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Prävention: ein Ziel – viele Wege

HAMBURG (tmb). Prävention gilt bei praktisch allen Beteiligten des Gesundheitswesens als sinnvoll und erstrebenswert. Doch gibt es bisher kein Präventionsgesetz und keine klare Linie für die Umsetzung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, sondern nur isolierte Projekte für verschiedenste Maßnahmen. Der Grund für diese unbefriedigende Situation dürfte in den unterschiedlichen Vorstellungen von einer gelungenen Umsetzung der Prävention liegen. Dies wurde auch aus den Beiträgen der Teilnehmer beim Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik am 23. Juni in Hamburg deutlich.
Auditorium Über den richtigen Weg zur Prävention lässt sich streiten. ­Experten aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens taten dies beim 8. Eppendorfer Dialog.
Fotos: Adriane Beck & Partner GmbH

Der Eppendorfer Dialog ist als gesundheitspolitisches Diskussionsforum mittlerweile etabliert. "Kann Prävention das Gesundheitssystem retten?" war die Kernfrage bei der achten Veranstaltung in diesem Rahmen. "Die Präventionskultur unserer Vorfahren ist uns weitestgehend abhanden gekommen", konstatierte Gastgeber Prof. Dr. Matthias Augustin, Versorgungsforscher und Dermatologe an der Universität Hamburg, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivmedizin und Präventionsmanagement ist. In Europa würden sieben verhaltensbedingte Risikofaktoren 60 Prozent der gesamten Erkrankungen bedingen. Nur wenige Auslöser des Herzinfarktes seien durch Arzneimittel, die meisten aber über das Verhalten zu beeinflussen. Die hohe Lebenserwartung und die relativ geringen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben der Japaner seien dagegen durch tradiertes Verhalten und die Präventionsmaßnahmen der 1960er begründet. Für Deutschland beklagte Augustin dagegen die mangelnde Planung und Effizienz von Präventionsprogrammen, die fehlende Rechtsgrundlage und die Vernachlässigung der Risikogruppen. Daher forderte er, effektive Präventionsmaßnahmen schnell zur Regelleistung zu machen und diese wissenschaftlich zu begleiten.

Umverteilung der Mittel nötig

Die Fehlsteuerung und Fehlverteilung der Ausgaben prangerte auch Dr. Thomas Suermann, stellvertretender Vorsitzender des Präventionsausschusses der Bundesärztekammer, an. 62 Prozent der Gesundheit seien im Lebensstil begründet, aber die meisten Mittel würden in die kurative Behandlung fließen. "Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", meinte Suermann, "wir können nicht immer alles auf die Krankenkassen abwälzen". Daher forderte er kostenfreie Ganztagskindergärten mit Gesundheitserziehung und ein innerbetriebliches Gesundheitsmanagement. Der Einzelne müsse Vorsorgeprogramme aber auch besser annehmen, für die Motivation seien Politik, Medien und Ärzte gefragt.

Der wirtschaftliche Nutzen der Prävention könne nicht abschließend geklärt werden. Screenings und Impfungen kosten Geld, aber die erhöhte Arbeitsfähigkeit, geringere Lohnersatzleistungen für Kranke und auch die Arbeitsplätze im "zweiten" Gesundheitsmarkt wirken ökonomisch vorteilhaft. Daraus folgerte Suermann: "Letztlich muss die Gesellschaft entscheiden, ob und wie viel Mehrkosten sie für die Vermeidung von Krankheiten und die Verbesserung der Lebensqualität zu tragen bereit ist."

"Wir schonen die Alten zu Tode – wir müssen sie jagen."


Krafttrainer Werner Kieser über Krafttraining als Präventionsmaßnahme gegen altersbedingte Erkrankungen

Gruppenfoto Referenten beim Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik, von links: Gastgeber Prof. Dr. Matthias Augustin (Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf), Dr. Thomas Suermann (Bundesärztekammer), Dietrich Monstadt (MdB, CDU), Birgit Fischer (Barmer-GEK) und Werner Kieser (Kieser Training).

Einzelne und Gesellschaft gefragt

Nach Einschätzung des Krafttrainers Werner Kieser kann jeder Einzelne durch Krafttraining und gezielten Muskelaufbau viel erreichen, weil damit katabole Prozesse im Alter lange verzögert und die typische "Altersschwäche" vermieden werden könne. Doch die Organisationen im Gesundheitswesen seien nicht ernsthaft an Prävention interessiert. Analog zur Theorie des Soziologen Niklas Luhmann, nach der Bürokratien Mechanismen zu ihrer Selbsterhaltung entwickeln, würde das Gesundheitswesen letztlich von vielen Krankheiten profitieren.

Birgit Fischer, Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, räumte ein, dass die Finanzierung wegen der Ausrichtung an der Therapie statt an der Vorsorge einem falschen Verteilungsmodus folge. Doch sei es für Krankenkassen unwirtschaftlich in Vorsorge zu investieren, weil diese sich erst spät auszahlt. Stattdessen sieht Fischer ein breit angelegtes Bündnis für effiziente Vorsorgekonzepte gefragt. Dazu gehörten die Arbeitgeber und die breite Öffentlichkeit, ein Präventionsgesetz sei unabdingbar. Außerdem müssten Standards und Qualitätskriterien für Präventionsmaßnahmen geschaffen werden.

Auch Dietrich Monstadt, CDU, Mitglied im Bundestags-Gesundheitsausschuss, betrachtet die Prävention als politische Aufgabe. Doch statt zusätzliche Bürokratie aufzubauen, wolle die Regierung vorhandene Maßnahmen ausbauen und verknüpfen. Monstadt bat um Nachsicht für die bisherige Tatenlosigkeit der Politik bei diesem Thema und versprach, dass Prävention weiter zum Leistungskatalog der GKV gehören werde. Letztlich könne Prävention aber nur über finanzielle Anreize funktionieren.

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