Experten an der Schnittstelle zur Politik

Warum professionelle Lobbyarbeit wichtig ist

Stuttgart - 29.01.2024, 07:00 Uhr

Das A und O für erfolgreiches Public-Affairs-Management sind umfangreiche Kenntnisse über politische Abläufe und Zusammenhänge zwischen Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Opposition sowie ein stabiles und verlässliches politisches Netzwerk. (Foto: Adobe Stock/fuchsfotography)

Das A und O für erfolgreiches Public-Affairs-Management sind umfangreiche Kenntnisse über politische Abläufe und Zusammenhänge zwischen Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Opposition sowie ein stabiles und verlässliches politisches Netzwerk. (Foto: Adobe Stock/fuchsfotography)


Im Gesundheitswesen stehen in diesem Jahr zahlreiche wichtige Entscheidungen an. Mit der angekündigten Apothekenstrukturreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach könnte das Jahr 2024 für den Berufsstand eine Zeitenwende bedeuten. Die Frage ist: Wie kann man politische Entscheidungen beeinflussen und die eigenen Interessen möglichst erfolgreich vertreten?

Das Jahr 2023 war aus Sicht vieler Apotheken kein gutes Jahr. Schlagwörter wie Arzneimittellieferengpässe, Personalmangel und Apothekensterben dominierten die Schlagzeilen. Bundesweite Protestaktionen sorgten zwar für kurze mediale Aufmerksamkeit, die erhofften gesundheitspolitischen Reformen blieben jedoch aus. Doch wie beeinflusst man Politik? Warum sind manche Organisationen erfolgreich und andere nicht? Die Antwort ist einfach: Erfolgreiche Interessensverbände oder Unternehmen beschäftigen seit Jahren Public-Affairs-Experten in ihren Unternehmen.  

Public Affairs wird immer wichtiger

Politikberatung? Politikkontaktarbeit? Lobbyismus? Das klingt doch nach schwarzen Geldkoffern und Absprachen in Hinterzimmern! Falsch! Public-Affairs-Management – also die strategisch angelegte und systematische Arbeit an der Schnittstelle zwischen Unternehmen einerseits sowie Politik und Gesellschaft andererseits – hat in den letzten Jahren massiv an Wichtigkeit gewonnen. 

Die Public-Affairs-Verantwortlichen bieten politischen Entscheidungsträgern Zugang zu versierten Gesprächspartnern, vermitteln aktuelle Positionen und Fakten sowie weiterführende Informationen aus der Praxis. Wenn man sich im Gesundheitswesen umschaut, gibt es kaum eine Organisation, die keinen eigenständigen Public-Affairs-Bereich hat. 

Der GKV-Spitzenverband sowie alle anderen Krankenkassenverbände (vdek, AOK-Bundesverband, BKK-Dachverband oder IKK e. V.), aber auch einzelne Krankenkassen haben eigene Politik-Stabsbereiche eingerichtet. Auch die Interessenverbände der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser oder Arzneimittelhersteller beschäftigen Public-Affairs-Experten. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) hat im vergangenen Jahr sogar eigens einen erfahrenen aktiven Gesundheitspolitiker hierfür abgeworben. 

Und auch Gesundheitsunternehmen wie zum Beispiel Bayer oder Arzneimittelversender wie DocMorris oder Redcare Pharmacy (ehemals Shop Apotheke) beschäftigen erfahrene Politikexperten. Es verwundert daher schon, warum ausgerechnet die ABDA keine eigenständige Politikabteilung für ihre Interessensvertretung hat. 

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Doch was genau bedeutet professionelle Public-Affairs- 
Arbeit? Und warum reicht kurzfristiges ehrenamtliches politisches Engagement nicht aus, um seine Interessen optimal zu vertreten? Interessenvertretung ist wie eine gute Freundschaft – man muss sich gut kennen, sich vertrauen, für­einander da sein und die Freundschaft pflegen. 

Ein langwieriges Geschäft

Erfolgreiche Interessenvertretung ist also ein langwieriges Geschäft. Das A und O hierfür sind zum einen umfangreiche Kenntnisse über die politischen Abläufe und Zusammenhänge zwischen Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Opposition und zum anderen ein stabiles und verlässliches politisches Netzwerk, das in der Regel über Jahre aufgebaut wird.

