Wirtschaft

Der DAX knickt ein

Optimisten von Kursrückgang überrascht – Deutsche Bank skeptisch

(hps). Die Bäume wachsen auch an der Börse nicht in den Himmel, auch wenn dies den Regierungen und Notenbanken in den USA und Europa sehr entgegengekommen wäre. "Vertrauen schaffen um jeden Preis", das schien die Devise der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft. Ein gefährlicher Pfad. Insbesondere dann, wenn man – wie die US-Notenbank – mit manipulierten Zahlen wirbt.

DAX: Die aktuelle Marktlage

Der Beginn eines neuen Bullenmarktes wurde bereits überall ausgerufen. Die Börsianer waren angetan von der Widerstandsfähigkeit des Marktes, von der Fähigkeit, schlechte Nachrichten einfach wegzustecken. Die Hausse nährte die Hausse. Die Garanten für weiter steigende Kurse vermutete man unter den vielen unterinvestierten Großanlegern, die täglich mehr unter Zugzwang zu geraten schienen. Überzeugungstäter dürften dabei allerdings kaum am Werk gewesen sein, das konnte man schon an den niedrigen Börsenumsätzen ablesen.

Zwischen Freude und Eierkuchen platzte dann letzten Mittwoch eine Studie der Deutschen Bank hinein. Die Analysten attestierten dem DAX überraschend ein Abwärtspotenzial von rund 1000 Punkten. Aber es waren nicht nur die Analysten des größten deutschen Geldinstituts, die da als Spaßbremsen fungierten. Handfestes kam auch aus den USA: Im April waren die US-Einzelhandelsumsätze um 0,4 Prozent gesunken – nachdem sie im März bereits schon 1,2 Prozent gefallen waren, die Anzahl der Zwangsversteigerungen stieg im April gegenüber Vorjahr um ein Drittel und die Arbeitslosenrate wurde offiziell mit 8,9 Prozent bekanntgegeben. Plötzlich legte sich über die "Rallye der grünen Triebe" der Frost.

Kommende Woche aus der Sicht der Analysten

Das Schlimmste liegt hinter uns, 2009 wird ein gutes Jahr für Aktien – solche Kommentare wie vom Goldman Sachs‘ Chefvolkswirt O‘Neill werden von den Optimisten gern gehört und repräsentieren die immer noch herrschende Meinung am Parkett. So stellt auch die Commerzbank die Börse als "Jahrmarkt der verpassten Gelegenheiten" dar und vermutet hinter dem jüngsten Kursaufschwung eine nachhaltige Kursrallye. Die technischen Analysten der Credit Suisse und von Lang&Schwarz sehen die Oberkante des kurzfristig Machbaren sogar bei 5300 DAX-Punkten.

Nicht ganz so euphorisch einige Institute, denen offensichtlich die Luft nach dem jüngsten Kursanstieg zu dünn geworden ist. Die Baader Privatbank taxiert den DAX zwar bis Jahresende auf 6000 Punkte, sieht auf kurze Sicht den Index aber bis auf 4100 Punkte zurückfallen. Das sei dann aber auch schon das Äußerste, weil ein weiterer Rückgang "politisch nicht gewollt sei" und auch weil die staatlichen Hilfsprogramme unterstützend wirkten. Konkret empfiehlt die Baader Bank ihren Kunden die Aufstockung des Aktienanteils auf 40 Prozent mit Schwerpunkt auf Zyklikern wie ThyssenKrupp, Siemens oder Daimler.

Und noch ein Bär ist umgefallen: Die M.M. Warburg Bank gehörte mit einer Vorgabe von 3300 DAX-Punkten ursprünglich zu den schlimmsten Pessimisten. Jetzt sehen die Hamburger den Index bereits so gut wie sicher über der 5000er Marke.

Von alledem wollen die Strategen der Weberbank nichts wissen. Standhaft – und klar in der Minderheit – halten sie an der "Bärenmarkt-Theorie" fest und erwarten neue Tiefstände beim DAX. Sie verweisen dabei auf die schlechten Fundamentaldaten und auf die Bilanztrickserien der US-Banken. Fazit der Weberbank: Der Bärenmarkt liegt in den letzten Zügen. Auch eine Deutsche-Bank-Studie betrachtet mit Argwohn die Ermüdungserscheinungen angesichts der 5000er Hürde beim DAX. Die Analysten erwarten jetzt einen Rückschlag bis auf 4000 Punkte. Die aktuellen Gewinnerwartungen an die 30 DAX-Konzerne seien um 30 Prozent zu hoch angesetzt. "Historisch gesehen sind die Aktien damit alles andere als günstig", so das Urteil der Deutschen Bank.

