Aus Kammern und Verbänden

"Pharmazie und Buch"

Vom 14. bis zum 17. September fand in Berlin der 40. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (IGGP) statt. Tagungsort war die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt. Über 350 Teilnehmer und Begleitpersonen aus ca. 15 Ländern waren der Einladung gefolgt und wurden weder vom wissenschaftlichen noch vom gesellschaftlichen Programm enttäuscht. Am Ende der Veranstaltung ehrten sie Rotraud Mörschner, die den Kongress akribisch vorbereitet hatte, mit nicht enden wollendem Applaus.
Foto: Müller-Jahncke
Prof. Dr. Christoph Friedrich (rechts) zeichnete den IGGP-Präsidenten Prof. Dr. Olivier Lafont mit der Schelenz-Plakette aus.

Die Eröffnung des Kongresses erfolgte mit dem Stradivari-Streichquartett des Ärzteorchesters Berlin, das ein Streichquartett von Mendelssohn-Bartholdy darbot. Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch Prof. Dr. Olivier Lafont (Caen/Paris), den amtierenden Präsidenten der IGGP, und Prof. Dr. Christoph Friedrich (Marburg) richteten Dr. Ansgar Schockmann im Namen der Senatorin für Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz, Karin Lompscher, und der Vizepräsident der FU Berlin Grußworte an die Versammlung. Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Präsident der DPhG, forderte dazu auf, neue Stiftungsprofessuren für Pharmaziegeschichte zu etablieren, und Dr. Rainer Bienfait berichtete über die große Vergangenheit der Berliner Pharmazie. Prof. Olivier Lafont wurde mit der Schelenz-Plakette als der höchsten Auszeichnung der DGGP geehrt. Anschließend hielt Prof. Friedrich den Eröffnungsvortrag "Apotheker als Buchautoren" und führte mit einer tour d’horizont vom Mittelalter bis heute in das Thema "Pharmazie und Buch" ein.

In den folgenden Tagen berichteten die Redner über spezielle Aspekte dieses Themas.

Pharmakobotanik

Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou (Marburg) machte in ihrem Plenarvortrag "Pharmacobotanical Literature – Transmission of Phytotherapeutic Knowledge" deutlich, wie wichtig die Wissensvermittlung durch Bücher im Bereich der Phytotherapie von der Antike bis heute in den verschiedenen Kulturkreisen war. Diese Fragen wurden auch in anderen Vorträgen behandelt, so beispielsweise von Prof. D. A. M. Perkins (Argentinien), die auf die Vermittlerrolle von Jesuiten bei botanischen Werken hinwies. Dr. Peter-Hartwig Graepel (Gladenbach) stellte den Colditzer Apotheker Theodor Meyer vor, dessen Werk "Arzneipflanzenkultur und Kräuterhandel" aus dem Jahre 1911 mehrfach verbessert aufgelegt wurde.

Arzneibücher

Mit dem Plenarvortrag "Les pharmacopées: Des Villes à l’Europe" gab Prof. Dr. François Ledermann (Bern) das Thema für manche Vorträge vor, die sich den Arzneibüchern zuwandten. So befasste sich Dr. Natalia Bachour (Zürich) mit der "Rezeption des ‚Ricettario Fiorentino‘ im Osmanischen Reich"; weitere Vorträge widmeten sich verschiedenen Arzneibuchformen in Ungarn, Norwegen, Spanien und Lettland sowie den homöopathischen Pharmakopöen. Eng mit diesem Thema verbunden war der Plenarvortrag von Priv.-Doz. Dr. Axel Helmstädter (Marburg) zum Thema "Textbooks and Manuals in pharmaceutical Education and Practice", der auf die Bedeutung von Lehrbüchern im deutschsprachigen Raum wie Karl Gottfried Hagens "Lehrbuch der Apothekerkunst" von 1778, aber auch auf französische, englische und japanische Werke hinwies. Dr. Ursula Hirter-Trüb (Basel) und Dr. Andreas Winkler (Innsbruck) berichteten über die Sonderformen der Rezeptkopierbücher und Manuale.

Prof. Olivier Lafont sprach über sogenannte "Ouvrages charitables", die eine Art Armenarzneibücher in kleinem Buchformat darstellten, aber in Frankreich 1803 verboten wurden. Trotz dieses Verbots erschienen jedoch weitere Ausgaben im 19. Jahrhundert, die allerdings nicht eingezogen wurden. Prof. Dr. Bettina Wahrig (Braunschweig) sprach zu "Tradings Zones of Knowledge: Pharmacy in the Physician‘s Library" und beschrieb die engen literarischen Beziehungen von Pharmazie und Medizin, die vor allem bei den Fächern "Arzneimittelkunde" und "Arzneimittellehre" bestanden.

