Arzneimittel und Therapie

Morbus Parkinson: Neue Einsatzmöglichkeiten für Amantadin

Amantadinsulfat ist ein altes Medikament, welches durch Erkenntnis moderner Wirkprinzipien neue Einsatzmöglichkeiten erhalten hat. Seit 1978 wird es vorzugsweise in der Früh- und Langzeitbehandlung von Parkinson-Patienten eingesetzt. Eine Behandlung mit dem N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Antagonisten Amantadin hat sich nicht nur im Frühstadium gegen die Bradykinese und Rigor sowie im Rahmen akinetischer Krisen als besonders günstig erwiesen. Amantadin ist auch in der Lage, Levodopa-induzierte Dyskinesien signifikant zu reduzieren. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine neuroprotektive Wirkung. Weiterhin wird es zur Behandlung von Vigilanz- und Antriebsstörungen bei komatösen Patienten oder bei posttraumatischen Zuständen verwendet.

Morbus Parkinson gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. In der Regel tritt die Erkrankung im höheren Lebensalter, d. h. zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf, aber auch jüngere Patienten können betroffen sein. Die Prävalenz steigt nach dem 60. Lebensjahr exponenziell an, sodass ca. 1 bis 1,5 Prozent der über 60-Jährigen betroffen sind.

Akinese, Rigor und Tremor

Die Leitsymptome der Erkrankung - Akinese (Bewegungslosigkeit), Rigor (Starre), Tremor (Zittern) und Haltungsinstabilität - wurden von James Parkinson bereits im Jahre 1817 als einheitliches Krankheitsbild in seiner Monographie "An Essay on the Shaking Palsy" beschrieben. Der Schüttellähmung liegt eine Degeneration dopaminerger Neurone im nigrostriatalen System zugrunde. Diese verläuft chronisch progredient.

Die Ursache dieses Zelluntergangs ist beim idiopathischen oder endogenen Parkinson-Syndrom noch immer unbekannt. Durch das Absterben der Dopamin-freisetzenden Nervenzellen kommt es zwischen den neurohumoralen Überträgersubstanzen Dopamin, Glutaminsäure und Acetylcholin zu einem Ungleichgewicht. Durch eine verminderte Erregung der Dopamin-Rezeptoren und die gleichzeitig verstärkte Stimulation der Glutamat-Rezeptoren (NMDA-Rezeptoren) kommt es zu einer erhöhten Acetylcholinfreisetzung und folglich zu einer Störung der Bewegungsabläufe.

Medikamentöse Therapieoptionen

Da die Ursache der Erkrankung unbekannt ist, gibt es keine kausale Therapie. Zentrales Ziel der symptomatisch orientierten medikamentösen Behandlung liegt einerseits im Ausgleich des Mangels an Dopamin durch Substitution und andererseits im Zurückdrängen der cholinergen Aktivität.

  • Eine Erhöhung der Dopamin-Konzentration an zentralen Dopamin-Rezeptoren kann durch Gabe von Levodopa, einer Vorstufe des Dopamins, geschehen. Durch Einwirkung von Dopa-Decarboxylase entsteht aus Levodopa unter CO2-Abspaltung die Wirksubstanz Dopamin. Dem Dopaminergikum Levodopa wird noch ein peripherer Decarboxylase-Hemmstoff (z. B. Benserazid oder Carbidopa) zugefügt, um die Decarboxylierung außerhalb des Zentralnervensystems zu verhindern.
  • Ein anderes Therapieprinzip ist die Stimulation zentraler Dopamin-Rezeptoren mit Dopaminagonisten (z. B. Bromocriptin, Ropinirol).
  • Ein weiteres medikamentöses Prinzip ist es, durch Hemmer der extraneuronal vorkommenden Catechol-O-Methyltransferase (COMT) den Abbau von Levodopa durch die COMT in der Peripherie zu verhindern und somit die zentrale Verfügbarkeit von Levodopa zu erhöhen (z. B. Entacapon).
  • Ein Hemmstoff der Monaminoxidase B (MAO-B) vermag den Dopaminabbau zu verzögern und dadurch vermehrt Dopamin im synaptischen Spalt zur Verfügung zu stellen (z. B. Selegilin).
  • Ein Ausgleich des Ungleichgewichtes der Neurotransmitter kann auch durch Substanzen angestrebt werden, die cholinerge Rezeptoren hemmen, mit so genannten Anticholinergika (z. B. Biperiden).
  • Ein anderes Wirkprinzip ist es, den erregenden Neurotransmitter Glutamat über eine nicht-kompetitive Antagonisierung des N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Subtyps des striatalen Glutamat-Rezeptors zu bremsen (z. B. Amantadin). Dadurch kann die Störung des Gleichgewichtes zwischen dopaminerger Hemmung und glutamaterger Stimulation cholinerger Neurone verringert werden.