Musterdepot und Strategie

Der BMW -Schein ist gut gelaufen und verabschiedet sich aus dem Depot mit 200% Plus. Der M.A.N. Put – auch noch ganz manierlich – wurde mit 47% im Plus glatt gestellt. Bei dem bestehenden Metro -Put mit Juni-Fälligkeit geht es nur noch um die Rückeroberung des Einstandspreises. Für die Scheine mit Mai-Fälligkeit kam die Kurskorrektur der Börsen wenige Tage zu spät. Sie sind verfallen und werden ausgebucht. Übertrieben hoch werden derzeit RWE bewertet. Konkurrent E.ON hat bereits schwächere Zahlen signalisiert, die Krise macht eben auch nicht vor den Versorgern Halt. Zudem dürften die Ölpreise bald wieder rückläufig sein und den Versorgerwerten schaden. Bei RWE dürften bald Gewinnmitnahmen einsetzen. Der Put-Schein der ABN AMRO auf RWE hat eine relativ kurze Laufzeit bis Juni und eine Basis von 57 Euro (aktuell: 58 Euro). WKN: AA1AE0.

Der DAX am 14. Mai (13.40 h): 4688 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Vertrauensbildung und steigende Kurse auf der Grundlage manipulierter Daten. So lässt sich die Reaktion auf den "Stresstest" zusammenfassen. Der von der US-Notenbank (FED) errechnete Kapitalbedarf erschien den Bankern zu hoch. "Zornig" seien die Herren im feinen Zwirn gewesen. Daraufhin haben die Beteiligten das zur Veröffentlichung anstehende Zahlenwerk neu verhandelt. Besonderes Verhandlungsgeschick darf man dabei der Citigroup unterstellen. Ihr Kapitalbedarf wurde von ursprünglich 35 Milliarden auf 5,5 Milliarden heruntergerechnet. Und FED-Chef Bernanke findet dabei auch nichts Anstößiges. Solange dies der Vertrauensbildung an den Finanzmärkten diente, sei das in Ordnung. Na dann! Selbstbetrug im Dienste des liquiditätsgetriebenen Marktes. Nennen wir das Kind doch beim Namen: Fundamental gibt es praktisch keine Hinweise auf eine wirtschaftliche Trendwende – im besten Fall auf einen verlangsamten Abschwung. Der Kursaufschwung hat vielmehr eine gewisse Eigendynamik entwickelt, nachdem große Geldsammelstellen wie Versicherungen unter Anlagedruck gekommen waren und bedingungslos nachgekauft hatten. Entsprechend trug auch die Argumentationsweise, mit deren Hilfe man versuchte, den Kursanstieg zu begründen, schon tragikkomische Züge. Da feierte man den verlangsamten Jobabbau in den USA. Dabei wäre es doch durchaus erwähnenswert, dass im gesamten produzierenden Gewerbe – unter Beibehaltung des Entlassungstempos vom April – bereits in sechs Jahren der letzte Mitarbeiter entlassen wäre. Da die Fundamentaldaten derzeit wenig Erfreuliches hergeben, orientieren sich die Profis lieber an charttechnischen Marken. Auf der Suche nach möglichen Unterstützungslinien verlässt sich dabei die überwiegende Mehrheit auf die 4150er Marke im DAX. Damit sind wir beim Thema Börsenpsychologie: Sollte diese Marke wirklich maßgeblich sein, müsste es zu vorgezogenen Käufen schon deutlich oberhalb dieser Marke kommen. Nur: Wie will man das argumentativ untermauern? Etwa mit der Hoffnung auf bessere Zeiten, wo sich immer deutlicher abzeichnet, dass der "Aufschwung" zum wirtschaftlichen Siechtum mutieren wird? Es besteht ergo ein hohes Risiko, dass diese Unterstützung nicht hält. Dann allerdings kommt im Handumdrehen wieder die 3600er Marke ins Spiel. Eine Größenordnung, bei der die Optimisten wohl im Kollektiv den Regentanz aufführen dürften.


Peter Spermann


Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.