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Phytotherapie: Qualität und Indikation von Phytopharmaka

Vom 5. bis zum 7. Juni 1998 fand in Orvieto, Toskana, der vierte Kongreß der Italienischen Gesellschaft für Phytotherapie (Societą Italiana di Fitoterapia, S.I.Fit.) statt. Da in Italien wegen der europäischen Harmonisierung ähnliche Themen aktuell sind wie in Deutschland, nahmen auch deutsche Pharmazeuten daran teil. Auch die Referenten der beiden Plenarvorträge waren aus Deutschland angereist.

Tagungsort war der im 12. Jahrhundert aus Tuffstein erbaute Palazzo del Capitano del Popolo, dessen "Sala dei 400" als Kongreßsaal umgebaut wurde. Zur Begrüßung sprach der Bürgermeister Orvietos allen von nah und fern angereisten Teilnehmern seinen Dank für ihr Erscheinen aus. Er äußerte die Hoffnung, daß das gemeinsame Interesse an der Phytotherapie zur weiteren Einheit Italiens und Europas führen möge.

Pharmazeutische Qualitätsprüfung Ein Hauptaugenmerk der Tagung lag auf den Möglichkeiten der pharmazeutischen Qualitätsprüfung von Phytotherapeutika. Dr. Beatrice Gehrmann (Hamburg) referierte im ersten Plenarvortrag über Methoden der Analytik von Naturstoffen in Arzneipflanzenextrakten und deren Zubereitungen. Dabei beschrieb sie die offizinellen (Ph. Eur., DAB, DAC, FUI) und weitere für die Apothekenpraxis relevanten chromatographischen Methoden zur Beurteilung der pharmazeutischen Qualität. Die qualiquantitativen Bestimmungen von Wirksubstanzen, von wirksamkeitmitbestimmenden Substanzen und von Leitsubstanzen mittels HPTLC und anschließender Densitometrie stellte sie am Beispiel verschiedener Arzneipflanzen in Form von sog. "Phyto-Fingerprints" dar.

Phytotherapie bei gastrointestinalen Störungen Prof. Dr. Heinz Schilcher (München) zeigte im zweiten Plenarvortrag die Möglichkeiten und Grenzen der Phytotherapie bei der Behandlung gastrointestinaler Erkrankungen auf. Nach Abhandlung der nicht zur Therapie mit phytotherapeutischen Maßnahmen geeigneten Erkrankungen widmete er sich den gastrointestinalen Störungen, die phytotherapeutisch behandelt werden können. Er referierte über deren Ursachen und Symptome sowie über rationale Phytopharmaka zu deren Behandlung. Zusammenfassend wies Professor Schilcher auf die Bedeutung der von der Kommission E erstellten Monographien, die übrigens auch in italienischer Sprache vorliegen, sowie auf die Notwendigkeit der Verwendung standardisierter Präparate für eine rationale Phytotherapie hin.

Kurzvorträge Ein bunter Blumenstrauß von Kurzvorträgen über in Italien durchgeführte Arbeiten mit phytotherapeutischem Hintergrund brachte viele interessante Ergebnisse. Themen waren u.a.
• Untersuchungen an Melaleuca alternifolia;
• die diätetische Bedeutung von Vitaminen, Mineralsalzen sowie Ginseng und Eleutherococcus für Radsportler;
• Procyanidine aus den Samen von Vitis vinifera und ihre Anwendung;
• Studien zur antiinflammatorischen Wirksamkeit von Ribes nigrum, Sequoia gigantea und Quercus pedunculata;
• die Verwendung von Melilotus und Aesculus hippocastanum in der Venentherapie;
• die Verwendung von Viola tricolor bei Hautaffektionen;
• die Verwendung von Melissa officinalis bei Unruhezuständen;
• die Verwendung von Ratanhia und Dioscorea bei hormonellen Störungen der Frau;
• Arzneipflanzen zur Vorbeugung bei oxidativem Streß;
• klinische Untersuchungen an Hypericumextrakten mit unterschiedlichen Flavonoidkonzentrationen. Einige Kurzvortäge mit unterschiedlichen pharmakologischen Schwerpunkten betrafen
• Aloe aborescens bei Tumoren,
• Effekt von Aloe barbadensis auf Hyperlipidämie,
• Effekt von Camellia sinensis auf erythroleukämische Zellen,
• die antidepressive Aktivität eines Hypericumextraktes,
• phytotherapeutische Ansätze zur Behandlung von Herpesviren. Lamberto Monti berichtete über die klinische Entwicklung neuer Pharmaka unter besonderer Berücksichtigung pflanzlicher Arzneimittel. Ein sehr interessantes Referat über die Verwendung wildwachsender Pflanzen in der süd-toskanischen Küche unterstrich einmal mehr die Bedeutung von Kräutern und Gewürzen für eine gesunde Ernährung.