Neue Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus

Amantadin ist kein neues Medikament. Ursprünglich wurde es aufgrund seiner virustatischen Effekte als Mittel gegen Influenzaviren eingesetzt. 1968 machte der amerikanische Neurologe Prof. Robert S. Schwab bei einer Parkinson-Patientin, die Amantadin zur Grippeprophylaxe einnahm, die Zufallsbeobachtung, dass durch die Medikation alle Grundsymptome der Parkinson-Krankheit signifikant verbessert wurden. Daraufhin wurde die Wirkung als Parkinson-Medikament in zwei klinischen Studien in den Jahren 1969 und 1972 überprüft und in den nachfolgenden Jahrzehnten durch Einsatz der Substanz bei einer großen Zahl von Parkinson-Patienten empirisch bestätigt.

Im 20-jährigen klinischen Einsatz von Amantadin war der Wirkmechanismus nicht genau bekannt. Zunächst führte man seine Wirksamkeit auf die Steigerung der Verfügbarkeit von Dopamin im synaptischen Spalt zurück. Erst moderne Erkenntnisse über die Chemoarchitektur der Basalganglien und des extrapyramidal-motorischen Systems im Jahre 1989 führten seit Anfang der 90er-Jahre zu neuem Interesse an der Substanz. Dabei konnten Regelkreise des extrapyramidal-motorischen Systems aufgezeigt werden. Vom Striatum gehen zwei Efferenzen aus: eine direkte Verbindung zum Pallidum externum und eine indirekte Verbindung über das Pallidum externum und den Nucleus subthalamicus zum Pallidum internum. Das Dopamindefizit von Parkinson-Patienten bewirkt in diesem Regelkreis eine Überaktivität des Nucleus subthalamicus und somit eine glutamaterge Überaktivität mit nachfolgender Hemmung der thalamischen Kerne und resultierender Bewegungsstörung.

Rückschlüsse legten die Vermutung nahe, dass eine pharmakologische Dämpfung des glutamatergen Systems ein wirksames Therapieprinzip bei der Behandlung des Morbus Parkinson sein kann. Mitarbeiter aus dem Labor von Prof. Riederer aus Würzburg konnten nachweisen, dass Amantadin in therapeutischen Konzentrationen den NMDA-Rezeptor blockiert. Damit wurde eine neue Ära durch den rationalen Einsatz von Amantadin als Glutamat-Antagonist begonnen.

Amantadin bessert Levodopa-Spätsyndrom

In den letzten 10 Jahren brachten kontinuierlich wachsende neue Erkenntnisse aus der Arbeitsgruppe von Thomas N. Chase aus Bethesda in den USA über die Ursachen des so genannten Levodopa-Spätsyndroms mit seinen motorischen Komplikationen (Fluktuation und Dyskinesien) wiederum neue Impulse für den Einsatz von Amantadin. Dyskinesien sind die wichtigste Komplikation der chronischen Levodopa-Behandlung. Die genauen Mechanismen bei der Entstehung der Parkinson-Symptomatik mit ihren motorischen Komplikationen sind inzwischen weitgehend geklärt worden. Das so genannte "Medium spiny neuron" nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Hier finden sich glutamaterge und dopaminerge Synapsen in enger räumlicher Verbindung. Eine nicht physiologische pulsatile Stimulation der Dopamin-Rezeptoren mit Dopaminergika mit kurzer Halbwertszeit (z. B. bei Levodopa beträgt die t ½ ca. 2 Stunden) sowie eine Sensibilisierung der NMDA-Rezeptoren durch Phosphorylierung sind hierbei zentrale Aspekte.

