Arzneimittel und Therapie

SSRI in Schwangerschaft sicher

Kein erhöhtes Risiko kardialer Defekte beim Neugeborenen

Eine antidepressive Therapie Schwangerer mit selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) galt lange als relativ sicher. Neuere Studienergebnisse wiesen jedoch auf eine erhöhte Rate an kardialen Fehlbildungen bei Neugeborenen nach Anwendung von Paroxetin oder Sertralin im ersten Trimenon hin. Das tatsächliche Risiko kardialer Defekte beim Säugling durch die SSRI-Einnahme der Mutter wurde nun in einer groß angelegten Kohortenstudie abgeschätzt.

Jährlich leiden etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland unter einer depressiven Symptomatik. Etwa 17% der Bevölkerung erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Als Ursache gilt ein Monoamin-Mangel im ZNS, eine verminderte noradrenerge und serotonerge Neurotransmission. Zu den Psychopharmaka, die hauptsächlich gegen Depressionen eingesetzt werden, gehören Paroxetin und Sertralin. Sie blockieren die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt selektiv und verstärken somit die serotonerge Übertragung. Das Ausmaß der Blockade neuronaler Transporter bestimmt nicht nur die Effektivität der antidepressiven Therapie, sondern auch die Häufigkeit und Intensität unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Da andere Neurotransmittersysteme unbeeinflusst bleiben, sind vegetative oder kardiale Nebenwirkungen, wie sie für die klassischen Antidepressiva bekannt sind, weitaus weniger ausgeprägt. Zu den typischen unerwünschten Wirkungen von SSRI gehören Übelkeit und andere Störungen im Gastrointestinaltrakt, Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen. SSRI gelten somit als relativ nebenwirkungsarme und sichere Arzneistoffe und sind daher die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva.

Dennoch zeigten neuere Studien, dass die Einnahme von SSRI während der Schwangerschaft mit einer erhöhten Rate an Fehlbildungen, Fehlgeburten sowie pulmonaler Hypertonie beim Neugeborenen einhergeht [1].

Depressionen bei Schwangeren sind behandlungsbedürftig

Depressive Episoden während der Schwangerschaft sind durchaus nichts Ungewöhnliches, da die hormonelle Umstellung auch den Stoffwechsel von Neurotransmittern beeinflusst. Fast 10% der schwangeren Frauen entwickeln eine akute Depression. Paroxetin und Sertralin gelten hier als geeignete Optionen, wobei die Einnahme im ersten Trimenon vermutlich eine Erhöhung der Prävalenz fetaler Malformationen verursacht. Berichtet wurde vor allem über kardiale Defekte, wie rechtsventrikuläre Abflussbehinderungen nach Gabe von Paroxetin oder ventrikuläre Septumdefekte nach Anwendung von Sertralin. Trotz dieser Beobachtungen erscheint eine medikamentöse Behandlung bei schweren Verlaufsformen einer Schwangerschaftsdepression indiziert, da das Mortalitätsrisiko des Kindes, beispielsweise durch den Suizid der Mutter, erhöht ist und somit eine Abwägung beider Risiken unabdingbar ist. Die Unsicherheit über das tatsächliche teratogene Risiko einiger SSRI erschwert jedoch die Entscheidungsfindung einer optimalen Arzneimitteltherapie.

Um die vermutete Assoziation kardialer Defekte des Säuglings nach Einnahme von SSRI zu bestätigen, haben Mediziner der Division of Pharmacoepidemiology and Pharmacoeconomics der Brigham und der Harvard Medical School eine groß angelegte Kohortenstudie durchgeführt, deren Ergebnisse nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden [2]. Den Autoren lagen hierfür die Daten von 949.504 schwangeren Frauen vor, die im Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2007 drei Monate vor der letzten Menstruation, bis ein Monat nach Geburt des Kindes in der landesweiten Medicaid Analytik Extrakt Datenbank registriert wurden. Insgesamt 64.389 Frauen (6,8%) erhielten während des ersten Trimenons der Schwangerschaft ein Antidepressivum, wobei 46.144 (mehr als 70%) mit einem SSRI behandelt wurden. Kardiale Fehlbildungen wurden bei 90,1 von 10.000 Neugeborenen unter SSRI-Einnahme der Mutter diagnostiziert, gegenüber 72,3 von 10.000 Säuglingen ohne SSRI-Exposition. Nach Anpassung variabler Störfaktoren, wie Mehrfachschwangerschaften, soziodemografischen Faktoren oder der Anzahl chronischer Erkrankungen in den jeweiligen Kohortengruppen, wurde das relative Risiko eines kardialen Defekts des Neugeborenen bei Anwendung von SSRI auf 1,06 (95% KI, 0,93 bis 1,22) berechnet. Demnach wurde keine signifikante Assoziation einer erhöhten Prävalenz für rechtsventrikuläre Abflussbehinderungen oder ventrikuläre Septumdefekte bewiesen.

Bisherige Studien besaßen aufgrund ethischer Aspekte oftmals eine zu kleine Anzahl an Probandinnen, um eine gesicherte Aussage über das tatsächliche Risiko einer kardialen Malformation bei gleichzeitiger SSRI-Gabe tätigen zu können. Dieses Risiko wurde stets als relativ gering eingeschätzt und mit 5,5 Fällen einer rechtsventrikulären Ausflussstörung auf 10.000 Lebendgeburten angegeben [3]. Die jetzige Studie bestätigt das überaus geringe teratogene Risiko bezüglich kardialer Defekte, wobei die Ergebnisse aufgrund der Größe der Kohortenpopulation nun erstmals auch eine ausreichende statistische Absicherung zulassen. Die Aussage dieser Studie ist daher überaus bedeutsam für die zukünftige Einschätzung der Sicherheit einer antidepressiven Therapie schwangerer Frauen.

Quelle

[1] Louik C et al. First-trimester use of selective serotonin-reuptake inhibitors and the risk of birth defects. N Engl J Med, 2007;(26):2675–2683

[2] Huybrechts KF et al. Antidepressant use in pregnancy and the risk of cardiac defects. N Engl J Med, 2014;25:2397–2407

[3] Greene MF. Teratogenicity of SSRIs--serious concern or much ado about little? N Engl J Med 2007,356:2732–2733

Apotheker André Said

Das könnte Sie auch interessieren

Fehlbildungen waren unter Paroxetin und Fluoxetin häufiger

Unterschiedliches Missbildungsrisiko unter SSRI

Pharmakologischer Ansatz am serotonergen System

Depressionen mit SSRI behandeln

Welche Antidepressiva in der Frühschwangerschaft das Fehlbildungsrisiko erhöhen

Venlafaxin am auffälligsten

Interview mit Prof. Dr Christof Schäfer zum Einsatz von Antidepressiva in der Schwangerschaft

„Bewährte Therapien fortsetzen“

Brexanolon bei postpartaler Depression

FDA lässt erstes Antidepressivum für das Wochenbett zu

Studie zeigt verdoppeltes Risiko bei fetaler Exposition

Autismus durch Antidepressiva?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.