januar oder Februar werden, erwartet würden dazu Daten aus den USA, wo Kinder in dem Alter bereits in großer Zahl gegen COVID-19 geimpft werden. Sehr seltene Nebenwirkungen können mit einer Probandenzahl wie in der Zulassungsstudie nicht erfasst werden. Sollte Omikron für junge Kinder tatsächlich gefährlicher sein als die bisherigen Varianten, müsste die STIKO ihre Strategie wohl bald neu evaluieren. Zwischen Januar und März im neuen Jahr erwartet die EMA entsprechende Impfstoff-Zulassungsanträge für Kinder zwischen sechs Monaten und vier Jahren. 

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Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hat eine umfassende und schnelle Umsetzung der am gestrigen Donnerstag in Deutschland beschlossenen schärferen Corona-Maßnahmen angemahnt. Die neue Virusvariante Omikron sei in Deutschland angekommen, könne noch ansteckender sein als die Delta-Variante und auch bereits Geimpfte und bereits Genesene leichter infizieren, sagte Wieler am Freitag in Berlin. Omikron könnte nach seinen Worten in noch kürzerer Zeit zu noch mehr Fällen führen als die Delta-Variante. „Deshalb müssen alle gestern entschiedenen Maßnahmen auch flächendeckend umgesetzt werden, um Infektionen mit Delta und Omikron zu verhindern und um die Fallzahlen herunterzubringen.“ Wieler: „Wir haben keine Zeit zu verlieren, keinen einzigen Tag.“ Es gebe nun 926.000 nachgewiesene aktive Infektionsfälle bei einer geschätzten Untererfassung mit Faktor 2 bis 3. Etwas mehr als ein Prozent der gesamten Bevölkerung sei infiziert. Die Belastung der Kliniken werde unweigerlich zunehmen. „Nur wenn wir die Fallzahlen reduzieren, können wir die Krankenhäuser entlasten.“



Deutsche Apotheker Zeitung / dm
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