Arzneimittel und Therapie

Tropenseuche Leishmaniose: Neue Therapie aus deutschem Forschungslabor

Im Gegensatz zu anderen Tropenseuchen ist die Leishmaniose nur wenig bekannt. Dabei ist die durch einzellige Parasiten verursachte Infektion, die in vier unterschiedlichen Formen auftritt, ebenfalls eine Massenkrankheit. Sie ist in 88 Ländern verbreitet, rund 350 Millionen Menschen leben in gefährdeten Gebieten, und jedes Jahr treten rund zwei Millionen Neuerkrankungen auf.

Eine besonders gefährliche Form dieser Parasitose ist die so genannte viszerale Leishmaniose, nach einem Begriff aus dem Hindi auch als "Kala Azar" - "schwarze Krankheit" bekannt. Diese - ohne Behandlung immer tödlich verlaufende - Erkrankung kommt allerdings auch in den gemäßigten Zonen vor, so in allen Mittelmeerländern von Spanien bis Israel. Da diese Länder das Ziel zahlreicher Urlauber sind, wird die viszerale Leishmaniose auch regelmäßig von heimkehrenden Touristen eingeschleppt.

Tropenseuche im Aufwind

Die einzelligen Erreger der Leishmaniose werden von diversen Arten so genannter Schmetterlingsmücken (Phlebotomen) übertragen, winzigen blutsaugenden Insekten, die in nahezu allen warmen Gebieten der Welt vorkommen. Während die Schleimhaut-Leishmaniose nur in Südamerika zu finden ist, gibt es die Haut-Leishmaniose und die viszerale Leishmaniose in aller Kontinenten mit Ausnahme von Australien.

Die Erreger halten sich in verschiedenen Nagetieren und Haustieren (Hund, Pferd, Schwein) auf, an denen die Schmetterlingsmücken Blut saugen. Der Mensch infiziert sich, wenn Parasiten beherbergende Mücken bei einem Stich die Erreger übertragen. Im Falle von Kala Azar breiten sich die Leishmanien rasch in allen inneren Organen aus. Im Knochenmark wachsen die Leishmanien zu solchen Massen heran, dass die Blutbildung quasi zum Erliegen kommt.

Durch sehr unterschiedliche Faktoren bedingt, sind alle Formen der Leishmaniose seit einigen Jahren im Aufwind. Im Südsudan ist es der Bürgerkrieg, der Hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen macht und sie krankheitsübertragenden Insekten besonders exponiert. In Nordostbrasilien hat Kala Azar, ursprünglich eine ausschließlich auf das Landesinnere beschränkte Krankheit, die Elendsquartiere der großen Städte erreicht, wo herrenlose Hunde ein geeignetes Erregerreservoir darstellen.

Komplikation mit AIDS

In Südeuropa spielt die AIDS-Epidemie die entscheidende Rolle. Denn nicht jede Infektion mit Leishmanien führt automatisch auch zu einem Kala Azar. Häufig können die Abwehrkräfte die Parasiten so weit in Schach halten, dass sich Krankheitszeichen nicht entwickeln. Bricht wie bei HIV-Infizierten aber das Immunsystem zusammen, so gewinnen die Leishmanien die Oberhand. So sind in den Mittelmeerländern bereits zwischen 25 und 70% aller erwachsenen Kala-Azar-Patienten mit HIV infiziert und zwischen 2 und 9% aller Patienten mit AIDS zeigen einen frisch erworbenen oder reaktivierten Kala Azar.

Hohe Todesrate

Doch was in unseren Breiten "exotische" Einzelfälle sind, ist für die Ärzte zahlreicher Entwicklungsländer ein Massenproblem. So traten beispielsweise im Südsudan in den vergangenen Jahren mehrere Kala-Azar-Epidemien auf, bei denen mehr als 300000 Menschen erkrankten und etwa 100000 starben.

Die hohe Todesrate liegt unter anderem daran, dass die derzeit eingesetzten Medikamente, fünfwertige Antimonverbindungen und das Antimykotikum Amphotericin B, häufig starke Nebenwirkungen haben und außerdem nur bei einem Teil der Patienten wirken. Zudem haben sich resistente Parasiten im vergangenen Jahrzehnt rund um den Globus ausgebreitet. So sind im indischen Bundesstaat Bihar, eine besonders betroffenen Region, bei 40% aller Patienten die fünfwertigen Antimonpräparate bereits wirkungslos.

Miltefosin gegen einzellige Erreger

In dem eher düsteren Szenario taucht durch Arbeiten deutscher Forscher nun ein erster Hoffnungsschimmer auf. Professor Hansjörg Eibl vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und Professor Clemens Unger von der Göttinger Uniklinik haben ein Medikament entwickelt, das allem Anschein nach einen deutlichen Fortschritt in der Behandlung des Kala Azar darstellt. Miltefosin wurde entdeckt, als die Forscher gezielt nach Substanzen suchten, die mit den natürlicherweise vorkommenden Phosphocholinen verwandt sind.