Es macht keinen Sinn, sich nur bei akuten Problemen an den Gesundheitsminister zu wenden (oder beim Thema „Arzneimittelpreisverordnung“ an den Wirtschaftsminister), um diesen beeinflussen zu wollen. Auch kurzfristige – wenn auch laute Proteste – sind oft erfolglos. Vielmehr muss ein regelmäßiger offener Austausch mit allen politischen Stakeholdern stattfinden. Dazu gehören auch Oppositionspolitiker, denn wer in dieser Legislaturperiode in der Opposition sitzt, kann bereits in der nächsten Wahlperiode Mitglied der Regierung sein und ein wichtiges politisches Amt ausüben. 

Auch reicht es nicht aus, sich nur an die aktuellen Gesundheitspolitiker zu wenden. Ebenso wichtige Ansprechpartner sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten, die Fachreferenten von Bundestagsfraktionen sowie die Fachebenen in den Bundes- oder Landesministerien.  

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Allein das regelmäßige Kontakthalten ist für ehrenamtliche Personen nicht leistbar. Dazu kommt die inhaltliche Arbeit. Diese beginnt bereits vor der Regierungsbildung. Tiefgreifende Veränderungen im Gesundheitswesen entstehen nicht über Nacht. Im Gegenteil: Erste Ideen für Reformen findet man in Wahlprogrammen von Parteien. Während der Koalitionsverhandlungen werden diese dann mit dem zukünftigen Koalitionspartner verhandelt und schlussendlich im Koalitionsvertrag beschlossen. Und was im Koalitionsvertrag steht, wird in der Regel auch umgesetzt!

Früher aktiv werden

Erfolgreiche Unternehmen versuchen daher bereits während der laufenden Wahlperiode, Parteien von ihren Reformvorschläge zu überzeugen, damit diese spätestens zur nächsten Wahl in deren Wahlprogrammen und idealerweise dann im Koalitionsvertrag stehen. Schaut man sich alte Wahlprogramme von SPD, Bündnis 90/Die Grünen oder FDP an, dann findet man hier die ersten Ideenskizzen zur derzeitigen Arzneimittelversorgung, zu Gesundheitskiosken oder zur Digitalisierung.

Erfolgreiche Public-Affairs-Abteilungen kennen die Inhalte des Koalitionsvertrages genau und entwickeln gleich zum Anfang jeder Wahlperiode eigene Positionen und Forderungen zu den jeweils relevanten Punkten im Koalitionsvertrag. Denn erfolgreiche In­teressenvertretung bedeutet, zur richtigen Zeit und am  
richtigen Ort gehört und verstanden zu werden, und dafür muss man jederzeit seine eigenen Interessen kennen und zu den relevanten Themen sprachfähig sein.  

Themen und Lösungsvorschläge platzieren  

Eine ausschließliche kritische Begleitung von laufenden Gesetzgebungsprozessen reicht aber auch nicht aus. Um erfolgreich seine Ziele umzusetzen, bedarf es vielmehr Verhandlungsgeschick und Lösungsansätze. Wer möchte, dass Probleme in seinem Sinne gelöst werden, platziert seine Themen und Lösungsvorschläge, bevor der Gesetzgeber aktiv wird und eigene oft nicht praxistaugliche Vorschläge unterbreitet. Nicht nur Fordern, sondern auch Anbieten lautet daher die Devise! 

Die Vergangenheit hat schon oft gezeigt, dass politische Stakeholder gerne praxisnahe Lösungs­vorschläge annehmen. Werden diese dann auch noch von verschiedenen Playern vorgeschlagen – also nicht nur von einem Unternehmen oder einer Interessensgruppe –, ist die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung sogar deutlich größer.

Pragmatisches Agieren

Professionelle Public-Affairs-Experten scheinen hier pragmatischer zu agieren als Ehrenamtler, die sich gerne innerhalb ihrer Community als Experte profilieren wollen. Klappern gehört natürlich zum Handwerk, und der Erwartungsdruck zahlender Mitglieder auf die Geschäftsstellen der Interessenorganisationen darf nicht unterschätzt werden. Dennoch sollten hier einige Ehrenamtler zum Wohle ihrer Gemeinschaft ihr Auftreten und ihre politische Kommunikation überdenken, denn das bloße lautstarke Kritisieren und Fordern läuft zunehmend ins Leere. 

