Aus der Hochschule

Wer vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht

Über Quantenphänomene in der Pharmazie

Der folgende Beitrag ist ein Vorabdruck aus „Der Schubladenzieher“, dem Satireblog auf www.bphd.de.

Thema der Podiumsdiskussion auf der 118. Bundesverbandstagung des BPhD in Tübingen war „Das Pharmaziestudium – eine Baustelle ohne Bauplan“. Es wurde u. a. die Frage diskutiert, ob denn das Pharmaziestudium wissenschaftlich sei und Apotheker als Pro­blemlöser oder als Erfüller tätig sind. Nun, werfen wir doch einmal einen Blick in den Studienalltag:

Studenten jeden Semesters stehen sich wochenlang im Labor die Beine in den Bauch, um theoretische Grundlagen, aus Überlieferungen vergangener Epochen der Chemie, in der Praxis zu erleben. Mit Methoden ähnlich der Experimentellen Archäologie sollen Studenten nachempfinden, wie sich einst Vorreiter der modernen Analytik wie Jean Servais Stas, Friedrich Julius Otto, ­Jakob Meisenheimer und Petrov Iodkammersky frustriert die Haare gerauft haben mussten (man beachte die häufig fehlende Kopfbehaarung dieser Persönlichkeiten).

„Ionen-Lotto“

Labor, Chemikalien, Analysen – das hört sich doch recht wissenschaftlich an. Nur leider empfinden Studenten die Analysenmethoden sowie die festgelegten Ergebnisse, die zu erfüllen sind, oft als willkürlich und beliebig – von Problemlösung keine Spur. Nicht umsonst kursiert für das Praktikum unter dem Schwerpunkt Anorganische Chemie der Spitzname „Ionen-Lotto“. Ein frustrierter Student aus dem achten Semester der Uni Würzburg beschreibt es folgendermaßen:

„Es ist, als würde man sich an ein ­Kuchenrezept halten. Eigentlich ganz einfach und irgendwie verlässt man sich auch darauf, weil es bei den früheren Semestern auch geklappt hat. Nur am Ende kommt bei mir trotzdem immer eine Suppe heraus.“

Praktikumsleiter schüren den Frust mit dem Verweis darauf, dass bereits Generationen von Pharmaziestudenten die Aufgaben erfolgreich gelöst haben und somit de facto der Beweis für das Funktionieren der theoretischen Analysenmodelle erbracht sei. Wenn ein Nachweis nicht funktioniere, liege das in der Regel immer an der Arbeitsweise der Studenten.

Doch der eigentliche Gedanke dahinter ist offenkundig. Abneigung gegenüber überflüssiger und frustrierender Handarbeit ist im Pharmaziestudium das probate Mittel, um in Studenten ein ­Interesse für die Errungenschaften der modernen Wissenschaft zu wecken. ­Ihnen soll eingeimpft werden, in welch toller Zeit wir leben und welche Möglichkeiten diese bietet. Alle Pharmaziestudenten kennen dieses unsägliche Gefühl, eigentlich alles richtig gemacht zu haben und dennoch an einer theoretisch simplen Aufgabe gescheitert zu sein; und das aus scheinbar unerfindlichen Gründen. Aber Gott sei Dank, klappt das im HPLC immer so gut! Ein Zustrom aus engagierten Nachwuchswissenschaftlern sei somit garantiert, so rechnen es sich die Verantwortlichen aus. Aber was für Nachwuchswissenschaftler werden hier ­herangezogen?

Nachweise erst nach mehrfacher Wiederholung

Quantenphysiker des Max-Planck-­Instituts sind nun auf die Situation aufmerksam geworden. Sie meinen, eine Erklärung für die Problematik der Studenten zu haben. Bereits jetzt spricht man in Fachkreisen vom pharmazeutischen Quantenphänomen (PQP).

In einer ersten Reihe von Versuchen bestätigten sich die Beobachtungen unzähliger Studenten, die scheinbar zu Unrecht B-, C- und D-Analysen kassiert haben. Denn manche methodisch identischen Experimente erfüllten das Postulat des Positivnachweises (Molekül X ergibt mit Analysenmethode Y einen farbigen Niederschlag Z) erst nach mehrfacher Wiederholung.

