Feuilleton

Vom rußigen Alchemistengewölbe zur Chemoinformatik

Zum 600-jährigen Bestehen der Universität Leipzig hat die Fakultät für Chemie und Mineralogie eine Wanderausstellung des Carl-Bosch-Museums Heidelberg auf den Leipziger Campus geholt: Bis zum 27. Juni wird dort in einem mobilen Pavillon ein "historischer Streifzug durch das chemische Labor" geboten. Parallel dazu zeigt eine Posterausstellung im Chemieneubau die Geschichte der Leipziger Fakultät für Chemie.
"Chymische Hochzeit" in einem Manuskript des "Donum Dei", eines aus dem 15. Jahrhundert stammenden Werks über Alchemie. Die vier farbigen Gesichter am Rand der Flasche symbolisieren die klassischen Elemente Feuer (rot), Wasser (blau), Luft (grün), Erde (braun).

Nach dem "Glaubern" sei sein Appetit vom Glauben abgefallen, witzelte der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen in einer Kolumne des "stern". Obwohl es heute weniger drastische Laxanzien als Glaubersalz (Na2 SO4) gibt, ist seine Einnahme bei Heilfastenkuren heute noch ein obligatorisches Ritual. Es wurde nach dem aus Karlstadt stammenden Apotheker Johann Rudolph Glauber (1604 – 1670) benannt, der es 1625 in Wien erstmals dargestellt und als "Sal mirabile" (Wundersalz) bezeichnet hatte.

Chemie als Handwerk

Glauber gehörte somit nicht zu jenen Alchemisten seiner Zeit, die hofften oder sogar behaupteten, durch Transmutation "Gold machen" zu können, und nach Misserfolgen nicht selten am Galgen endeten. Ihm gelang erstmals die Darstellung konzentrierter Salzsäure (Acidum muriaticum). Er verbesserte die Herstellungsverfahren anderer Mineralsäuren sowie ihrer Salze, konstruierte für seine Zeit erstaunlich innovative (Destillier-) Öfen und produzierte Spezialitäten in großer Zahl und Menge. Grund genug, ihn als "ersten industriellen Chemiker der Geschichte" zu würdigen. Darüber hinaus veröffentlichte Glauber viel Fachliteratur.

Klassische Scheidekunst

Zu Glaubers Lebzeiten wurde in der Regel in rußgeschwärzten Kellergewölben mehr "probiert" als auf wissenschaftlicher Basis experimentiert. Die ältesten Bilddarstellungen über die praktische Chemie stammen aus dem 13. Jahrhundert. Sie belegen, dass es keine Gelehrten, sondern Handwerker waren, die versuchten, natürliche Stoffe zu verwandeln. Insbesondere im Hüttenwesen und in der Kräuterheilkunde wurden Verfahren erprobt, um wertvolle Metalle vom Gestein zu scheiden beziehungsweise aus Pflanzenteilen Arzneimittel zu bereiten.

Der Arzt Georg Agricola (1494 –1555) hat in "De Re Metallica" den Scheideprozess – die Trennung unedler von edlen Metallen – ausführlich beschrieben. Die meisten Verhüttungsschritte erfolgten in einfachen überdachten Arbeitsstätten. Edelmetalle wurden hingegen in schützenden Gewölben vom Erz geschieden. Weil hier Kostbarkeiten gewonnen wurden, waren die Wände und Decken dieser Werkstätten häufig kunstvoll bemalt.

Auch die Kräuterheilkunde gelangte im 16. Jahrhundert zur Blüte. Zahlreiche Kompendien – darunter das 1588 gedruckte "New Kreuterbuch" von Jakob Theodor Tabernaemontanus – beschränkten sich nicht auf die Abbildung und Beschreibung von Kräutern, sondern informierten auch ausführlich über deren Anbau, Ernte und pharmazeutische Aufbereitung, z. B. die Destillation offizineller Pflanzenteile auf Galeerenöfen.

