Trojanisches Pferd?

Viele offene Fragen bei der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel

Süsel - 10.08.2020, 13:00 Uhr

Die Einführung der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel ist ins Stocken geraten. Was steckt dahinter? (m / Foto: imago images / blickwinkel)

Die Einführung der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel ist ins Stocken geraten. Was steckt dahinter? 
(m / Foto: imago images / blickwinkel)


Komplexe politische Interessenlage

Doch eine zentrale Bewertung bietet auch Vorteile. Der international tätigen Industrie sind die nationalen Verfahren schon lange ein Dorn im Auge. Denn dafür müssen in jedem Land mühsam Unterlagen erstellt und nationale Besonderheiten beachtet werden. Eine gemeinsame Bewertung könnte den Aufwand verringern und verspricht in manchen Ländern zudem einen schnelleren Marktzugang. Vier maßgebliche deutsche Verbände der Pharmaindustrie haben schon in einem Positionspapier vom 4. Juli 2018 ihre Unterstützung für das europäische Verfahren bekundet, insbesondere mit Blick auf die Angleichung der Anforderungen, die Schaffung von Synergien und die Verbesserung des Zugangs der Patienten zu neuen Arzneimitteln. Allerdings bemängelte die Industrie, dass im Vorschlag der EU-Kommission konkrete methodische Vorgaben fehlen würden. Oberste Prämisse müsse sein, dass sich die Versorgungssituation der Patienten in Deutschland nicht verschlechtere.

Folgen für Patienten

Von der europäischen Bewertung würden vermutlich insbesondere Patienten in solchen Ländern profitieren, in denen Innovationen bisher eher langsam ankommen. Dort wäre der Nutzen von Innovationen deutlicher zu erkennen. Über die Auswirkungen auf Länder mit großen Institutionen für die Nutzenbewertung, wie Deutschland und Frankreich, lässt sich dagegen nur spekulieren. Denn es hinge von den Details künftiger Regularien ab, ob das zentrale Verfahren strenger oder milder als die derzeitigen nationalen Verfahren sein wird. Die Arbeit würde ohnehin bei den bestehenden Institutionen bleiben, die dann aber nach den gemeinsamen Regeln arbeiten müssten. Allgemein vorteilhaft könnte sich die Bewertung von Medizinprodukten auswirken, die im Vergleich zu Arzneimitteln bisher eher lückenhaft erscheint.

Viel komplexer sind dagegen die politischen Interessen. Der Gesundheitsökonom Professor Reinhard Busse von der TU Berlin konstatierte in einer Präsentation vom 4. Juni 2019 eine „unheilige Allianz“ zwischen ganz verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Länder mit ausgeprägten Strukturen für die Nutzenbewertung würden mit ihrer Methodik spezifisch auf ihre Bedürfnisse eingehen und diese erhalten wollen, während Länder wie Polen oder Bulgarien „nicht wollen, dass der Mehrwert neuer Technologien sichtbar wird, weil sie dann ihrer Bevölkerung diese nicht mehr vorenthalten können“. Daher setzen sich einige Länder im Europäischen Rat für eine Regelung mit Rücksicht auf nationale Besonderheiten ein, andere Länder fordern dagegen verbindliche europäische Bewertungen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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