Berichte

Phytopharmaka und Phytotherapie in Ungarn

Vor rund 250 Teilnehmern aus allen Disziplinen, die sich mit Arzneipflanzen beschäftigen, also vom Pflanzenzüchter bis zum niedergelassenen Arzt, fand vom 13. bis 15. November in Kecskemét ein gemeinsamer Kongress der Ungarischen pharmazeutischen Gesellschaft, Sektion Arzneipflanzen, und der Ungarischen Gesellschaft für Phytotherapie statt. Die wissenschaftliche und organisatorische Leitung lag in den Händen von Prof. Dr. Imre Máthé, dem Lehrstuhlinhaber für Pharmakognosie der Universität Szeged.

Das breite Gebiet der Arzneipflanzenforschung und Phytotherapie wurde in drei Plenarvorträgen und weiteren sechs Plenarvorträgen in den jeweiligen Sektionen sowie in 50 Diskussionsvorträgen und 60 Postern abgehandelt.

Im Eröffnungsvortrag erinnerte Prof. Dr. Peter Tétény an den 125. Geburtstag von Prof. Dr. Augustin, dem Gründer des Forschungsinstitutes für Arzneipflanzen, der seinerzeit u. a. auch für die Aufnahme von Drogen und Drogenzubereitungen in das Ungarische Arzneibuch verantwortlich war.

Prof. Dr. Tamás L. Paál vom National Institute of Pharmacy (OGYI) stellte die ungarische Rechtssituation für Phytopharmaka dar und verglich diese mit der Situation in der EU sowie mit der Vorstellungen der WHO, wobei er ganz besonders auf die Problematik der Qualität von traditionellen Phytopharmaka hinwies.

Professor Heinz Schilcher, München, erläuterte den deutschen Rechtsstatus der Phytotherapie im Rahmen der "besonderen Therapierichtungen". Mit großem Interesse wurden seine erklärenden Ausführungen zu der Zusatzbezeichnung "Arzt für Naturheilverfahren" aufgenommen, da in Ungarn eine gleiche oder ähnliche ärztliche Qualifikation nicht existiert, obwohl auch dort Naturheilverfahren im Rahmen einer ärztlichen Behandlung angewendet werden. Allerdings werden Phytopharmaka in Ungarn von den Krankenkassen nicht erstattet. Schilchers konkrete Vorschläge zur Standardisierung von Phytopharmaka und der "Empfehlungskatalog" zur Qualitätsbeurteilung pflanzlicher Arzneimittel erfuhren breite Zustimmung

Höchst aktuell war der Vortrag von Frau Prof. Dr. Agnes Kéry zu dem Thema: "Adverse Reactions and Interactions in Phytotherapy", wobei in Ungarn aus den oben genannten Gründen kaum unerwünschte Nebenwirkungen mit Phytopharmaka dokumentiert sind.

Aus der Vielzahl der interessanten Referate seien der Vortrag von Prof. emer. Dr. Kalman Szendrei, Szeged, über "Phytochemistry's Role in Phytotherapy" herausgegriffen, der in gleicher Weise wie Schilcher auf die Bedeutung der phytochemischen Charakterisierung der Phytopharmaka für eine rationale Phytotherapie hinwies.

Besonders beeindruckend für den Berichterstatter waren die Vorträge von Prof. Dr. Péter Mátyus, Semmelweis University Budapest, über "Molecular Modelling in Drug Design" sowie von Prof. Dr. Szaboles Nyiredy, Budakalász, über "Extraction Strategy for Compounds of Medicinal Plants" und die Vorstellung einer neuen analytischen Methode von Frau Prof. Dr. Nina Berova, Columbia University New York, über "Circular Dichroism in Natural Product Research."

Himbeerblätter als Spasmolytikum

Von den Kurzvorträgen dürften ganz besonders die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der School of Pharmacy and Biomedical Sciences der University of Portsmouth mit dem Titel: "Purification of Pharmacologically Active Relaxant Components of Raspberry Leaf Extracts" für die Offizinapotheke von Interesse sein. Die Arbeitsgruppe konnte sowohl für Himbeerblätter-Extrakte als auch für acht isolierte Verbindungen deutliche spasmolytische Effekte im Meerschweinchendarm-Modell nachweisen.

Die chemische Identifizierung ist zurzeit noch nicht abgeschlossen, außerdem ist eine Patentanmeldung noch nicht rechtskräftig. Die Ergebnisse zeigen, dass die in der Erfahrungsheilkunde ständig behauptete krampflösende Wirksamkeit von Himbeerblätter-Tee durchaus vorhanden sein kann, wenn auch die Kommission E aufgrund des damals vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnismaterials eine Negativ-Monographie verabschiedet hatte. Erfahrene Phytotherapeuten setzen nach wie vor Himbeerblätter-Tee bei Reizmagen und Reizdarm ein.

In einem 226 Seiten umfassenden Abstract-Band "Medicinal Plant Research and Utilization" können sämtliche Vorträge und Poster in englischer Sprache nachgelesen werden. Der Band kann unter Beifügung von fünf Euro bei Prof. Dr. Imre Máthé, Institute of Pharmacognosy, University Szeged, Eötvös u. 6, H-6720 Szeged, E-Mail: mathe@pharma.szote.u-szeged.hu angefordert werden.

Herrn Prof. Dr. Máthé und seinem Organisations-Team gebührt nicht nur für die Kongressgestaltung und die Auswahl der Referate, sondern auch für das attraktive Begleitprogramm großes Lob. Da der Kongress "im Herzen" von Kecskemét stattfand, konnten die Kongressteilnehmer auf dem Wege zum Veranstaltungsort die schönsten Seiten der Stadt kennen lernen.

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