DAZ aktuell

Wenn Apotheken der Strom fehlt

AG KatPharm kommentiert DAV-Checkliste und gibt eigene Empfehlungen

eda | In den letzten Wochen standen hierzulande großflächige oder regio­nal begrenzte Stromausfälle glücklicherweise nicht auf der Tagesordnung. Doch eine Prognose für die nächsten Monate gibt es auch nicht. In der AZ und DAZ war immer wieder über das Thema und die damit verbundenen Vorsorgemaßnahmen zu lesen. Kurz vor Heiligabend 2022 reagierte auch der Deutsche Apothekerverband (DAV) und veröffentlichte eine Checkliste. All diese Entwicklungen haben wir zum Anlass genommen, um mit den beiden Vorständen der Arbeits­gemeinschaft Notfall- und Kata­strophenpharmazie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Dr. Frederik Vongehr und Sven Seißelberg, zu sprechen, und gemeinsam ein paar Impulse zur Vorbereitung zusammenzutragen.
Foto: Floydine/AdobeStock

Während einer Notsituation wie einem Stromausfall sollten Kräfte und Kompetenzen gebündelt werden.

DAZ: Herr Seißelberg, wir bekommen von Leserinnen und Lesern immer wieder die Frage nach einer Checkliste analog der Pandemie-Checkliste der Arbeitsgruppe Notfall- und Katastrophenmedizin (AG KatPharm). Wann können wir damit rechnen?

Seißelberg: Wir haben uns entschieden, für das Thema Stromausfall keine separate Checkliste herauszugeben. Anders als bei der Pandemie gilt es hier sehr spezifisch auf einzelne Frage­stellungen der jeweiligen Apotheke einzugehen. Eine allgemeine Checkliste kann hier eine gefühlte Sicherheit vorgaukeln und das möchten wir nicht.

DAZ: Der DAV hat ja kurz vor Weihnachten eine Checkliste herausge­geben (Anmerkung: einfach Webcode J6KY7 in die Suchmaske auf DAZ.online eingeben und Sie gelangen direkt zur Checkliste). Was halten Sie von dieser Checkliste?

Vongehr: Grundsätzlich werden in der DAV-Checkliste gute Informationen zum Thema gegeben. Wie Herr Seißelberg aber schon angemerkt hat, sollte man eigenständig mit offenen Augen durch die eigene Apotheke gehen und genau prüfen, welche Prozesse Strom benötigen und ob man gegebenenfalls darauf verzichten kann. Eine vorgegebene Checkliste kann nie abschließend sein. Stellen Sie sich also lieber eine Frage zu viel als eine zu wenig.

Seißelberg: Was wir besonders schade finden und man hier leider aus Corona nicht gelernt hat ist, dass der DAV leider nicht im Vorfeld versucht hat alle Expertise zu dem Thema einzubinden. Zumindest auf uns als AG KatPharm ist der DAV nicht zugekommen.

DAZ: Lassen Sie uns nun zu ganz konkreten Fragen unserer Leserinnen und Leser kommen. Häufig wird die Frage nach einem Stromaggregat für die Apotheke gestellt, können Sie uns ein konkretes Modell empfehlen?

Seißelberg: Vor einigen Wochen haben wir in der AZ ja bereits ein paar wichtige Informationen gegeben. Da ein Stromaggregat dem Stromverbrauch in der Apotheke entsprechend dimensioniert sein muss, können wir keine ganz konkrete Empfehlung geben. Worauf man unbedingt achten muss, ist die Betriebsmöglichkeit von EDV-Geräten. Hierzu eignen sich sogenannte Inverter-Stromerzeuger, die einen besonders „sauberen“ Strom erzeugen.

Vongehr: Wenn man die Entscheidung für ein Notstromaggregat fasst, sollte man zwingend auch die Möglichkeit der Kraftstoffversorgung mitdenken. Diesel-Stromaggregate sind zwar etwas teurer, aber die Lagerung von Diesel ist einfacher zu bewerkstelligen. Denken Sie in diesem Kontext z. B. auch an das Botendienstfahrzeug, im Notfall steht der Tankinhalt auch für den Betrieb des Notstromaggregates zur Verfügung.

