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Führungswechsel in der SPD: Debatte um Reformkurs und Kabinettsumbildung hält

BERLIN (ks). Die Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sein Amt als SPD-Parteivorsitzender aufzugeben, hat kein Ende der Diskussionen um den Reformkurs und eine etwaige Umbildung des Kabinetts herbeiführen können. Im Gegenteil: In den ersten Tagen nach dem Rückzug Schröders als Parteichef wurden aus den Reihen der SPD immer wieder Forderungen laut, Teile der Gesundheitsreform zurückzuziehen und Veränderungen im Kabinett vorzunehmen.

Am 6. Februar hatte Schröder überraschend erklärt, er werde seinen Platz als SPD-Vorsitzender räumen und für den Fraktionschef Franz Müntefering frei machen. In einer am 7. Februar einberufenen Sondersitzung nominierten SPD-Präsidium und Vorstand Müntefering einstimmig für das Amt.

Er soll zunächst als kommissarischer Vorsitzender auftreten. Seine offizielle Wahl wird auf einem Sonderparteitag am 21. März stattfinden. Auch der bisherige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hat sich zum Rückzug entschieden. Seine Position soll künftig der Berliner Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter übernehmen.

Trotz Kritik: Müntefering will Reformkurs beibehalten

"Der Reformprozess wird an keiner Stelle und an keinem Stück zurückgenommen" erklärte Müntefering am 9. Februar. "Die Politik, die wir machen, ist richtig". Er reagierte damit unter anderem auf die Forderung des Vorsitzenden des SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, Betriebsrenten wieder geringer zu belasten.

Die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten und Direktversicherungen auf den vollen Satz sei "ein dicker Brocken", sagte Schartau am 9. Februar. Wenn man so etwas mache, müsse es wenigstens Vertrauensschutz geben. Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bau und SPD-Mitglied, forderte die Abschaffung der Praxisgebühr. "Sie muss weg", zitierte ihn die "Bild"-Zeitung.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte der "Berliner Morgenpost" (Ausgabe vom 8. Februar), der Reformkurs müsse beibehalten werden. Es sollte aber nachgefragt werden, wie falsche Belastungen korrigiert werden können. "Wir werden darüber reden müssen, wo nachjustiert wird – etwa bei der Gesundheitsreform oder der Besteuerung von Erbschaften", so Thierse.

Keine Nachbesserungen an der Gesundheitsreform

Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg verwehrte sich gegen die Annahme, man denke über ein Aufzurren der Gesundheitsreform nach: "Mir ist keine gesetzgeberische Initiative mit diesem Ziel bekannt", sagte er am 9. Februar in Berlin.

Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums Klaus Vater wies Schartaus Forderung ebenfalls zurück: Das GKV-Modernisierungsgesetz sei "mit 90 Prozent der Stimmen des Deutschen Bundestags und mit 80 Prozent der Stimmen des Bundesrats und auch mit den Stimmen des Landes Nordrhein-Westfalen verabschiedet worden". Wahrscheinlicher als Korrekturen an der bereits in Kraft getretenen Gesundheitsreform könnten Änderungen bei der anstehenden Rentenreform sein.

Regierungserklärung angekündigt

Im März will Kanzler Schröder eine Regierungserklärung zum Reformprozess abgeben. Vize-Regierungssprecher Steg betonte, dass Schröder bereits Anfang Januar erklärt habe, er wolle bei dieser Gelegenheit darlegen, mit welchem Erfolg die Umsetzung der vor einem Jahr angekündigten "Agenda 2010" bisher vonstatten gegangen sei. Zudem wolle der Kanzler erläutern, wie der Reformprozess mit Blick auf 2006 und 2010 weiter vorangetrieben werden soll.

Opposition wirft Regierung "Selbstbeschäftigung" vor

Die Opposition wertete Schröders Verzicht auf den Parteivorsitz als Scheitern. CDU-Chefin Angela Merkel sagte unmittelbar nach Schröders Amtsverzicht, er sei "nunmehr Bundeskanzler von Münteferings Gnaden". Sein Rücktritt bedeute einen Autoritätsverlust auf ganzer Linie. Am 9. Februar kündigte Merkel an, die Union werde gegenüber der Regierung verstärkt auf ein noch schnelleres Reformtempo dringen. Anders als die SPD beschäftige man sich nicht mit sich selbst, sondern "mit den Problemen des Landes".

Der CSU-Parteivorsitzende Edmund Stoiber sagte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (8. Februar), am besten seien nun Neuwahlen. Schröder "würde dem Land dienen, wenn er abtritt – und zwar mit seiner Regierungstruppe", so Stoiber. Allerdings räumte der CSU-Chef ein, dass die SPD versuchen werde, Neuwahlen um jeden Preis zu vermeiden. Der "Berliner Morgenpost" (Ausgabe vom 10. Februar) sagte er, CDU und CSU wollen am 7. März bei der gemeinsamen Präsidiumssitzung "eine glasklare Alternative zum rot-grünen Regierungschaos aufzeigen".

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle forderte Neuwahlen. Es herrsche eine Vertrauenskrise der Regierung, daher müsse der Kanzler im Parlament die Vertrauensfrage stellen.

Kabinettsumbildung noch nicht vom Tisch

Unterdessen riss auch die Diskussion um weitere personelle Veränderungen in der Regierungsriege nicht ab. Schröder selbst sagte nach seiner Rücktrittserklärung in einem ARD-Interview, im Kabinett habe "jeder jetzt die Chance, an dem Neuanfang diszipliniert – was Inhalt und Kommunikation angeht – teilzunehmen. Wenn das bei dem einen oder anderen nicht gelingt, wird man auch handeln müssen". Dies sei allerdings nicht als Ankündigung zu verstehen. Zwar sei nie etwas auszuschließen, doch es sei jetzt "nicht die Zeit über personelle Konsequenzen zu reden".

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels sagte dem Berliner "Tagesspiegel" (Ausgabe vom 9. Februar): "Die Notwendigkeit, an der Regierung etwas zu verbessern, sehen alle, auch Schröder." Es werde nicht reichen, "dass alle sich jetzt am Riemen reißen". Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wird als Wackel-Kandidatin gehandelt. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihr Amt drängt sich allerdings nicht auf.

Die Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sein Amt als SPD-Parteivorsitzender aufzugeben, hat kein Ende der Diskussionen um den Reformkurs und eine etwaige Umbildung des Kabinetts herbeiführen können. Im Gegenteil: In den ersten Tagen nach dem Rückzug Schröders als Parteichef wurden aus den Reihen der SPD immer wieder Forderungen laut, Teile der Gesundheitsreform zurück zu ziehen und Veränderungen im Kabinett vorzunehmen.

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