Trojanisches Pferd?

Viele offene Fragen bei der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel

Süsel - 10.08.2020, 13:00 Uhr

Die Einführung der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel ist ins Stocken geraten. Was steckt dahinter? (m / Foto: imago images / blickwinkel)

Die Einführung der europäischen Nutzenbewertung für Arzneimittel ist ins Stocken geraten. Was steckt dahinter? 
(m / Foto: imago images / blickwinkel)


Eines der vielen Themen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist die Einführung einer europäischen Nutzenbewertung für neue Arzneimittel. Auch die EVP-Fraktion im EU-Parlament dringt auf ein europäisches Bewertungsverfahren. Der Vorschlag der EU-Kommission vom Januar 2018 ist jedoch ins Stocken geraten. Denn dabei treffen viele unterschiedliche Interessen der Mitgliedstaaten aufeinander.

Der Zugang neuer Arzneimittel zum deutschen GKV-Markt findet seit 2011 über ein zweistufiges Verfahren statt. Zunächst führt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine „frühe Nutzenbewertung“ durch, auf deren Grundlage der Gemeinsame Bundesausschuss über den Zusatznutzen gegenüber einer Vergleichstherapie entscheidet. In einigen anderen EU-Ländern gibt es ähnliche Verfahren. In der zweiten Stufe handeln der Arzneimittelhersteller und der GKV-Spitzenverband einen Erstattungspreis für die Zeit ab dem 13. Monat nach Markteinführung aus. In anderen EU-Ländern gibt es vielfach ganz andere Regeln zur Erstattungsfähigkeit und Preisbildung.

Vorschlag für einheitliche europäische Nutzenbewertung

Im Januar 2018 präsentierte die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf, gemäß dem der erste Teil zentral für die ganze EU organisiert werden soll. Dafür sollen „EU-HTA“ (europäische health technology assessments) erstellt werden. Dies soll auch für Medizinprodukte der höheren Risikoklassen gelten. Deutschland, Frankreich und Tschechien werteten dies als zu starke Einmischung in die national organisierten Gesundheitssysteme und reagierten darauf mit einer Subsidiaritätsrüge.

Der Vorschlag der Kommission wurde überarbeitet und dabei klargestellt, dass die nationalen Gesundheitssysteme weiterhin für die Erstattungsfähigkeit und für die Preisbildung zuständig bleiben sollen. Daraufhin schloss das EU-Parlament im Februar 2019 die erste Lesung dazu ab. Nun ist der Europäische Rat für die weitere Bearbeitung zuständig. Doch scheint sich dabei wenig zu bewegen und am 26. Juni 2020 titelte die „Ärzte Zeitung“ sogar „Europäische Nutzenbewertung auf Eis gelegt?“ In dem Beitrag wird ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums zitiert. Demnach werde die deutsche EU-Ratspräsidentschaft das Dossier „bestmöglich voranbringen“ und sich weiterhin für eine zügige Beratung einsetzen.

Wie weit sind Nutzenbewertung und Preisbildung trennbar?

Darum soll hier betrachtet werden, um was es bei dem Vorschlag geht und welche Interessen die Beteiligten verfolgen. Theoretisch erscheint die Trennung zwischen Nutzenbewertung und Preisbildung überzeugend. Doch praktisch kann es Wechselwirkungen geben. Die Auswahl des Vergleichsarzneimittels kann einen Preisanker setzen. Das Wissen um die Konsequenzen kann die Entscheidung über die Nutzenbewertung beeinflussen. Ob die Negierung des Zusatznutzens in einem System zum Ausschluss des Produktes vom Markt oder anderswo nur zu einem geringeren Preis führt, kann über Nuancen der Bewertung entscheiden. Bei einer zentralen Bewertung wäre das nicht mehr möglich. Fraglich wäre auch, wie mit Vergleichstherapien umzugehen ist, die nicht überall zugelassen sind. Derzeit kann dies zu unterschiedlichen Bewertungen führen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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