Kommentar zur sinkenden Apothekenzahl

Apothekenzahl bald im freien Fall?

Süsel - 26.01.2024, 13:45 Uhr

Apothekenprotest am 14. Juni 2023 in Berlin. (Foto: imago images / Müller-Stauffenberg)

Apothekenprotest am 14. Juni 2023 in Berlin. (Foto: imago images / Müller-Stauffenberg)


Die ABDA hat über einen traurigen Rekord beim Rückgang der Apothekenzahl berichtet. DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn ordnet die neuesten Zahlen in einem Kommentar ein. Er sieht seit 2022 durch die Inflation eine neue Dynamik des Rückgangs, der nun auch die Filialen betrifft. Da ein Boden nicht in Sicht ist, sollte die Politik endlich reagieren.

Im Jahr 2023 sank die Zahl der Apotheken um 497 auf 17.571 am Jahresende, meldete die ABDA gestern. Das ist ein Rückgang um 2,75 Prozent in nur einem Jahr. Damit entsteht eine erschreckende Zeitreihe. Jahrelang ging die Apothekenzahl jährlich um etwa 300 zurück. Im Jahr 2022 sank sie um 393. Das war bereits ein Zeichen für eine neue Dynamik nach unten. Dies bestätigt sich nun mit dem Rückgang um 497 im Jahr 2023. Der Rückgang beschleunigt sich – und dies erstaunlich schnell. Eine naive Hochrechnung gibt keinen Anhaltspunkt mehr, wo das hinführen kann.

Rückgang mit neuer Dynamik

So traurig die Rückgänge um 300 Apotheken pro Jahr auch waren, es hatten sich viele Politiker wohl daran gewöhnt. Das schien berechenbar und beherrschbar. Das war allerdings ein Trugschluss, denn Apotheken sterben naturgemäß langsam. Die Zahl der Apotheken zeigt deren wahre Situation also immer erst verzögert. Wer die verschiedenen Auslöser zusammenträgt, muss befürchten, dass sich die Apothekenzahl bald im freien Fall befindet.

Der naheliegende Auslöser für die neue Dynamik des Rückgangs ab 2022 war die Rückkehr von Zinsen und Inflation. Diese zusätzliche Belastung können unterfinanzierte Apotheken nicht mehr tragen. Auch wenn die Inflation sinkt, werden Preise und Gehälter nicht mehr auf das frühere Niveau fallen. Diese Belastung wird also bleiben, solange die Apotheken nicht wesentlich mehr Geld erhalten.

Weiteres Ungemach droht von der Demographie. Von den geburtenstarken Jahrgängen kommen nun jedes Jahr mehr Apothekerinhaber ins Rentenalter. Viele davon finden keinen Nachfolger, denn viele Apotheken sind bei der geltenden Honorierung nicht zukunftsfähig. Das erklärt den Rückgang bei den Haupt- und Einzelapotheken und lässt hier für die Zukunft noch viele Schließungen befürchten.

Filialen als neuer Problemfall

Doch das ist noch nicht alles. Ein besonders erschreckender Aspekt an den jüngsten Daten betrifft die Filialen. Über viele Jahre war die Übernahme einer Apotheke als Filiale der Rettungsanker, wenn ein Inhaber in den Ruhestand ging. Im Jahr 2021 stieg die Zahl der Filialen noch um 100. Doch 2022 gab es auch in dieser Entwicklung einen Bruch. Die Filialzahl sank 2022 um 30 und nach den jüngsten Daten im Jahr 2023 sogar um 92.

Das erscheint so bedeutsam, weil Apotheken erst seit 20 Jahren als Filialen geführt werden können und die meisten davon erst seit viel kürzerer Zeit als Filialen bestehen. Demnach werden auch Apotheken, die noch vor einigen Jahren attraktiv erschienen und keinen Inhaber ernähren müssen, jetzt in zunehmendem Maße geschlossen. Bei diesen Apotheken hat die Übernahme als Filiale die Schließung nach dem Ruhestand des ursprünglichen Inhabers nur etwas verzögert. Doch jetzt trägt der Rückgang bei der Filialzahl erheblich zur neuen Abwärtsdynamik bei.

Auf dem Weg zur Versorgungskrise

Die Sorgen werden also noch größer: Droht bald der Rückgang im freien Fall? Zumindest zeigen die neuesten Zahlen eine Entwicklung, bei der kein Boden erkennbar ist. Die Rückgänge nehmen offenbar erst richtig Fahrt auf. Darum kann niemand sagen, wie weit das geht, und darum sollte jetzt allen in der Politik klar werden, dass sich hier gerade eine massive Gefahr für die Versorgung entwickelt. Die Apotheken brauchen mehr Geld – jetzt!


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Wer tut sich das noch an?

von Stefan Siebert am 26.01.2024 um 14:57 Uhr

Wer tut sich das denn noch freiwillig an? Bis vor ein paar Jahren gab es jedenfalls noch ausreichend "Schmerzensgeld" für die Selbstständigkeit. Wenn dieses jedoch wegfällt, was bleibt dann noch? Präquali, E-Rezept, Retaxation, explodierenden Personal-und Energiekosten, Personalmangel, Hashcode, Karl Lauterbach, ABDA....nicht wirklich überzeugende Argumente für den Sprung in die Apotheke.

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