Auf die Schwierigkeiten der angehenden Apotheker der vergangenen Jahrhunderte, überhaupt Fachliteratur lesen zu dürfen, machte Dr. Nicole Klenke mit ihren Ausführungen zu "Wissenschaftliche Lektüre nach Dienstschluss?" aufmerksam, und Dr. Antonio Corvi (Piacenza) beschrieb gemeinsam mit Dr. Ernesto Riva (Belluno) die Bibliothek der Apotheke in Piacenza, in der seit dem 18. Jahrhundert pharmazeutische und medizinische Werke gesammelt wurden.

Texte der Pharmaindustrie

Dr. Ulrich Meyer (Greifswald) berichtete über die "Literatur aus der pharmazeutischen Industrie", deren Charakteristikum weniger das Buch als die "graue Literatur" der Firmenbroschüren und Hauszeitschriften war und ist. Prof. Dr. Anna Carata (Bukarest) sprach über die rumänische Industrie und J. Salaks (Riga) über die Aktivitäten der Firma Hoffmann-La Roche in Lettland. H. Tekiner (Kayseri) trug "Reflections of Aspirin in Turkish language" vor.


Internet


www.40ichp.org

Fachliteratur heute

Der letzte Tag des Kongresses stand im Zeichen der Podiumsdiskussion "Wissenschaftliche Literatur und neue Medien im 21. Jahrhundert". Unter der Moderation von Prof. Dr. Michael Mönnich (Karlsruhe/Tübingen) diskutierten Teilnehmer aus Schweden, Dänemark, Serbien, Kanada und Deutschland. Aber auch das Publikum wurde einbezogen, sodass sich bald ein lebhafter Disput entwickelte. Schwerpunkte waren Fragen zur Digitalisierung wissenschaftlicher Texte und deren Copyright, der Schutz vor Plagiaten insbesondere bei Arbeiten an Schulen und Universitäten sowie Marktfragen bei wechselnden Anbietern. Auch die Langzeitsicherung von digitalisierten Texten sowie die Umwandlung in neu entwickelte Medien standen zur Diskussion. Ebenso heiß umstritten war das Thema digitaler Lexika wie Wikipedia oder anderer, teils auch fachspezifischer Internetforen. Schließlich erinnerte Mönnich daran, dass es auch noch "die Welt jenseits des Internet" in den Bibliotheken und Archiven gibt und dass der Weg dorthin jedem offensteht.

Zum Abschluss der Tagung wurde das beste der nicht weniger als 54 Poster prämiert: Dr. Rodriguez Nozal erhielt den ersten Preis für sein Poster zu Karikaturen in der spanischen Zeitschrift "Farmacia Nueva", die den Einzug der Antibiotika in den Arzneischatz zum Gegenstand hatten.

Als Dank und in großer Anerkennung seiner Leistungen überreichte Dr. Antonio Corvi (Piacenza) die "Orosi-Medaille" der Accademia Italiana di Storia della Farmacia an Prof. Dr. Christoph Friedrich als dem wissenschaftlichen Koordinator des 40. Kongresses der IGGP.


W.-D. Müller-Jahncke

Foto: Müller-Jahncke
Die neuen Mitglieder der Akademie mit ihren Urkunden.

Akademiesitzung


Die traditionelle "Séance solenelle" der "Académie Internationale d’Histoire de la Pharmacie" fand in der Französischen Friedrichstadtkirche ("Französischer Dom") statt. Nach der Eröffnung durch den Präsidenten Dr. Stuart Anderson (Großbritannien) berichteten der Generalsekretär Bruno Bonnemain (Frankreich) und Schatzmeister Dr. Peter-Hartwig Graepel (Gladenbach) über die Aktivitäten bzw. die Finanzen der IGGP. Anschließend wurden als neue Mitglieder in die Akademie aufgenommen: Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou (Marburg), Prof. Giovanni Cipriani (Italien), Dr. Monika Ferentzi (Ungarn), Joëlle Ricordel (Frankreich), Dr. Minori Tatsuno (Japan) und Prof. Dr. Bettina Wahrig (Braunschweig).

Prof. Dr. Greg Higby übergab die "Urdang-Medal" des American Institute for the History of Pharmacy an Dr. Stuart Anderson, und Prof. Dr. Maria del Carmen Francés Causape die "Médaille Maria del Carmen-Francés" an Prof. Dr. Anna Carata aus Bukarest. Mit dem "Prix Maria del Carmen-Francés" wurden als beste Promotionsleistungen die Arbeiten von Dr. Natalia Bachour (Heidelberg) und Dr. Nicole Klenke (Marburg) ausgezeichnet.

Nach den Formalien trug Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Heidelberg/Kirchen) zum Thema "Apotheke und Apotheker im Gedicht" vor. Dabei kamen Gedichte in den vielen Sprachen der Akademiemitglieder – meist von diesen selbst vorgetragen – zu Gehör: Arabisch, Frühneuhochdeutsch und Neuhochdeutsch, Lateinisch, Niederländisch, Französisch, Spanisch, Italienisch sowie Russisch und Finnisch. Nach diesem beschwingten Vortrag folgten die Teilnehmer des Kongresses einer Einladung der ABDA in das Deutsche Apothekerhaus in der Jägerstraße.



DAZ 2011, Nr. 39, S. 101

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