Arzneimittel und Therapie

Phytotherapie an erster Stelle

Die kontrollierte, standardisierte Phytotherapie kann in vielen Bereichen eine den allopathischen Arzneimitteln vergleichbare Wirksamkeit erzielen – bei im Allgemeinen besserer Verträglichkeit, höherer Patientencompliance und meist auch geringeren Kosten. Das gilt bei differenzierter Betrachtung auch in der Demenztherapie, wie auf einem Phytotherapie-Symposium im Rahmen des 108. Kongresses des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin e.V. (ZÄN) herausgestellt wurde.

Die Phytotherapie erfreut sich gemäß einer aktuellen repräsentativen Bevölkerungsstudie nach wie vor besonderer Beliebtheit. Unter den Naturheilverfahren steht sie unangefochten an erster Stelle, gefolgt von der Homöopathie sowie anderen Naturheilverfahren (anthroposophische Medizin, Akupunktur, Akupressur, Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda-Medizin u. a.).

Auf wissenschaftlich festem Sockel

Innerhalb des gesamten Bereichs der Naturheilverfahren stellt die Phytotherapie dasjenige Verfahren dar, das nicht nur über die längste Erfahrung, sondern auch über das beste wissenschaftliche Fundament verfügt. Für viele pflanzliche Arzneimittel konnte mittlerweile eine mit chemisch definierten Substanzen vergleichbare Wirksamkeit wissenschaftlich belegt werden. Dazu gehören zum Beispiel Johanniskraut-Spezialextrakte in der Indikation leichter bis mittelschwerer depressiver Störungen, Crataegus-Spezialextrakte bei Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium II oder Extrakte aus Sägepalmenfrüchten zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie in den Stadien I und II.

Gut evaluierte Phytotherapeutika sind darüber hinaus auch Baldrian-Extrakte bei nicht-organischer Insomnie, Extrakte aus Agnus castus zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms oder Cimicifuga-Wurzelstock-Extrakte gegen Wechseljahrsbeschwerden.

Plädoyer für Ginkgo

Ein wissenschaftlich besonders gut dokumentiertes Phytotherapeutikum sind die Ginkgo-biloba-Spezialextrakte in der Behandlung der Alzheimer- wie auch der vaskulären Demenz. Doch trotz der umfangreichen Studienlage und einer mittlerweile 40-jährigen Praxiserfahrung steht das Phytopharmakon im Schatten chemisch definierter Antidementiva, insbesondere ihrer jüngsten Vertreter – der Acetylcholinesteraseinhibitoren. Diesen wurde in den Empfehlungen zur Demenztherapie der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) der Rang als Therapeutika 1. Wahl zugesprochen.

Phytotherapie-Experten beanstanden bei dieser Bewertung eine zu einseitige Perspektive beim Wirksamkeitsnachweis. So sei der kognitive Bereich (mit der ADAS-cog-Sakla) gegenüber den anderen Prüfebenen, wie allgemeine Psychopathologie und Sozialverhalten, überbewertet worden. Außerdem liege bei der Wirksamkeitsbeurteilung in den Studien der Schwerpunkt bei der Analyse der absoluten Score-Differenz zwischen Verum und Plazebo. Berücksichtige man dagegen die eigentliche Progressionsverzögerung verschiedener Prüfpräparate, bestünde keine Legitimation mehr für die Bevorzugung der Cholinesterasehemmer.

Darüber hinaus bemängeln die Ginkgo-Befürworter die Vernachlässigung ökonomischer Gesichtspunkte bei der AkdÄ-Bewertung. So betragen zum Beispiel die Tagestherapiekosten für einen Ginkgo-Spezialextrakt weniger als ein Drittel derer für Cholinesterasehemmer. Vor allem sollte jedoch im Sinne des Patienten mehr Gewicht auf den Aspekt der Verträglichkeit gelegt werden. Gerade im Indikationsbereich Demenz, bei dem pharmakotherapeutisch nur geringfügige Wirkungen erzielbar seien, müsse die Nebenwirkungsrate niedrig gehalten werden. Mit dem pflanzlichen Antidementivum liegt die Rate unerwünschter Effekte unter 2%.

Bonus bei Verträglichkeit

Oft erweisen sich pflanzliche Medikamente gegenüber synthetischen als verträglicher. Tatsächlich bestätigen sicherheitspharmakologische Daten, dass Phytopharmaka, was ZNS, Herz-/Kreislaufsystem, Blutbildung, Endokrinum und Immunsystem betrifft, mit geringem Risiko verbunden sind. Bekannt sind dagegen allergisierende Wirkungen an der Haut (z. B. Arnika oder Capsicum), teilweise Magen-/Darm-Unverträglichkeiten (z. B. Rosskastaniensamen-Extrakt) sowie möglicherweise vereinzelte leber- oder nierentoxische Wirkungen (Kava-Kava). Allerdings können toxikologische Daten in der Phytotherapie aufgrund von Unterschieden im pflanzlichen Ausgangsmaterial sowie in der Extraktqualität nur bedingt verallgemeinert werden.

