Arzneimittel und Therapie

Glatirameracetat im Frühstadium wirksam

Die frühzeitige Gabe von Glatirameracetat (Copaxone®) kann die Konversion zur klinisch manifesten multiplen Sklerose verzögern. So das Ergebnis einer internationalen, multizentrischen Studie mit knapp 500 Patienten. Den Studienautoren und Kommentatoren zufolge zeigen diese Resultate, dass Glatirameracetat ähnlich wirksam ist wie Beta-Interferone.

Das klinisch isolierte demyelinisierende Syndrom (CIS) ist ein erster Hinweis auf eine multiple Sklerose (MS). Es handelt sich dabei um eine mindestens 24 Stunden anhaltende neurologische Attacke, die wahrscheinlich durch eine entzündliche Entmarkung in einem oder mehreren Bereichen im ZNS stattfindet. Das Auftreten eines klinisch isolierte demyelinisierenden Syndroms reicht nicht für die Diagnose einer multiplen Sklerose aus, die nach klassischer Definition erst mit dem zweiten Schub festgestellt werden kann. Da aber bereits bei der ersten Attacke irreversible Schäden auftreten, ist eine möglichst frühzeitige Intervention erforderlich. Von den MS-Therapeutika, die derzeit im Handel sind, sind bislang nur Beta-Interferone zum Einsatz in der Frühphase zugelassen. In einer internationalen Studie wurde nun die frühe Gabe von Glatirameracetat untersucht.

Die Precise-Studie

An der randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studie (Precise-Study = early glatiramer acetate treatment in delaying conversion to clinically definite multiple sclerosis in subjects presenting with a clinically isolated syndrome) nahmen 481 Patienten aus 16 Ländern teil, bei denen ein klinisch isoliertes Syndrom (CIS) mit unifokaler Manifestation und zwei oder mehr T2-Läsionen im MRT festgestellt worden waren. Die 243 Probanden der Verumgruppe erhielten während 36 Monaten täglich 20 mg Glatirameracetat subkutan, die 238 Teilnehmer der Vergleichsgruppe ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt war die Zeit bis zur Konversion in eine klinisch bestätigte multiple Sklerose, das heißt bis zum Auftreten eines zweiten Schubs. Die Diagnosen wurden anhand kernspintomographischer Aufnahmen gesichert, die bis zur Konversion bzw. bis zum Ende des Studienzeitraumes in dreimonatigen Abständen erstellt worden waren, danach jeweils halbjährlich.

Interims-Analyse

Nach drei Jahren hatten 230 Patienten (48%) den Endpunkt erreicht, 193 (40%) waren noch verblindet. 15% der Probanden der Verumgruppe und 9% der Placebogruppe waren vorzeitig ausgeschieden. Die geplante Intention-to-treat-Analyse führte zu folgenden Ergebnissen:

  • Unter der Glatiramergabe wurde das Risiko, definitiv an einer multiplen Sklerose zu erkranken, um 45% gesenkt (Hazard ratio 0,55; 95% Konfidenzintervall 0,40 bis 0,77; 
    p = 0,0005).
  • Durch die Glatiramergabe konnte die Zeit bis zur Konversion in eine klinisch diagnostizierte multiple Sklerose deutlich verlängert werden. So erreichten 25% der Patienten unter Glatirameracetat den Endpunkt bis zum Tag 722 nach Studieneintritt, unter Placebo hingegen war ein Viertel der Patienten bereits nach 336 Tagen definitiv an einer multiplen Sklerose erkrankt. Das bedeutet eine Verzögerung von 386 Tagen unter Glatirameracetat.
  • Die häufigsten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Einstichstelle, die bei 56% nach einer Gabe von Glatirameracetat und bei 24% nach der Placeboinjektion auftraten.

Symptome einer MS-Erstmanifestation

  • Sehstörungen (Optikusneuritits)
  • Sensibilitätsstörungen (Taubheit oder Kribbeln)
  • Koordinationsstörungen
  • belastungsabhängige Schwäche der Beine

Praxiskommentar

Was soll nun ein Neurologe seinem Patienten mit einem klinisch isolierten demyelinisierenden Syndrom raten? Durch diese Studie konnte gezeigt werden, dass nunmehr zwei Wirkstoffe – Beta-Interferone und Glatirameracetat – die Konversion in eine manifeste MS verzögern oder verhindern können und eine frühe immunmodulatorische Therapie die Langzeitprognose verbessern kann. Eine andere Möglichkeit ist das Wait-and-see-Vorgehen, da auch mehr als die Hälfte der mit einem Placebo behandelten Patienten in obiger Studie keine Konversion in eine klinisch manifeste multiple Sklerose erfahren hatte. Eine eindeutige Empfehlung kann daher dem Kommentator zufolge nicht ausgesprochen werden. Vor der frühzeitigen Gabe von Beta-Interferon oder Glatirameracetat sollten auf jeden Fall pro und contra mit dem Betroffenen ausführlich besprochen werden. Darüber hinaus sollte nach Prädiktoren gesucht werden, um diejenigen Patienten zu erfassen, die von der Therapie profitieren. Des Weiteren müssen neue immunmodulatorischen Wirkstoffe entwickelt werden, die den Krankheitsverlauf verzögern, verhindern und im Idealfall sogar rückgängig machen können.

Quelle Comi G., et al.: Effect of glatiramer acetate on conversion to clinically definite multiple sclerosis in patients with clinically isolated syndrome (precise study): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet (2009) 374, 1503-1511.

 

Miller D., et al.: Treatment of clinically isolated syndrome: to be precise. Lancet (2009) 374, 1475-1476.

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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