Zwar schwankte die Zahl der Wiederholungen je nach Element und Molekül, aber die Wissenschaftler sind sich sicher, dass jenes uneinheitliche Verhalten der Materie den klassischen ­Gesetzen der Physik widerspricht. So heißt es in einer Veröffentlichung:

Ein Beispiel: Wenn ein Nachweis auf Mangan der Lehrmeinung zufolge in ­einer Oxidationsschmelze durch Grünfärbung positiv ausfallen soll und dies in einer Positivprobe bei gleichbleibenden Bedingungen erst beim dritten oder vierten Versuch gelingt, dann kann man daraus nur zwei hypothetische Schlüsse ziehen:

1. Der zugrundeliegende Reaktions­mechanismus ist nicht korrekt.

Dagegen spricht jedoch, dass das Er­gebnis durchaus irgendwann gemäß den Erwartungen positiv ausfällt und – mehr oder weniger – reproduzierbar ist, auch wenn dabei etwas Geduld gefragt ist. Außerdem scheinen andere Reaktionen viel zuverlässiger zu laufen, wie bspw. die Niederschlagsreaktionen mit Silber-Ionen und Halogeniden.

2. Es handelt sich um ein noch un­bekanntes Quantenphänomen.

Demnach verhält sich Materie trotz de­finierter physikalisch-chemischer Eigenschaften auf quantenphysikalischer Ebene nicht immer identisch. Dass manche Elemente oder Moleküle auf sogenannten „Inseln der Stabilität“ liegen und sich dieses Phänomen auf ihre spezi­fische Elektronenkonfiguration begründet, ist längst bekannt. So ist zwar die Bedingung für das Auftreten in Ansätzen geklärt, eine Erklärung, warum und welche Konfigurationen bei Elementen bzw. Konstitutionen bei Molekülen besonders anfällig für das inkonsistente Reaktionsverhalten sind, ist derzeit aber noch unklar.

Die Tatsache, dass jene Praktika von Doktoranden, sprich aktiven Jungwissenschaftlern, betreut werden und niemand jemals bisher ein Muster in den Scharen reklamierender Studenten erkannt hat, spricht nicht für die Güte der wissenschaftlichen Ausbildung im Pharmaziestudium. Man hat im wahrsten Sinne des Wortes vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen. Aber ­warum? Eine Spurensuche:

Der kritische und suchende Blick eines Wissenschaftlers ist dem krampfhaften Bemühen gewichen, irgendein Soll erfüllen zu müssen. Dabei ist es so weit gekommen, dass über hundert Jahre alte Theorien unkritisch und wie in Stein gemeißelt hingenommen werden. Am Ende des Studiums ist der Pharmazeut vom wissenschaftlichen Denken entwöhnt und wiederholt Dinge so lange, bis sich die vorgegebene Erwartung erfüllt.

Was lernen wir (nicht) aus Experimenten?

Dieses pseudowissenschaftliche Verhalten kennt man sonst von der Esoterik, in der ein „Experiment“ nicht der Falsifizierung einer Hypothese dient. Stattdessen wird deren Richtigkeit schon im Vorfeld als unumstößlich angesehen. Klappt es denn mal nicht wie erwartet, werden so lange Erklärungen vorgeschoben (sei es die Mondphase, die Konstellation der Sterne oder das Karma), bis schließlich doch das gewünschte Ergebnis als „Beweis“ eintritt. Nur haben Pharmazeuten hier den „Nachteil“, sich nicht mit der Wünschelrute unbewusst selbst betrügen zu können. Denn chemische Reaktionen sind in ihrer Erscheinung rein objektiv zu betrachten. Fallen diese nicht wie erwartet aus, hat das eine Ursache. Mancher würde aber dazu sagen: „Das ist Chemie, und die funktioniert eben nicht immer.“ Dank der Quantenphysik wurde hier eine systembedingte Meisterleistung der Ignoranz entlarvt.

Nun stellt sich die Frage:

Was brauchen wir?

  • Fachpersonal, das ohne Einwände das erfüllt, was man von ihm verlangt?
  • Oder sowohl wissenschaftlich als auch kritisch agierende Apotheker, die sich nicht aufgrund genannter Praxis-Erfahrungen in Floskeln flüchten, sondern der (Ur-)Sache auf den Grund ­gehen? |

Christian Lutsch, Pressekoordinator, BPhD

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