Aus der Hochschule

Schirmeister löst Dannhardt ab

Harmonischer Wechsel am Lehrstuhl Pharmazeutische-Medizinische Chemie in Mainz

In Anwesenheit zahlreicher Gäste, Kollegen und Mitarbeiter hielt Prof. Dr. Tanja Schirmeister am 5. Juli an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ihre Antrittsvorlesung. Anschließend fand ein wissenschaftliches Symposium zur Verabschiedung ihres Vorgängers Prof. Dr. Gerd Dannhardt statt.

Sowohl der Dekan des Fachbereichs Chemie, Pharmazie und Geowissenschaften, Prof. Dr. Wolfgang Hofmeister, als auch der Geschäftsführende Leiter des Instituts für Pharmazie und Biochemie, Prof. Dr. Bernd Epe, lobten das Konzept dieser eher ungewöhnlichen Festveranstaltung: Eine gemeinsame Feierstunde für Antrittsvorlesung und Verabschiedung sei ein Novum an der Universität Mainz. Hofmeister beschrieb dieses Konzept bildhaft mit der „Übergabe des Staffelstabs“ an den Nachfolger. Laut Epe setzt eine solche Veranstaltung ein Zeichen für kollegiale Zusammenarbeit, Verwobenheit und Kontinuität der wissenschaftlichen Forschung innerhalb des Instituts.

Wirkstoffe gegen Leishmaniose …

Prof. Dr. Tanja Schirmeister

In ihrem spannenden und informativen Festvortrag mit dem Titel „Alte und neue Wirkstoffe gegen Leishmaniose und Schlafkrankheit: von Antimon und Arsen bis AZiridin“ schlug Schirmeister einen weiten Bogen, der von interessanten Details der Medizingeschichte und der Beschreibung von klinischen Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten überleitete zu neuen therapeutischen Ansätzen.

Die Leishmaniose ist eine weltweit bei Mensch und Tier vorkommende Infektionserkrankung, die durch Protozoen der Gattung Leishmania verursacht und durch Sandmücken übertragen wird.

Erscheinungsformen sind die viszerale Leishmaniose (auch bekannt als „Schwarzes Fieber“, „Kala Azar“, „Dum-Dum-Fieber“), die Schleimhaut-Leishmaniose und die kutane Leishmaniose, die bereits Karl May in seinem Buch „Von Bagdad nach Stambul“ als „Aleppobeule“ beschrieben hat. Die Tatsache, dass im Mittelmeerraum viele Hunde infiziert sind, zeigt, dass diese Erkrankung nicht auf die Tropen und Subtropen beschränkt ist.

Pentamidin (1930) und Amphotericin B (1959) gehören zu den klassischen Therapeutika der Leishmaniose. Miltefosin, ein Alkylphosphocholin, wurde im Jahr 2002 zur Therapie der Leishmaniose beim Menschen zugelassen, in Südeuropa und der Schweiz auch zur Behandlung infizierter Hunde. Als Mittel der Wahl gilt derzeit N-Methylglucamin-antimonat (Glucantim®), das als Prodrug in der Oxidationsstufe +V vorliegt, im Körper zur bioaktiven Verbindung (Oxidationsstufe +III) reduziert wird und die Leishmanien vernichtet, indem es ihre Trypanothion-Reduktase hemmt.

… und Schlafkrankheit

Ein nicht bewältigtes medizinisches Problem stellt nach Aussage von Schirmeister auch die afrikanische Schlafkrankheit dar. Zwar war sie in den 50er Jahren schon fast verschwunden, doch Ende der 90er Jahre stiegen die Fallzahlen massiv an. Erreger der Schlafkrankheit sind die mit den Leishmanien verwandten Trypanosomen, die durch den Stich der Tsetse-Fliege übertragen werden. Typische Symptome der Erkrankung (Stadium I) sind Fieberschübe, Schüttelfrost, Lymphknotenschwellungen und Gliederschmerzen; behandelt wird in diesem Stadium ebenfalls mit Pentamidin. Im Stadium II treten Symptome einer Hirnhautentzündung auf, verbunden mit den typischen Schlafstörungen. Arsenpräparate wie Melarsoprol – ein Arzneistoff mit den Strukturelementen Arsen und Melamin – werden in diesem Stadium eingesetzt. Am Beispiel des heute noch verwendeten Wirkstoffs Suramin, der 1917 als erste wirksame Waffe gegen die Schlafkrankheit entwickelt und später in "Germanin" umbenannt wurde, legte Schirmeister dar, wie Medikamente gegen Tropenkrankheiten in der Kolonialzeit als politische Waffe eingesetzt wurden.