Pleiotrope Wirkung

Im Allgemeinen handelt es sich bei Phytopharmaka um Mehrstoffgemische, die eine pleiotrope Wirkung aufweisen. Das heißt, sie beeinflussen mehrere physiologische Strukturen und zeigen daher oft ein so breites Wirkprofil wie es in der Allopathie nur durch die Kombination mehrerer Substanzen möglich ist. So entfalten zum Beispiel Johanniskraut-Extrakte nicht nur eine Wirkung auf ein oder zwei Neurotransmitter, sondern beeinflussen die in der Pathogenese der Depression relevanten Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin gleichermaßen. Auch Baldrian-Spezialextrakte wirken vielfältig: an Dopamin-, GABA-, Melatonin,- sowie Adenosin-1-Rezeptoren.

Kein strenges "Entweder – Oder"

Auch ein Miteinander von Phytotherapeutika und synthetischen Arzneimitteln kann sinnvoll sein, denn oft ergeben sich synergistische Wirkungen. So lässt sich zum Beispiel in der Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen durch die Komedikation mit Teufelskrallen-Extrakt die Dosierung von NSAR deutlich reduzieren. Auf der anderen Seite kann durch die Gabe schnell wirksamer NSAR die mit zwei bis drei Wochen relativ lange Wirklatenz von gleichzeitig eingesetztem Harpagophytum überbrückt werden. Erfahrungen in der Praxis haben zur Etablierung vielfältiger synergistischer Therapiekonzepte geführt. So ist zum Beispiel die Kombination von Amoxicillin mit Thuja und Echinacea bei der eitrigen Tonsillitis mit einer verbesserten Rekonvaleszenz und geringeren Rezidivrate verbunden.

Qualität immer wieder

hinterfragen Um dem hohen Stellenwert der Phytotherapie gerecht zu werden, ist es notwendig, das äußerst heterogene Angebot pflanzlicher Arzneimittel immer wieder bezüglich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit kritisch zu beleuchten. Wie bei der konventionellen Arzneimittelanwendung gilt auch in der rationalen Phytotherapie das Primat klinisch relevanter Studien. Dabei ist der bekannte Grundsatz "Extrakt ist nicht gleich Extrakt" zu beachten, wonach die mit einem bestimmten Extrakt erzielbaren Wirkungen nicht ohne weiteres auf anders gewonnene Extrakte einer bestimmten Heilpflanze übertragbar sind. Entscheidend ist natürlich die ausreichend hohe Extraktdosierung – ein Postulat, an dem vor allem nicht apothekenpflichtige Präparate scheitern.

Ulrike Weber-Fina, Überlingen

 

Quelle

Prof. Dr. Dieter Loew, Wiesbaden; Prof. Dr. Volker Schulz, Berlin; Dr. Martin Adler, Siegen-Geisweid: Phytotherapie- Symposium zu Ehren von Prof. Dr. Dr.

h. c. H. Schilcher im Rahmen des 108. Kongresses des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsme- dizin e.V. (ZÄN), Freudenstadt, 6. März 2005.
 

"Vater einer reproduzierbaren Phytopharmaka-Qualität"

Das Phytotherapiesymposium im Rahmen des 108. ZÄN-Kongresses in Freudenstadt fand zu Ehren von Prof. Dr. Dr. med. h.c. Heinz Schilcher statt, der vor kurzem 75 Jahre alt wurde.

Zu Schilchers Lebenswerk gehört es, der Pflanzenheilkunde von der Kräutertherapie zur wissenschaftlich begründeten Phytotherapie verholfen zu haben. Auf ihn sind Begriffe wie "Leitsubstanz", "Koeffektoren" oder "wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe" zurückzuführen. Prof. Heinz Schilcher prägte entscheidend die Entwicklung der Phytotherapie von einer reinen Erfahrungsheilkunde zu einem Teilgebiet moderner Medizin. Er forderte eine konkrete Standardisierung für Phytopharmaka und den gezielten Anbau von Arzneipflanzen und förderte Nachweisverfahren für Schadstoffe.

Darüber hinaus gilt Schilcher als der "Kamillenpapst". Sein Verdienst ist es, dass die Kamille heute zu den am besten untersuchten Arzneipflanzen gehört. Unzählige Vorträge, viele Fachartikel und -bücher machten ihn bekannt (u. a. "Leitfaden der Phytotherapie").

Journalistenpreis Naturmedizin verliehen

Im Rahmen des 108. ZÄN-Kongresses wurde in diesem Jahr in Freudenstadt erstmals der Journalistenpreis Naturmedizin verliehen. Den mit 5000 Euro dotierten Preis erhielt Katrin Wissbar, Redakteurin der Zeitschrift "Gesundheit Bild" für ihren Artikel "25 Pflanzen, die uns gesund machen" (Ausgabe 4/2004). Das Preisgeld stellte das Gießener Unternehmen Pascoe zur Verfügung.

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