Diskussion am Runden Tisch Bei der abschließenden "Tavola Rotonda", die von der Präsidentin der S.I.Fit., Professoressa Daniela Giachetti (Siena), moderiert wurde, stellten sich Vertreter aus Industrie (E. Bombardelli, Indena, Mailand), Wissenschaft (F. F. Vincieri, Universität Florenz und ESCOP; G. Grandolini, Universität Perugia) und Verwaltung (G. Tabusso) dem Thema "Reglementierung und Phytopharmaka in Italien und in der Europäischen Union". Nach den Statements folgte eine Diskussion mit den Teilnehmern aus Apotheker- und Ärztekreisen. Auf die Bemerkung eines italienischen Mediziners zur Problematik des Vertriebs von Phytopharmaka außerhalb von Apotheken erläuterte Professor Schilcher die aktuelle Situation in Deutschland. Zusammenfassend wurde eine europäische Harmonisierung zum Vorteil für den Patienten auch im Bereich der Phytotherapie als äußerst wünschenswert angesehen. Neuere Umfragen zeigen, daß auch in Italien der Wunsch, mit pflanzlichen Arzneimittel zu therapieren und therapiert zu werden, wächst, jedoch werden diese Präparate nicht immer beim Arzneimittelfachmann bzw. bei der Arzneimittelfachfrau erworben. Eine gut informierte Apotheker- und Ärzteschaft dient sowohl dem Wohle des Anwenders der Phytotherapie als auch der rationalen Phytotherapie selbst. Deshalb hat die S.I.Fit. nun eine Zeitschrift für Phytotherapie ins Leben gerufen: die Acta Phytotherapeutica, Organo ufficiale della Societą Italiana di Fitoterapia. Die erste Ausgabe, die auch einen Bericht von Professor Schilcher enthält, wurde allen Kongreßteilnehmern überreicht.

Rahmenprogramm Orvieto gehört aufgrund seiner Lage auf einem Tuffsteinfelsen und seines mittelalterlichen Stadtbildes mit der gotischen Fassade des Domes und dem früheren Papstpalast (Palazzo Soliano) zu den einzigartigen Städten Italiens. Unter sachkundiger Führung besichtigten die Kongreßteilnehmer einen Teil des unterirdischen Orvieto (Cittą sotterranea): Hallen, Grotten, Keller, Brunnen, Zisternen, die der Mensch über Jahrtausende in den weichen Tuffstein gearbeitet hat. Dieses unterirdische Netzwerk diente u.a. zur Vorratshaltung, als Werkstätte (z.B. bei der Ölherstellung) und auch als Deponie, wovon zahlreiche etruskische Funde zeugen. Im Anschluß an ein Gala-Dinner, "Cena di Gala", zeigte ein neapolitanischer Künstler Darbietungen in Rede und Gesang. Für die Teilnehmer, die nördlich der Alpen angereist waren, waren die Worte meist unverständlich, um so mehr waren sie von der Gestik beeindruckt.

Dr. Beatrice Gehrmann, Universität Hamburg Institut für Pharmazie, Pharmazeutische Biologie Bundesstraße 45, 20146 Hamburg

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