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Allheilmittel Dezentralismus?

Eppendorfer Dialog hinterfragt Versorgungsstrukturgesetz

HAMBURG (tmb). Beim 11. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik am 18. April im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) stand das Anfang 2012 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) zur Diskussion. Die neuen Gestaltungsmöglichkeiten und die regionale Flexibilisierung werden übereinstimmend begrüßt, doch stellt sich die Frage, ob Dezentralismus tatsächlich als Allheilmittel wirken kann. Darum ging es beim Eppendorfer Dialog.
Foto Adriane Beck u. Partner GmbH, Hamburg
Referenten beim 11. eppendorfer Dialog (v. l.): Walter Plassmann,Dr. Rolf Koschorrek, Dr. Andreas Meusch, Prof. Dr. Matthias Augustin

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Rolf Koschorrek, der selbst wesentlich an dem Gesetz mitgewirkt hat, beschrieb das GKV-VStG als flexibles, dezentral orientiertes Rahmengesetz, das denjenigen Entscheidungskompetenz übertrage, die in den Regionen für die Gesundheitsversorgung verantwortlich sind. "Wir haben die Grenzen innerhalb des Gesundheitssystems aufgehoben. Nun müssen Fachkompetenzen zum Tragen kommen, und die Politik muss sich weitgehend raushalten" so Koschorrek. Nötig seien möglichst reibungslose Übergänge oder Vernetzungen an den Sektorengrenzen.

Deutlich zurückhaltender urteilte dagegen Walter Plassmann, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. Für ihn sei das Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung, aber es enthalte auch einige Fehleinschätzungen. Da Gesundheitsversorgung regional stattfinde, müsse auch die Gesundheitspolitik grundsätzlich regional organisiert sein. Plassmann begrüßte die neuen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Honorarfestlegung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und bei der Bedarfsplanung. "Mit dem neuen Gesetz und den Regelungen bei Unter- und Überversorgung kann der Bedarfsrahmen jetzt flexibel unter Berücksichtigung regionaler soziodemografischer Faktoren angepasst werden", so Plassmann. Doch es sei eine irreale Sichtweise, dass junge Ärzte sich aufgrund der neuen Anreize in strukturschwachen Regionen niederlassen würden. Vielmehr würden sich Ärzte immer dort niederlassen, wo sie für viele Patienten gut erreichbar sind, argumentierte Plassmann.

Für Dr. Andreas Meusch, Leiter der Landesvertretungen der Techniker Krankenkasse, erscheint die Vorstellung geradezu naiv, dass sich die regionale Versorgungsproblematik durch das GKV-VStG beeinflussen lasse. Das Gesetz werde bei Weitem nicht ausreichen. "Es ist ein kleines Pflästerchen auf eine klaffende Wunde", so Meusch. Außerdem würden Impulse zur Verzahnung der Leistungssektoren nicht ausreichen, um die hemmende Wirkung von administrativen Hürden zu neutralisieren. Daneben kritisierte Meusch die Intransparenz der Honorarverteilung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch auch Meusch sieht viele positive Elemente in dem neuen Gesetz, beispielsweise die Wahlfreiheiten für Versicherte durch erweiterte Kassenleistungen, die Aufhebung der Residenzpflicht für Ärzte und den Vorrang der Beratung vor Regressen bei Arztprüfungen.

Chancen für die Versorgung

Der Gastgeber des Eppendorfer Dialogs, der Dermatologe und Versorgungsforscher Prof. Dr. Matthias Augustin, lobte, dass im GKV-VStG wichtige Determinanten der Versorgung wie Demografie, Migration und Wirtschaftlichkeit zum Tragen kämen. Aus fachärztlicher Sicht begrüßte er die neue Möglichkeit zur Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Dies könne insbesondere in der Dermatologie in vielen Fällen eine effektive Therapiebegleitung ermöglichen. Auch in der Beteiligung der medizinischen Fachgesellschaften vor der Neubewertung von Behandlungsmethoden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) siehe Augustin eine große Chance für die Versorgung. Die Regel "Beratung vor Regress" sei sehr vorteilhaft für die Planungssicherheit, insbesondere bei hochpreisigen Arzneimittelinnovationen. Dagegen könne die neue ambulante spezialfachärztliche Versorgung noch nicht beurteilt werden. Dafür müsse zunächst die Ausgestaltung der Details durch den G-BA abgewartet werden.



DAZ 2012, Nr. 18, S. 36

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