Arzneimittel und Therapie

„Bewährte Therapien fortsetzen“

Interview mit Prof. Dr Christof Schäfer zum Einsatz von Antidepressiva in der Schwangerschaft

jb | Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft ist ein sensibles Thema. Anwendungsempfehlungen basieren lediglich auf Erfahrungswerten, die Zulassungsinhaber halten sich in der Regel zurück und raten im Zweifelsfall von einer Anwendung der Präparate ab. Besonders schwierig wird es dann, wenn Patientinnen aber auf die Einnahme eines Medikamentes angewiesen sind und ein Absetzen ihre Gesundheit bzw. den Therapieerfolg gefährden würde, bei Patientinnen mit Depressionen ist das beispielsweise der Fall. Wir haben Prof. Dr. Christof Schaefer, den Leiter des Pharmakovigilanzzentrums Embryonaltoxikologie an der Charité-­Universitätsmedizin Berlin, zu der Thematik befragt.

Prof. Dr. Christof Schaefer

DAZ: Immer wieder wird diskutiert, ob die Anwendung von SSRI während der Frühschwangerschaft das Risiko für Fehlbildungen erhöhen kann. Daraus könnte der Impuls resultieren, im Falle einer Schwangerschaft, insbesondere einer ungeplanten, die antidepressive Medikation abzusetzen. Ist das ratsam?

Schaefer: Die SSRI Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin und Sertralin gehören zu den Arzneimitteln mit den umfangreichsten Erfahrungen in der Schwangerschaft. Die meisten Studien zu den SSRI haben keine erhöhte Gesamtfehlbildungsrate nachweisen können. An­dererseits wurde ein Zusammenhang zwischen speziellen Fehlbildungen und einer SSRI-Einnahme im 1. Trimenon beobachtet. So wurde in einigen Arbeiten ein gering erhöhtes Risiko von Paroxetin für Herzfehlbildungen diskutiert, vor allem Septumdefekte (siehe z. B. die von Ihnen erwähnte neue Arbeit von Reefhuis 2015). Am besten stehen bezüglich Sicherheit für das Kind die SSRI Sertralin und Citalopram da, daher sollten diese bei Neueinstellung bevorzugt werden. Das bei den anderen Antidepressiva diskutierte Risiko ist aber so gering, dass eine erforderliche Therapie nicht bei Vorliegen einer Schwangerschaft unkritisch abgesetzt werden sollte. Die Stabilität der Mutter geht vor. Es gibt eigentlich kein etabliertes, klassisches Psychopharmakon, bei dem ein erhebliches Fehlbildungsrisiko nachgewiesen wurde. Dies gilt auch für das eben nur „schwach teratogene“ Lithium.

DAZ: Gibt es Parameter, die bei anti­depressiv behandelten Schwangeren zusätzlich oder engmaschiger überwacht werden müssen?

Schaefer: Man kann bei Nachlassen der Wirksamkeit während der Schwangerschaft im Einzelfall den Serumspiegel bestimmen, um einen schwangerschaftsbedingten schnelleren Medikamentenabbau nachzuweisen und entsprechend die Dosis zu erhöhen. Im Vordergrund steht aber die klinische Verlaufskontrolle und der Hinweis einer Entbindung in einer Klinik mit Perinatalzentrum, damit das Neu­geborene bei stärkeren Anpassungsstörungen nach Geburt ggf. pädiatrisch adäquat versorgt wird.

DAZ: Zu welchem Vorgehen raten Sie Frauen mit Kinderwunsch, die mit Antidepressiva behandelt werden?

Schaefer: Bewährte Therapien fortsetzen, insbesondere wenn die Einstellung schwierig war. Bei eher seltenen, wenig erprobten Mitteln telefonische Kontaktaufnahme mit Embryotox, am besten zusammen mit der Psychiaterin oder dem Psychiater gemeinsam.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |

Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit

Seit 1988 bietet das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Universitätsmedizin Ärztinnen und Ärzten sowie anderen im Gesundheitswesen Engagierten unabhängige Informationen zur Verträglichkeit der wichtigsten Medikamente und zur Behandlung häufig vorkommender Krankheiten bei Müttern und werdenden Müttern in Schwangerschaft und Stillzeit. Die Angaben beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Daten und stimmen nicht immer mit den Informationen überein, die Sie in den Produktinformationen, auf dem Beipackzettel und in der Roten Liste finden. Die Datenbank umfasst derzeit über 400 Arzneistoffe. Die Informationen sind so aufbereitet, dass folgende Fragen beantwortet werden können

  • Darf das Medikament einer Schwangeren oder Stillenden verordnet werden?
  • Was ist zu tun, wenn die Schwangere oder Stillende das Medikament bereits eingenommen hat?

Da an Schwangeren keine randomisierten Studien durchgeführt werden, beruht das Wissen auf klinischen Erfahrungen. Schwangere sind daher aufgefordert, Einzelheiten zu ihren Schwangerschaften einschließlich der verwendeten Medikamente mitzuteilen. Dies ist telefonisch oder per Online-Fragebogen möglich. Mehr Informationen finden Sie unter www.embryotox.de.

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