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Seltene Erkrankungen – ein häufiges Problem

HAMBURG (tmb). Als seltene Erkrankungen gelten die etwa 7000 so genannten orphan diseases, von denen weniger als fünf von 10.000 Personen betroffen sind. Angesichts der Vielzahl dieser Erkrankungen ergibt das jedoch etwa vier Millionen Patienten in Deutschland. Um dieses häufige Problem der seltenen Erkrankungen ging es beim sechsten Eppendorfer Dialog am 8. Juli im Hamburger Uni-Klinikum.
Diskutierten beim Eppendorfer Dialog (v.l.n.r): Prof. Dr. Matthias Augustin, Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman, Dr. Anna-Maria Mattenklotz, Dr. Andreas Reimann, Dr. Rainer Hess.

Foto: tmb

Gemäß einer europäischen Studie erhält ein Viertel der Patienten mit seltenen Erkrankungen erst nach fünf bis 30 Jahren eine Diagnose, in 40 Prozent der Fälle ist die erste Diagnose falsch. Außerdem wird die Aufklärung als unzulänglich betrachtet. Patienten mit seltenen Erkrankungen können zu leicht durch das medizinische und soziale Netz rutschen, beklagte der Initiator der Veranstaltung, Prof. Dr. Matthias Augustin. Für Deutschland sieht er drei große Hürden: die Unterfinanzierung der biomedizinischen und klinischen Forschung, das Fehlen einer Versorgungsforschung für seltene Erkrankungen und die übertriebene Forderung nach Nutzenbelegen auf dem höchsten Evidenzniveau. Stattdessen sollte ein "best evidence"-Prinzip eingeführt werden, das eine angemessene Versorgung auch auf der Grundlage eines geringeren Evidenzgrades ermöglicht.

Wie viel Evidenz ist nötig?

Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Dr. Rainer Hess, stimmte der Forderung nach konsequenter Versorgungsforschung zu, sofern dafür definierte Grundlagen vorliegen. Hess forderte auch für seltene Krankheiten ausreichende Evidenz und die Möglichkeit Leistungen abzulehnen. "Es gibt immer eine Möglichkeit, Klarheit zu schaffen – auch bei sehr kleinen Patientenzahlen," so Hess.

Erfolgreiche Forschung zu seltenen Erkrankungen erfordert nach Einschätzung von Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman Patientenregister und Kompetenznetzwerke. "Vieles ist auf Einzelinitiativen zurückzuführen. Die Politik muss es möglich machen, dass wir längerfristig Kompetenz- und Referenzzentren haben", so die Forscherin. Doch gebe es in Deutschland nur 15 Netzwerke, die nur bis 2011 vom Bundesforschungsministerium gefördert würden. Dagegen erklärte Dr. Anna-Maria Mattenklotz als Referentin des Bundesgesundheitsministeriums, dass sich dieses Ministerium auch für die Behandlung seltener Erkrankungen engagiere. Der Patientenvertreter Dr. Andreas Reimann mahnte an, nicht die Patienten den Bedürfnissen des Systems anzupassen, sondern das System an den Bedürfnissen der Patienten zu orientieren. Daher sollten Patienten auch bei unsicherer Evidenzlage zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden, aber nur in Verbindung mit evidenzgenerierender Dokumentation, zeitlicher Befristung und Überprüfung des Erfolgs.

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