Im ausgehenden Mittelalter polarisierten sich die Alchemisten: Die praktizierenden Adepten – darunter Ärzte, Apotheker, Juristen, Berg- und Hüttenleute – gewannen ihre Erkenntnisse durch Dokimasie, also praktisches Ausprobieren im Labor. Die spekulativen Alchemisten arbeiteten hingegen vor allem mit Pergament, Papier und Gänsekiel. Treffend stellte David Teniers (1610 – 1690) in einem Ölgemälde den Typus des "denkenden" Alchemisten dar: Umgeben von Büchern, Kugelfisch, Totenkopf, Schreibgerät, Stundenglas und Globus in seiner Studierstube lesend, kehrt er dem Labor buchstäblich den Rücken zu.

Französische Aristokraten als "Hobbychemiker"

Dank der Entwicklung moderner Untersuchungsgeräte und -methoden ab Mitte des 18. Jahrhunderts gelang es den Experimentatoren, falsche Hypothesen der "denkenden" Alchemisten zu überwinden: Anstatt auf gut Glück zu "probieren" wie in der Pionierzeit, führten sie zusehends gezielte Experimente durch, um allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu finden.

Hatte man im Altertum nur elf chemische Elemente (im heutigen Sinne) gekannt, so kamen im 18. Jahrhundert 17 neue hinzu. Damals machten sich insbesondere französische Aristokraten um die Entwicklung der Laborgeräte und chemischen Analysenverfahren verdient. Wohl die wichtigste Grundlage für die Bildung moderner chemischer Theorien war die Isolierung von Sauerstoff und Stickstoff aus der Luft.

Antoine Laurent de Lavoisier (1743 – 1794), ein Steuerpächter und – wie auch viele andere seiner adeligen Landsleute – ein ambitionierter "Hobbychemiker", wies durch quantitative Messungen nach, dass eine Materie, die verbrennt, Sauerstoff aufnimmt. Dies war die Umkehrung der zuvor herrschenden Theorie, dass die Materie bei der Verbrennung den Feuerstoff "Phlogiston" abgibt.

Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb der englische Privatgelehrte John Dalton (1766 – 1844) sein dreibändiges Werk "A New System of Chemical Philosophy" und begründete darin die moderne Atomtheorie. Der schwedische Forscher Jöns Jakob Berzelius (1778 – 1848) schuf etwa gleichzeitig die neue "Sprache" der Chemie, u. a. mit den Kürzeln für die chemischen Elemente.

Mit Kaliapparat und Bunsenbrenner

Was zu Glaubers Zeiten noch die Ausnahme gewesen war, entwickelte sich nun zur Hauptaufgabe der Chemie: die Synthese neuer Stoffe. Dabei gab es zwischen der jungen Naturwissenschaft und der aufblühenden chemischen Industrie intensive Wechselbeziehungen.

In der Zeit Justus Liebigs (1803 – 1873), der mit seinem Fünfkugelapparat (Kaliapparat) die chemische Elementaranalyse organischer Substanzen revolutionierte, etablierte sich die Chemie als akademische Disziplin. An den deutschen Hochschulen wurden nun eigenständige, d. h. von der Medizin unabhängige Institute für Chemie gegründet.

Das Lötrohr wurde verbessert, der Lampenofen "mutierte" zum Bunsenbrenner, und der "Reagierbecher" aus der Zeit Lavoisiers wich dem zylindrischen "Reagierglas", das als Reagenzglas noch heute zur Grundausstattung eines Labors gehört.

Laborromantik ade!

Durch den rasanten Fortschritt der instrumentellen Analytik in den letzten Jahrzehnten entstand das heutige Hightech-Labor. Hier ersetzt die Chemoinformatik jenseits aller Romantik die chemischen Reaktionen in vitro, die häufig von lautem Knallen und penetrantem Gestank begleitet waren.

Eigentlich schade – oder?

 

Reinhard Wylegalla

 

Universität Leipzig, Fakultät für Chemie und Mineralogie Johannisallee 29, 04103 Leipzig
Tel. (03 41) 9 73 63 96
Geöffnet: Dienstag bis Samstag 10 bis 16 Uhr, Donnerstag 10 bis 19 Uhr
Fotos: Wylegalla
Destillation mit Bunsenbrenner und Liebigkühler (19. Jh.).
Stufendestillation auf einem nach­gebauten Galeerenofen (16. Jh.).
Brennglas von Ehrenfried Walther v. Tschirnhaus, dem Mitentdecker der Rezeptur für das Meißener Porzellan (um 1700).

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