Eflornithin, ein Hemmstoff der Ornithin-Decarboxylase, wurde ab 1970 zunächst als Zytostatikum eingesetzt und diente ab 1990 – neben Melarsoprol – als hochpotenter Wirkstoff gegen die Schlafkrankheit, bis die Produktion aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde. Erst als Eflornithin als Mittel gegen Hirsutismus bei Frauen wieder auf den Markt kam, stand es auch für die Therapie der Schlafkrankheit wieder zur Verfügung. Laut Schirmeister muss das Arsenal an Wirkstoffen gegen die Schlafkrankheit erweitert werden, und an den entsprechenden Forschungen ist sie selbst beteiligt. So sollen Wirkstoffe mit neuen Leitstrukturen, insbesondere Aziridinylpeptide, die Cysteinproteasen der Leishmanien und Trypanosomen inhibieren.

Weitere Forschungsschwerpunkte Schirmeisters sind die Entwicklung von Inhibitoren der Dengue-Virus-Typ-2-Protease, von Hemmstoffen der HIV-1-Protease und der α-Golgi-Mannosidase II. Zur Leitstrukturfindung und Strukturoptimierung wird das Computer-gestützte Drug Designs eingesetzt; FRET (Fluorescence resonance energy transfer)-basierte Enzymassays dienen zum Screening der Testverbindungen.

Am Ende ihres Vortrages bedankte sich Prof. Schirmeister sehr herzlich bei ihren Mitarbeitern und den zahlreichen Kooperationspartnern, aber auch bei ihrer Familie für die Unterstützung, die sie in der zurückliegenden Zeit erfahren hat.

Neue Wege der Enzymhemmung

Ein interessantes Konzept für die moderne Wirkstoffentwicklung stellte Prof. Dr. Carsten Schmuck, Universität Duisburg-Essen, vor. Er hat sich darauf spezialisiert, die grundlegenden nicht-kovalenten Wechselwirkungen zwischen chemischen Rezeptoren und Biomolekülen anhand von Modellsystemen zu untersuchen und die Erkenntnisse dann auf die Interaktion mit größeren Biomolekülen auszuweiten. So gelang es ihm z. B., die Serinprotease Tryptase im nanomolaren Bereich mit einem multivalenten Peptid zu hemmen. Im Unterschied zu den Inhibitoren, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die aktiven Zentren der Proteasen binden, konnte Schmuck einen bisher für die Tryptase unbekannten Hemmmechanismus nachweisen. Basierend auf einer Oberflächenerkennung der Protease, konnte den Substraten der Weg zum aktiven Zentrum wie durch einen Stöpsel verschlossen und somit ihre Spaltung verhindert werden.

Würdigung des Lebenswerks von Prof. Dannhardt

Prof. Dr. Gerd Dannhardt

Im zweiten Teil der Festveranstaltung würdigte Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wiegrebe, Regensburg, in sehr persönlichen Worten die wissenschaftliche Leistung von Prof. Dr. Gerd Dannhardt. Zunächst in Regensburg, später in Frankfurt beschäftigte sich Dannhardt mit Retro-Diels-Alder-Synthesen und der Darstellung von Phenanthroindolizinen. Die von ihm dargestellten Dihydropyrrolizinderivate, abgeleitet aus einem Naturstoff, waren die Basis für ein Forschungsgebiet, auf dem er viele Jahre lang sehr erfolgreich arbeitete: die Synthese und Testung antiinflammatorischer Substanzen.