Seißelberg: Was auch wichtig ist: Testen Sie das Aggregat im Echtbetrieb. Es bringt nichts, das Gerät im Keller stehen zu haben und wenn dann der Strom ausfällt, erst mal zu schauen, wie es denn nun funktioniert.

Vongehr: Und als weiteren Impuls muss man die Frage stellen, ob denn zwingend eine Versorgung jeder Apotheke mit Notstrom notwendig und sinnvoll ist. In anderen Bereichen wird in den Szenarienplanungen auf eine Bündelung der Kompetenzen und Ressourcen gesetzt (sogenannte Kat-Leuchttürme). Vielleicht wäre so etwas für die Arzneimittelversorgung auch ein Ansatz?

DAZ: Sie sagen, man soll gegebenenfalls den Kraftstoff aus dem Botendienstfahrzeug nutzen, wie stelle ich dann den Botendienst sicher?

Vongehr: Auch dies ist ein Punkt auf der Vorbereitungsliste. Welche Prioritäten setze ich und hat die Versorgung der betriebswichtigen Prozesse mit Strom dann nicht vielleicht Vorrang vor dem Botendienst?

Seißelberg: … und gleichzeitig löst die Frage den nächsten Schritt der Vorbereitung aus. Kann ich mit Tankstellen in der Umgebung gegebenenfalls Vereinbarungen im Vorfeld treffen, dass die Fahrzeuge der Apotheke prioritär mit Kraftstoff versorgt werden, um die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen?

Foto: privat

Sven Seißelberg, Vorstand der AG KatPharm der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Er findet individuelle Vorsorge auf Notsituationen sinnvoller als allgemeine Ratschläge.

DAZ: Werden Apotheken denn als Kritische Infrastruktur nicht automatisch bevorzugt berücksichtigt?

Seißelberg: Grundsätzlich nein! Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Apotheken im Bereich der medizinischen Versorgung sind. Dieses Momentum muss aber zwingend verstetigt werden und dies kann nur gelingen, wenn man in einen regen Austausch mit den zuständigen Behörden und Organisationen tritt und gezielt einzelne Themen erörtert und aufzeigt was passiert, wenn z. B. die Botendienstfahrzeuge nicht mit Kraftstoff bevorzugt versorgt werden.

DAZ: Wir hören immer wieder, dass Kolleginnen und Kollegen sagen, wenn der Strom weg ist, mache ich meine Apotheke einfach zu, was halten Sie davon?

Seißelberg: Zunächst ist ja die Frage, ob Sie Ihre Apotheke überhaupt zu bekommen. Ganz häufig werden wir gefragt, wie die Automatiktüren ohne Strom funktionieren, hier der Tipp: Machen Sie sich im Vorfeld damit vertraut und legen Sie eine Handlungs­anweisung z. B. im Qualitätsmanagement-Handbuch der Apotheke dazu an.

Vongehr: Aber zurück zur eigentlichen Fragestellung. Letztendlich haben die Apotheken einen gesetzlichen Sicherstellungsauftrag und eine Apothekenschließung ist nur nach Genehmigung möglich. Treffen Sie daher lieber Vorbereitungen, um den Betrieb zu gewährleisten und zeigen Sie den Stellenwert der Apotheken im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz.

DAZ: Stellenwert im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz klingt ja sehr hochtrabend, was bedeutet das konkret?

Seißelberg: Im Rahmen diverser Überlegungen zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln wird immer wieder auf die Bevorratungspflicht nach § 15 Apothekenbetriebsordnung abgestellt und festgestellt, dass es ja für die erste Woche einer Katastrophe gar keiner zusätzlichen Kapazitäten benötige, da die Apotheken durch die vorgegebene Lagerhaltung ja die Versorgung sicherstellten. Überlegen Sie mal für Ihre Apotheke, inwieweit Sie diesen Auftrag erfüllen könnten, wenn morgen der Großhandel für eine Woche nicht kommt.

