Wirtschaft

DAX am Scheideweg

Börsen in Wartestellung vor dem "Stresstest" – DAX testet die 5000er Marke

(hps). Die Hausse nährt die Hausse – eine Liquiditätsschwemme und charttechnische Erwägungen ließen die Anleger alle Vorsicht über Bord werfen. Während die Fundamentaldaten nach wie vor ein düsteres Bild der konjunkturellen Lage malen, lesen die Optimisten nur das Positive aus jedem Zahlenwerk. Von schlechten Unternehmenszahlen bis zur US-Arbeitslosenstatistik – ein durchgängiges Verhaltensmuster. Jetzt glauben die Bullen, sie hätten das Perpetuum mobile erfunden.

DAX: Die aktuelle Marktlage

Die Kurse steigen – weil sie steigen. Schlechte Unternehmensergebnisse werden am Markt zelebriert, weil die Mehrheit der Analysten mit noch Schlechterem gerechnet hatten. Die Schweinegrippe haben die Anleger relativ rasch abgehakt und das Ergebnis des Banken-"Stresstests" der amerikanischen Notenbanken war im Vorfeld bereits durchgesickert. Keine Katastrophen bei den US-Großbanken – wer hätte auch anderes erwartet. Wirklich übel genommen wurde einzig das schlechte Abschneiden von Adidas, und selbst hier finden sich zwischenzeitlich wieder Käufer. "Sell in may and go away", die historisch begründete, alte Börsenregel, scheint diesmal nicht zu gelten. Die Marktteilnehmer blenden schlechte Daten aus und hoffen stattdessen auf eine Nachzüglerrallye. Die meisten Akteure sind inzwischen der Überzeugung, dass es sich bei dem jüngsten Kursanstieg um einen echten und nachhaltigen Bullenmarkt handelt. Bislang war die Mehrheit von einer Bärenmarktrallye ausgegangen.

Kommende Woche aus Analystensicht

Die Analysten der Landesbank Berlin und der NordLB gehören mit ihrer negativen Markteinschätzung eher zur scheinbar aussterbenden Rasse der Börsenbären. Beide weisen darauf hin, dass für nachhaltig steigende Kurse die fundamentale Basis fehle. Die klar überwiegende Mehrheit der Strategen befindet sich im Lager der Optimisten. Sie setzen kurzfristig auch weiterhin auf die gute Stimmung am Parkett. Lediglich auf mittlere Sicht scheiden sich die Geister. So schätzt beispielsweise die Weberbank die konjunkturellen Risiken unverändert hoch ein und glaubt an einen erneuten Test der alten Tiefstände im Anschluss an den jüngsten Kursaufschwung. Investmentfonds wie Pioneer Investments argumentieren dagegen mit der von vielen Anlegern verpassten Einstiegschance und den offenbar immer noch hohen Cashpositionen institutioneller und privater Anleger, denen es an Anlagealternativen mangle. Den überzeugten Optimisten erscheinen 5300 DAX-Punkte durchaus erreichbar.

US-Stresstest: Härtefall für die Mülltonne

Die Wirtschaftswende – begründete Hoffnung oder Hirngespinst? Wie die Faktenlage tatsächlich aussieht, ist derzeit schwer durchschaubar. Tatsache ist, dass weder Politik noch Notenbanken ein Interesse daran haben können, ihre Lageberichte ständig in Moll vorzutragen. Die Gefahr ist hoch, dass hier unter der Rubrik "Öffentlichkeitsarbeit" Bilanzkosmetik betrieben wird. Letztlich stellt sich bei einer Beurteilung ja immer die Frage, welche Parameter der Bewertung zugrunde gelegt werden. Beispiel "Stresstest". Die 19 größten US-Banken mit mindestens 100 Milliarden Dollar Bilanzsumme wurden auf ihre Krisentauglichkeit hin geprüft. Die Ausgangsfrage lautete: Was würde mit den Instituten passieren, wenn sich die Krise weiter verschärft?

Finanzminister Geithner und Notenbankchef Bernanke legten bei Auflage des Tests zwei Szenarien zugrunde. Das erste Szenario ist die optimistische Variante: Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2009 um 2 Prozent und eine Arbeitslosenquote von 8,4 Prozent. Die zweite Variante sollte das "Horrorszenario" darstellen: Ein Rückgang im BIP um 3,3 Prozent und eine Arbeitslosenrate von 10,3%. Zahlen, Größenordnungen, die heute bereits Makulatur sind. Das US-BIP ist im ersten Quartal im Vorjahresvergleich um 6 Prozent eingebrochen und die Arbeitslosenquote liegt bereits bei knapp 9 Prozent.