Nach der Frankfurter Zeit wechselte Dannhardt 1992 an die Universität Mainz, wo er neun Jahre als Geschäftsführender Leiter die Geschicke des Instituts wesentlich mitbestimmte und für zwei Jahre als Dekan des Fachbereichs tätig war. Er baute das Forschungsgebiet der Antiinflammatorika aus und schuf mit der Entwicklung von NMDA-Rezeptorantagonisten einen neuen Forschungsschwerpunkt. Viele der Anwesenden erinnerten sich sehr gern, so Wiegrebe, an das von Dannhardt ins Leben gerufene „Mainzer Forum“, ein wissenschaftliches Symposium mit zahlreichen renommierten internationalen Teilnehmern.

Neue Angiogenesehemmer

Dass auch nach Beendigung der universitären Laufbahn für einen begeisterten Forscher wie Dannhardt die Forschung nicht ruht, ist selbstverständlich: Ein neues, vielversprechendes Projekt zur Entwicklung von Angiogeneseinhibitoren wird von der „Stiftung Rheinland-Pfalz für Innovation“ gefördert. Es handelt sich um abgewandelte Maleinimide („Moguntinone“), die durch Hemmung von speziellen Proteinkinasen die Signaltransduktion beeinflussen und die Gefäßneubildung in malignen Tumoren hemmen.

Wichtigster Kooperationspartner für dieses Projekt ist PD Dr. Markus Möhler, Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Mainz. Möhler lobte in seiner Ansprache die seit fünf Jahren bestehende sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit Dannhardt und seinen Mitarbeitern, die mittlerweile zu vielversprechenden präklinischen Daten für die Moguntinone geführt hat. Möhler verdeutlicht in seinem Vortrag, welch große Bedeutung die Angiogenesehemmung für die Behandlung von Tumorerkrankungen besitzt: Lapatinib wird inzwischen zur Ersttherapie des metastasierenden Kolonkarzinoms eingesetzt, für Regorafenib ist in Kürze die Zulassung zur Behandlung des Kolonkarzinoms zu erwarten.

Proteinkinasen – Zielstrukturen neuer Arzneistoffe

Prof. Dr. Stefan Laufer – früherer Doktorand und Habilitand von Dannhardt, heute Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische-Medizinische Chemie an der Universität Tübingen – referierte über die vielfältigen Funktionen von Proteinkinasen und präsentierte in sehr anschaulicher Weise die Bedeutung des Rationalen Drug Design von Kinaseinhibitoren, die neben der Angiogenesehemmung auch gegen Entzündungen und zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden können.

Nach Einschätzung von Laufer sind Proteinkinasen „die Drug Targets des 21. Jahrhunderts“. Die Bedeutung des „druggable genom“ und die Tatsache, dass derzeit 518 Gene für Proteinkinasen bekannt sind, von denen 244 krankheitsassoziiert sind, lassen das Forschungspotenzial auf diesem Gebiet erahnen.

Mit Glivec® (Imatinib) und neuen Entwicklungen wie Ruxolitinib zur Behandlung der Myelofibrose und Tascocitinib zur Therapie der rheumatoiden Arthritis und Psoriasis – beides Hemmstoffe von Januskinasen (JAKs) – stehen derzeit 14 Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe zur Verfügung. Allerdings stellt die zu geringe Selektivität der Kinaseinhibitoren ein Problem dar: Alle auf dem Markt befindlichen Kinaseinhibitoren sind, so Laufer, mehr oder weniger ATP-kompetitiv und wenig selektiv. Selbst Lapatinib, das als selektiver Kinaseinhibitor vermarktet wird, hemmt immerhin acht Kinasen.

Nach dem Symposium bedankte sich Prof. Dannhardt mit herzlichen Worten bei seinen Mitarbeitern und Weggefährten, allen voran Prof. Wiegrebe, Prof. Mutschler (Mainz) und in memoriam Prof. Oelschläger (ehemals Frankfurt). Alle Kollegen und Mitarbeiter des Arbeitskreises bedanken sich für die hervorragende Zusammenarbeit und wünschen Prof. Dannhardt weiterhin viel Glück, Gesundheit und Erfolg bei seinen Forschungen. Ebenso wünschen alle Kollegen und Mitarbeiter des Instituts Frau Prof. Schirmeister viel Motivation für ihre spannenden Forschungsgebiete sowie einen guten Anfang und eine glückliche Zeit in Mainz.


Dr. Werner Kiefer

Institut für Pharmazie und Biochemie, Mainz



DAZ 2012, Nr. 34, S. 57

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