Vongehr: In diesem Kontext ist auch anzumerken, dass Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Apotheken von Bevorratungen abzuhalten, sicherlich nicht sonderlich zielführend sind. In der Mangelsituation muss genau geschaut werden, wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen gleich­mäßig und nach Prioritäten verteilt werden können. Wenig hilfreich ist hier ein unterschiedliches Vorgehen in den einzelnen Bundesländern.

DAZ: Lassen Sie uns wieder zurückkommen zu ganz konkreten Fragen, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort interessieren. Wir haben öfter die Frage bekommen, wer die ganzen Vorbereitungsmaßnahmen bezahlt?

Seißelberg: Im Großen und Ganzen ist es ganz einfach zu beantworten: der oder die Apothekeninhaber/in. Leider gibt es in keinem der Katastrophenschutzgesetze der Länder Regelungen, die eine Kostenbeteiligung anderer Stellen vorsehen. Wir bedauern dies außerordentlich, da sich die Länder hier einer wichtigen Aufgabe der Sicherstellung der Bevölkerung mit Arzneimitteln doch deutlich entziehen.

DAZ: Um noch etwas konkreter zu werden, wer zahlt die Vorbereitungen bei einer gepachteten Apotheke?

Vongehr:Die Frage zeigt wieder sehr schön, dass es im Rahmen der Notfallplanung und -vorsorge keine Standardantworten gibt. Auch hier hilft nur der individuelle Blick in den allfällig vorhandenen Pachtvertrag und das Gespräch mit dem/der Verpächter/in.

DAZ: Das Thema Kühlschrank taucht auch immer wieder in Fragen auf, welche Tipps geben Sie zum Thema Kühlschrank?

Seißelberg: Auch hier gilt es sich die Fragen zu stellen, was kann passieren und welche Ausweichmöglichkeiten habe ich? Zunächst kann ich für meinen Kühlschrank individuell ermitteln, wie schnell die Temperatur abfällt. Dazu in einem Notdienst einfach mal den Stecker ziehen und über die Temperaturkontrolle den Abfall der Temperatur beobachten. Weiterhin ist es hilfreich bei einem lokal begrenzten Stromausfall darüber nachzudenken, die kühlpflichtigen Arzneimittel in eine benachbarte Apotheke auszulagern. Auch hier gilt es jetzt schon Netzwerke zu knüpfen, denn wie immer gilt der alte Leitspruch: „In der Krise ist es wichtig, Köpfe und Kompetenzen zu kennen“.

Vongehr: Das Thema kühlpflichtige Arzneimittel ist im Szenario Stromausfall wirklich ein hervorgehobenes, denn alle Untersuchungen gehen davon aus, dass hier die meisten Versorgungsprobleme eintreten werden, daher sollte gerade hier eine Vorbereitung und Vernetzung, auch zwischen Krankenhausapotheken und öffent­lichen Apotheken zwingend stattfinden.

Foto: Ringfoto Korfhage

Dr. Frederik Vongehr, ebenfalls Vorstand AG KatPharm, betonte im Interview, wie wichtig eine gute Vorbereitung auf einen Stromausfall für Apotheken ist.

DAZ: Neben dem Thema Kühlschrank wird ganz häufig das Thema EDV und Kommunikation an uns herangetragen, was gilt es hierbei zu beachten?

Vongehr: Natürlich ist das Thema EDV in einem zunehmend digitalisierten Gesundheitsumfeld ein wirklich relevantes. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass es immer noch entsprechende Rückfallebenen gibt. Das E-Rezept z. B. kann durch das klassische Papierrezept kompensiert werden. Allerdings gilt es hierbei im Vorfeld zu klären, wie z. B. die Abrechnung im Nachgang erfolgen kann. Kann man in einer solchen Situation Rabattverträge vernachlässigen, wie schaue ich gegebenenfalls Preise für Privatverordnungen nach bzw. welche Möglichkeiten habe ich. Sie sehen wieder viele Fragen, die man sich im Vorfeld stellen muss, um dann Antworten zu erhalten und bestenfalls Lösungen für die Fragestellung zu finden. Wir empfehlen Ihnen daher, sich mit Ihren konkreten Fragen an die jeweiligen Adressaten zu wenden. Sie werden sicherlich häufig auf der anderen Seite Fragezeichen erleben, aber dadurch setzen Sie auch Gedankenprozesse auf der anderen Seite in Gang.