Ähnlichkeiten zu Krebszellen

Miltefosin war ursprünglich als Medikament für die Krebsbehandlung gedacht und wird inzwischen auch erfolgreich bei der Behandlung von Hautmetastasen bei Brustkrebs eingesetzt. Nun testeten die beiden Forscher die Wirkung von Miltefosin auf die einzelligen Malaria- und Leishmaniose-Erreger. Sich sehr schnell vermehrende einzellige Erreger wie Leishmanien und Trypanosomen (die Verursacher der Schlafkrankheit) haben nämlich aus der Sicht des Immunsystems Ähnlichkeiten mit Tumorzellen. Medikamente, die ursprünglich zur Behandlung solcher Parasiten gedacht waren, haben sich als wirksame Substanzen bei bestimmten Krebserkrankungen entpuppt. Dazu gehört das seit 1927 eingesetzte Schlafkrankheitsmittel Suramin beim Prostatakrebs.

Oral gut wirksam

Allerdings waren die beiden Göttinger Forscher überrascht, wie rasant Miltefosin den Leishmanien in Reagenzglasexperiment den Garaus machte. Die darauf begonnenen Tierversuche - bestimmte Inzuchtmäuse machen eine dem Menschen ähnliche viszerale Leishmaniose durch - waren jedoch eine herbe Enttäuschung. Spritzte man den Tieren das Medikament, so bildeten sich an der Einstichstelle häufig tiefe Geschwüre, und die antiparasitäre Wirkung war nicht besser als die der klassischen Antimonpräparate. Als man sich daraufhin entschloss, den Tieren die neue Substanz über den Magen-Darm-Trakt zuzufügen, zeigte sich Miltefosin als wahres Wundermittel. Innerhalb von drei Tagen bildeten sich Krankheitszeichen zurück.

Studien in Indien

Mittlerweile wurden mehrere Studien an Kala-Azar-Kranken in Indien durchgeführt. Die neueste Untersuchung, an der 120, zum Teil schwer kranke Patienten beteiligt waren, zeigte eine Heilungsrate von 97%, wenn 100 Milligramm Miltefosin pro Tag über einen Zeitraum von vier Wochen verabreicht wurden. Das Medikament schlug auch bei jenen Patienten an, die vorher erfolglos mit einem Antimonpräparat behandelt worden waren.

Enges therapeutisches Fenster

Allerdings zeigte diese erste große Feldstudie auch die Grenzen von Miltefosin auf. Das therapeutische Fenster, also die Konzentration, in der die Substanz wirksam ist und gerade noch tolerierbare Nebenwirkungen verursacht, ist ausgesprochen eng. Magen-Darm-Probleme traten bei nahezu allen Patienten auf, und reversible Schädigungen der Leber und der Nieren waren bei einigen Personen zu beobachten. Schwangere Frauen dürfen Miltefosin auf keinen Fall einnehmen, da die Substanz im Tierversuch nachgewiesenermaßen den Embryo schädigt.

Durchbruch in der Behandlung?

Auch ist unklar, ob das Medikament bei Leishmanien-Spezies, die in Südamerika beziehungsweise in Europa Kala Azar verursachen, genauso wirksam ist wie bei der indisch-afrikanischen Erregerart. Gleichwohl hat die sonst eher zurückhaltende, hoch angesehene Fachzeitschrift "The New England Journal of Medicine" in einem Leitartikel Miltefosin als Durchbruch bei der Bekämpfung der viszeralen Leishmaniose beurteilt.

Im Gegensatz zu anderen Tropenseuchen ist die Leishmaniose nur wenig bekannt. Dabei ist die durch einzellige Parasiten verursachte Infektion, die in vier unterschiedlichen Formen auftritt, ebenfalls eine Massenkrankheit. Sie ist in 88 Ländern verbreitet, rund 350 Millionen Menschen leben in gefährdeten Gebieten, und jedes Jahr treten rund zwei Millionen Neuerkrankungen auf.

Arme Tropen

Die Entdeckung eines antiparasitären Medikaments durch Wissenschaftler eines deutschen Max-Planck-Instituts wirft gleichzeitig ein Licht auf die Situation der Arzneimittelforschung bei Behandlung von Tropenkrankheiten. Die pharmazeutische Industrie hat sich aus dem Gebiet aktiver Forschung bei Tropenkrankheiten längst verabschiedet. Sollte man wirklich auf einen interessanten neuen Wirkstoff stoßen, so ist aus den Chefetagen der Pharmariesen zu hören, sei mit dem Medikament doch kein Geld zu verdienen: Die Menschen, die die Substanz letztendlich brauchen, leben ja im Armutsgürtel unseres Globus, und weder sie noch ihre Regierungen haben ausreichend Geld, um eine Arznei nach westlichen Maßstäben zu bezahlen.

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