Schon vor Veröffentlichung der Daten lobte Geithner: Alles im Lot, kein Institut sei insolvenzgefährdet. Nur die Bank of America brauche mal eben noch kurz 34 Milliarden Dollar vom Staat. Merke: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!

Musterdepot und Strategie

Noch ein Put auf einen völlig überzogenen Wert: Der BMW -Schein der Citigroup (CG89ZX) setzt auf eine Basis von 28 Euro (aktuell 29 Euro) mit der Laufzeit Juni 2009. Die Basis ist damit nah am aktuellen Kursgeschehen und die Aufwärtsbewegung insgesamt schon zu lange gelaufen.

DAX am 7. Mai (13.00 h): 4960 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Alles wurde schlechter, aber nicht so schlecht wie erwartet. In den USA brachen die Unternehmensergebnisse im Schnitt um 34 Prozent ein – man hatte aber mit 36 Prozent gerechnet. Zwar dürfte es im April nach einer ersten Schätzung rund 500.000 mehr Arbeitslose in den USA gegeben haben, erwartet wurden indes 640.000 Jobverluste. Wenn Erwartungen niedrig angesetzt werden, sind sie auch leichter zu schlagen. Die meisten Marktteilnehmer folgern daraus: Die Rezession geht dem Ende zu, weswegen man sich bereits jetzt mit Aktien eindeckt. Den Rest besorgt dann die Markttechnik: Diejenigen, die auf weiter fallende Kurse gesetzt hatten, mussten sich eindecken, der Rest lief dem fahrenden Zug hinterher. Und wenn man schon mal in der Nähe ist, schaut man auch noch kurz bei der 5000er Marke im DAX vorbei.

Damit dürfte gleichzeitig der Punkt erreicht sein, an dem sich aber auch die Erwartungshaltung der Marktteilnehmer dreht. Aktien sind nicht mehr länger "billig". Was bisher gar nicht so schlimm war, könnte von den Profis bald als bereits erwartet, eingepreist und nicht gut genug bewertet werden. Fundamental dürfte die "Wende" in Wirklichkeit eine Erholungsphase der Wirtschaft in der Rezession sein, denn maßgeblich für den globalen Handel bleibt nach wie vor das Konsumverhalten der Amerikaner, zumal China gar nicht die Absicht hat, über breit angelegte Importe die Weltwirtschaft anzukurbeln. Alle hoffen seit jeher auf "Joe Sixpack", den amerikanischen Otto Normalverbraucher. Ob mit Barem oder auf Pump – Hauptsache, Joe Sixpack bleibt in Kauflaune.

Die Profis meinen nun, die ersten Knospen des Konjunkturfrühlings erkannt zu haben, weil in China und Japan die Einkaufsmanagerindices leicht gestiegen sind. Hier scheinen in der Tat die staatlichen Hilfspakete langsam ihre Wirkung zu entfalten. Doch die sind eindeutig auf die Infrastruktur gerichtet und zielen alle auf heimische Unternehmen ab. In Asien und den USA werden ein paar baufällige Brücken und Schulen saniert, in Deutschland mit Abwrackprämien und Kurzarbeit das letztlich Unvermeidbare noch etwas auf die lange Bank geschoben. Doch wenn die dafür vorgesehenen Gelder zur Neige gehen, wird Joe Sixpack immer noch um Arbeitslosenunterstützung anstehen. Wenn dann in den USA die Nachfrage nicht anspringt, werden auch die Unternehmen ihre Lagerbestände wieder reduzieren. Die Auslastung der US-Gütertransporte spricht da eine deutliche Sprache: 25 Prozent Einbruch im ersten Quartal und sogar 50 Prozent Rückgang zu Beginn des zweiten Quartals bei der Beförderung von Rohstoffen.

Wenn irgendwo ein Licht das Dunkel dieser Wirtschaftsmisere erhellen sollte, dann muss es im Westen, in den USA angeknipst werden. Dort sitzt der Konsument, der gerade das Sparen lernt – der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. Sobald aber ernsthafte Zweifel an der "Wendetheorie" aufkommen, werden die alten Tiefstände im DAX schnell wieder zur Disposition stehen.

Peter Spermann

Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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