Seißelberg: Das kann ich nur unterstützen, denn was bringt es Ihnen, wenn Sie sich für die Kommunikation ein Satellitentelefon angeschafft haben, aber auf der anderen Seite der Leitung niemand ein solches hat? Dieses Beispiel macht deutlich, wie wichtig der Austausch der verschiedenen Player im System ist. Denken Sie z. B. ganz konkret an die Frage eines Notrufes, wenn das Telefon nicht mehr funktioniert. Kennen Sie die Regelung in Ihrer Gemeinde, wissen Sie wo die nächste Feuerwehr ist?

DAZ: Wir haben bisher rausgehört, dass Fragen zu stellen im Vorfeld das Beste ist, daher hier gleich die nächste Frage. Der Begriff Brownout, eine lokal begrenzte Stromabschaltung zur Netzstabilisierung, taucht immer öfter in den Diskussionen auf. Kann man dort nicht einfach Apotheken aussparen?

Seißelberg: Wenn man sich die Versorgungslandschaft einmal anschaut, ist dies nicht möglich. Hierzu müsste es ein eigenes Apothekenstromnetz geben. Die Realität ist aber, dass z. B. die Apotheke in einem Mehrfamilienhaus ganz normal in das Hausnetz eingebettet ist und man somit entweder nur alle vom Netz nehmen kann oder niemanden.

Vongehr: Man muss also als Apotheke immer damit rechnen, wenn ein Brown­out durchgeführt wird, dass die Apotheke immer mit betroffen sein wird. Soweit uns bekannt ist, gibt es für die Möglichkeit des Brownouts auch keine festgelegten Vorankündigungszeiten, auf die man sich verlassen kann.

DAZ: Herr Dr. Vongehr, Herr Seißelberg, Sie sind beide auch in verschiedenen Funktionen bei der Bundeswehr tätig, wir haben die Frage bekommen, ob in einem solchen Fall die Bundeswehr nicht einfach mit ihren Depots einspringen kann und die Versorgung übernehmen kann.

Vongehr: Der grundsätzliche Auftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung, hierfür wird die Bundeswehr ausgerüstet. Sofern es der eigentliche Auftrag zulässt, kann die Bundeswehr unter ganz engen Rahmenbedingungen auch zu Unterstützungsleistungen angefordert werden.

Seißelberg: Für diese Anforderungen gibt es standardisierte Anforderungswege die insbesondere Behörden im Rahmen der Amtshilfe offenstehen. Grundsätzlich kann aber nicht mit einer konkreten Unterstützung im Vorfeld geplant werden.

DAZ: Sie hatten vorhin schon einmal das Thema Kritische Infrastruktur angesprochen, warum ist auch nach Corona nicht final geklärt inwieweit Apotheken dazu zählen?

Seißelberg: Das ist ein komplexes Thema. Sicherlich muss man zunächst darauf verweisen, dass gemäß der Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI-Gesetz) in der aktuellen Version per Definition Apotheken nur als Kritische Infrastruktur gewertet werden, wenn in der Apotheke eine Abgabe von 4,65 Millionen Packungen Arzneimitteln im Jahr stattfinden.

Vongehr: Losgelöst von dieser utopischen Schwelle muss man berücksichtigen, dass zwar einerseits Fördermöglichkeiten zur Vorsorge infrage kommen, auf der anderen Seite aber auch erhöhte Verpflichtungen bestehen. Wir sind daher fest davon überzeugt, dass es dieser Definition per se nicht bedarf, da der gesetzliche Auftrag zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ja eindeutig ist.

DAZ: Herr Dr. Vongehr, Herr Seißelberg vielen Dank für Ihre Impulse. |

Kontakt AG KatPharm unter info@katastrophen-pharmazie.de

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