Hamburger Zyto-Skandal

VZA-Chef Peterseim sieht Zyto-Apotheker in der Opferrolle

Berlin - 23.12.2019, 07:00 Uhr

VZA-Chef Klaus Peterseim meint, dass die Vorwürfe im Hamburger Zyto-Skandal erneut zeigen, dass die selbstherstellenden Zyto-Apotheken systematisch benachteiligt werden. (c / Foto: VZA)

VZA-Chef Klaus Peterseim meint, dass die Vorwürfe im Hamburger Zyto-Skandal erneut zeigen, dass die selbstherstellenden Zyto-Apotheken systematisch benachteiligt werden. (c / Foto: VZA)


Erneut sind in der Branche der Zytostatika-herstellenden Apotheker schwerwiegende Vorwürfe bekannt geworden. Der Herstellbetrieb Zytoservice, Ärzte und Apotheker werden unter anderem wegen Bestechlichkeit beschuldigt. Weil dies nicht der erste negative Zwischenfall in der Versorgung krebskranker Patienten ist, werden nun vielerorts neue Strukturen in der Zyto-Versorgung gefordert. Selbst der Verband Zytostatika-herstellender Apotheker (VZA) fordert, dass es künftig ein Regionalprinzip in dem Bereich geben soll. Denn: Im derzeitigen Marktgefüge würden die selbstherstellenden Apotheken zum Opfer.

In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft eine ihrer größten Ermittlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität gestartet hat. Konkret wurden die Räume mehrerer Unternehmen, darunter der Herstellbetrieb Zytoservice, Arztpraxen, Apotheken und Privaträume von mehreren hundert Polizisten durchsucht. Der Vorwurf: Über ein kompliziertes Geflecht an Subunternehmen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sollen sich Zytoservice und die mutmaßlich beteiligten Apotheker die Rezepte der Onkologen gesichert und sie dafür finanziell und sachlich „belohnt“ haben. Immerhin: Laut Staatsanwaltschaft gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass die abgegebenen Arzneimittel minderer Qualität waren.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen drei Apotheker sowie neun Ärzte und zwei Pharma-Manager wegen Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen im besonders schweren Fall sowie bandenmäßigen Abrechnungsbetrugs. Den Beschuldigten drohen bis zu fünf Jahre Haft. Als möglicher Gesamtschaden werden von der Staatsanwaltschaft mindestens 8,6 Millionen Euro angegeben. Der Mutterkonzern von Zytoservice ist die alanta health group GmbH. Am vergangenen Freitag reagierte das Unternehmen erstmals auf die Vorwürfe und bezeichnete sie als gegenstandslos. „Wir werden uns dazu mit der Staatsanwaltschaft und den zuständigen Behörden austauschen. Wir sind überzeugt, dass wir die Vorwürfe in diesem Sinne vollständig ausräumen können“, sagte ein Unternehmenssprecher gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

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Nach dem Urteil gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. werden nun erneut die Rufe lauter nach größeren Veränderungen im Bereich der Zyto-Versorgung. Und auch der Verband der Zytostatika-herstellenden Apotheker (VZA) sieht Änderungsbedarf. Der VZA fordert in einer Mitteilung, „nur noch die ortsnahe pharmazeutische Versorgung und Betreuung von Krebspatienten zuzulassen“. Ein solches Regionalprinzip sei bei anderen pharmazeutisch anspruchsvollen Aufgaben wie der Klinik- und Heimversorgung bereits gesetzlich geregelt. „Für die hochkomplexe pharmazeutisch-onkologische Versorgung mit Sterilrezepturen ist es nur konsequent“, sagte VZA-Präsident Dr. Klaus Peterseim.

Gerade in der Zyto-Versorgung sei die „enge, kommunikative Zusammenarbeit zwischen dem behandelnden Arzt und der versorgenden Apotheke zwingend, so Peterseim. Daher schlägt der VZA vor: Das Apothekengesetz solle eine Kooperation nur noch erlauben, wenn die öffentliche Apotheke die Zubereitung in der Regel innerhalb von 90 Minuten ab Herstellungsbeauftragung durch den Arzt liefern kann. Und: Selbstherstellende Apotheken müssten gegenüber Apotheken, „die nur von Dritten beliefert werden“, ihrer fachlichen Kompetenz und besonderen Leistungsstärke entsprechend berücksichtigt werden, heißt es weiter. Durch eine solche Regelung ließen sich auch „Fehlsteuerungen und Systemmissbrauch“ vermeiden.

NDR: Pharmagold; VZA: Apotheker zahlen drauf

Laut Recherchen von NDR und „Zeit online“ könnte das mutmaßlich illegale Geschäftsmodell ein Problem für viele selbstherstellende Apotheken gewesen sein. Berichtet wurde von Apothekern, die quasi aus dem Markt gedrängt wurden, weil Zytoservice mit „seinen“ Apothekern die Versorgung mutmaßlich dominierte.

VZA-Chef Peterseim findet zudem, dass die Ermittlungen „kaum überraschend“ kämen. Denn: Dem Gesetzgeber seien „Abhängigkeitsverhältnisse in der Versorgungssteuerung zu Lasten der ortsnahen Zytostatikaversorgung bekannt“. Die Vorwürfe zeigten, dass Ärzte „quasi weisungsgebundene Angestellte etwa von Herstellungsbetrieben werden, weil die gebotene Trennung zwischen Verordner und Versorger nicht mehr garantiert sei“, so Peterseim. „Viele herstellende Apotheken vor Ort mussten erleben, ihren Versorgungsauftrag an genau solche Konstruktionen zu verlieren“, sagte der VZA-Chef.

VZA: Zyto-Versorgung ist teils defizitär

Doch damit noch nicht genug. Der VZA beschwert sich zudem über die Tätigkeiten der Krankenkassen. Mit Blick auf die inzwischen wieder abgeschafften Zyto-Verträge zwischen den Kassen und herstellenden Apotheken erklärt der VZA, dass „Eingriffe der Krankenkassen aus der Vergangenheit in die Versorgungsabläufe durch Ausschreibungen auf Apothekenebene neben zusätzlichen Schnittstellen zu Versorgungen von Patienten geführt, die sie nie selbst gewählt hätten“. Der VZA behauptet ferner, dass sich die Versorgung mit Krebsmedikamenten „im Gegensatz zu anderslautenden öffentlichen Darstellungen teilweise bereits defizitär“ entwickle. Im Gegensatz zu dieser Aussage hatten NDR und „Zeit online“ berichtet, dass Zyto-Rezepte in der Branche als „Pharmagold“ bezeichnet werden. Peterseim hält dagegen, dass es hochpreisige Wirkstoffe gebe, bei denen die Krankenkassenerstattung nachweislich unter den Einkaufspreisen der Apotheken liege.

Und so sieht der VZA-Chef die Zyto-Apotheker offenbar eher in der Opfer- als in der Täterrolle. Peterseim wörtlich: „Wir sind hochspezialisierte Apotheker, die sich ehrlich, redlich und fleißig Tag für Tag um ihre Patienten kümmern. Es wäre ein Verhängnis für die Versorgung schwerkranker Patienten, wenn immer mehr Zytostatika-herstellende Apotheken im Bermuda-Dreieck von korruptionsanfälligem Versorgungszentralismus, Überregulierung und Unterfinanzierung versinken würden.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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