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Vielmehr sollten Lösungsvorschläge erarbeitet, Netzwerke mit anderen Verbänden und Unternehmen geschmiedet sowie gemeinsame Aktionen geplant werden, um eigene politische Interessen zu platzieren. Die Bandbreite der möglichen Maßnahmen ist dabei groß: Hintergrundgespräche, White Paper, parlamentarische Frühstücke oder Parteitagsbesuche. Wichtig ist, zu wissen, wann ich wen mit welcher Botschaft wie erreichen kann.  

Zeit, sich professioneller aufzustellen 

Im Dezember 2023 war die Bundesregierung, bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, zwei Jahre im Amt. Aus Sicht der Apotheken fällt die Halbzeitbilanz insgesamt schlecht aus. Und eine Besserung ist aufgrund der aktuellen Herausforderungen (Bundesfinanzen, stagnierende Wirtschaft, Ukraine-Krieg, Energieversorgung usw.) nicht zu erwarten. 

Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 schlägt massive Kürzungen in zahlreichen Bereichen des Sozialen vor. Was bedeutet das für die Apotheken in Deutschland? Spätestens jetzt ist die Zeit gekommen, sich professioneller aufzustellen. Kurzfristig kann sicher die Hilfe von etablierten Public-Affairs-Agenturen in Anspruch genommen werden, langfristig sollte jedoch die professionelle Interessenvertretung durch eigene Fachabteilungen erfolgen.

Über die Autorin

Manuela-Andrea Pohl arbeitete viele Jahre im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und im Deutschen Bundestag und ist mit politischen Abläufen und Prozessen zwischen Bundesregierung und Parlament bestens vertraut. Zudem hat sie mehrjährige Berufserfahrung als politische Sprecherin bei einem Krankenkassenverband und als Leiterin von diversen Public-Affairs-Bereichen in Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft und verfügt über ein breites gesundheitspolitisches Netzwerk.


Manuela-Andrea Pohl, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Lobby-Arbeit

von Dorf am 29.01.2024 um 12:42 Uhr

Dass unsere Standespolitik uns jahrelang an die Politik verkauft hat, daran gibt es nichts zu bezweifeln. Dass die Politik aber nur auf Grund von Lobby-Arbeit zum sinnvollen , zielgerichteten Handeln zu bewegen ist und unsere klammen Kassen auch auf diese Weise belastet werden, das kann es auch nicht sein.
Der Staat ist für die Sicherstellung eines funktionierenden Gesundhietssystemes verantwortlich. Er muß ein Interesse daran haben, dass wirtschaftlich gearbeitet werden kann. Dienstleistung zum Nulltarif gibt es nicht! Das ganze System ist doch am Zerbröseln. Wenn wir nicht deutlich machen, dass wir unter diesen Bedingungen nicht weiterarbeiten, wird die zeitfressende Lobbyarbeit das Apothekensterben nicht aufhalten. "Bares für Rares"! Im RX-Bereich solange nur gegen Barzahlung liefern bis umsetzbare Verträge ausgehandelt werden. Es kann nicht sein, dass wir eine öffentliche Aufgabe durch den Verkauf im Non-RX-Bereich finanzieren, ohne auch die Instrumente in der Wirtschaft nutzen zu können, da es ja um 'besonders sensible Ware' geht.
Allein die e r n s t h a f t e Ankündigung einer solchen Aktion dürfte schon Bewegung in unser Anliegen bringen.

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professionelle Lobbyarbeit, DAV & ABDA

von Gundula Reitz am 29.01.2024 um 9:15 Uhr

Hier ist vollkommen richtig dargestellt, was essentiell wichtig ist, um berufspolitische Ziele mit Erfolg in die aktuellen Gesetzgebungen der Gesundheitspolitik zu implementieren. Den führenden Vertretetern in ABDA & dem DAV müssten diese Artikel eine Standpauke sein, weil genau das Jahrzehnte lang von ihnen versäumt wurde: Sich professionelle Lobbyvertreter für die Bundespolitik und professionelle Unterhändler für Lieferverträge mit den Krankenkassen vertraglich zu binden und diese permanent zu instruieren. Hier kann man nur noch auf ein Wunder und innere Einsicht unserer Standesvertreter hoffen, bevor der größte Teil der deutschen Apothekenlandschaft wirtschaftlich zusammenbricht.

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