Verschiedene klinische Studien haben in den letzten Jahren bestätigt, dass Amantadin Levodopa-induzierte Dyskinesien verbessert. So konnten in einer plazebokontrollierten Crossover-Studie eine signifikante Reduktion der Schwere der Dyskinesien um 60 Prozent sowie signifikant kürzere "Off"-Phasen nachgewiesen werden. In einer Nachuntersuchung nach 12 Monaten zeigte sich eine Stabilisierung des antidyskinetischen Effektes von Amantadin. Andere doppelblind kontrollierte Studien bestätigten diese Befunde.

Amantadin verbessert Vigilanz und Antrieb

Schlaganfall- oder Hirntraumen-Patienten mit Bewusstseins- und Antriebsstörungen profitieren von einer parenteralen und oralen Amantadinsulfat-Gabe. Eine Verbesserung der Bewusstseinsstörung, Aufmerksamkeit, Motivierungsfähigkeit und Antriebslage können mit einer Amantadin-Therapie intensivmedizinische Maßnahmen zu einem früheren Zeitpunkt überflüssig machen.

Die Vigilanz- und Antriebssteigerung durch Amantadinsulfat und die damit verbundenen Verbesserungen der Kooperationsfähigkeit und Selbstständigkeit der Patienten führen zu einem geringeren Pflegebedarf, kürzeren Liegezeiten und einem früheren Beginn rehabilitativer Maßnahmen. Klinische Erfahrungen und Studien konnten auch eine erhöhte Effektivität der eingesetzten Rehabilitationsmaßnahmen zeigen.

Arzneimittelpreis 2001 für PK-Merz

Das H. G. Creutzfeldt-Institut für klinische und theoretische Neurologie und Psychiatrie zu Kiel würdigt mit PK-Merz ein in Deutschland zugelassenes Praxismedikament als ein seit 30 Jahren im klinischen Gebrauch lang bewährtes und gleichzeitig neues Parkinson-Medikament mit einem hohen Maß an Arzneimittelsicherheit.

Inzwischen ist der Wirkmechansimus für den modernen Wirkeinsatz von PK-Merz bekannt, wobei die antidyskinetische Wirksamkeit darüber hinaus durch reproduzierbare Ergebnisse in doppelblinden, kontrollierten klinischen Studien bestätigt werden konnte. Die Preisverleihung erfolgte in Hamburg am 25. September 2001 durch den 1. Sprecher des Kieler Institutes, Professor Dr. Wulf-D. Möller.

Kastentext: Symptome des Levodopa-Spätsyndroms

  • Fluktuationen "Wearing-off" (vorhersehbarer Verlust der Wirksamkeit am Ende des Dosierungsintervalls)
  • Unvorhersehbarer abrupter Wechsel zwischen "on"- und "off"-Phasen
  • Dyskinesien
  • "Peak-dose"-Hyperkinesen (unwillkürliche Bewegungen bei maximaler Levodopa-Konzentration im Blut)
  • Biphasische Hyperkinesen (unwillkürliche Bewegungen zu Beginn oder am Ende eines Dosierungsintervalls)
  • "End of dose"-Akinesen (Bewegungslosigkeit bei minimalen Levodopa-Konzentrationen im Blut)

Quelle: Nach Vorträgen von Prof. Dr. P. Dominiak, Prof. Dr. W.-D. Möller, Prof. Dr. D. Müller, Prof. Dr. L. Lachenmayer und Prof. Dr. J. Jörg anlässlich der Verleihung des H. G. Creutzfeldt-Arzneimittelpreises 2001 am 25. September 2001 in Hamburg.

Amantadinsulfat ist ein altes Medikament, das vorzugsweise in der Früh- und Langzeitbehandlung von Parkinson-Patienten eingesetzt wird. Der N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Antagonist hat sich nicht nur im Frühstadium gegen die Bradykinese und Rigor sowie im Rahmen akinetischer Krisen als besonders günstig gezeigt, es verbessert auch die Vigilanz- und die Motivierungsfähigkeit. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine neuroprotektive Wirkung.

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