Prognose des vfa

Neue Arzneimittel: Was bringt das Jahr 2024?

Stuttgart - 29.12.2023, 15:15 Uhr

Bei der EMA laufen zahlreiche Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel. (Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur)

Bei der EMA laufen zahlreiche Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel. (Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur)


Nach Einschätzung des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) könnten 2024 mehr als 40 neue Arzneimittel in Europa auf den Markt kommen, beispielsweise zur Behandlung von Alzheimer sowie von verschiedenen onkologischen und autoimmunen Erkrankungen. Welche davon auch in Deutschland erhältlich sein werden, ist in den Augen des vfa offen. Die Rahmenbedingungen könnten dazu führen, dass nicht mehr alle neu zugelassenen Medikamente zeitnah und dauerhaft verfügbar sein werden, warnt vfa-Präsident Han Steutel.

Mit welchen neuen Arzneimitteln ist im kommenden Jahr zu rechnen? Alljährlich veröffentlicht der Verband der forschenden Pharmaunternehmen seine Prognose. So auch in diesem Jahr. Der Verband erwartet demnach, dass mehr als 40 neue Arzneimittel gegen unterschiedlichste Krankheiten für einen Markteintritt in den EU-Ländern in Betracht kommen. Dies zeigten zahlreiche kürzlich erteilte Zulassungen und laufende Zulassungsverfahren. Neben neuen Therapieoptionen gegen Herzinsuffizienz, Wechseljahresbeschwerden, Migräne oder Anämie könnte es in folgenden Indikationen Innovationen geben:

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Alzheimer-Demenz

Hier könnten im kommenden Jahr endlich wieder neue Arzneimittel zur Verfügung stehen – in Europa die ersten seit 2002. Denn der 2021 in den USA zugelassene Antikörper Aducanumab (Aduhelm) erhielt von der europäischen Aufsichtsbehörde EMA keine Zulassung. Der vfa sieht ein bis zwei aussichtsreiche Antikörper-Kandidaten, für die derzeit Zulassungsverfahren laufen. Allerdings sollen auch sie den kognitiven Abbau lediglich verlangsamen, aber nicht stoppen können. Der Einreichung dieser Zulassungsanträge für Alzheimer-Therapeutika sollen mehr als 150 gescheiterte Projekte vorausgegangen sein.

Onkologische Erkrankungen

Wie in den vergangenen Jahren ist die Pipeline bei Arzneimitteln gegen Krebserkrankungen prall gefüllt – rund ein Viertel der Mittel, die im kommenden Jahr auf den Markt kommen könnten, stammen aus diesem Bereich. Sie repräsentieren unterschiedlichste Arzneimittelklassen, darunter Kinasehemmer, ein Antikörper-Toxin-Konjugat, mehrere Checkpoint-Inhibitoren (z. B. Tislelizumab) sowie zwei bispezifische Antikörper (u. a. Elranatamab), die die Bindung von Immunzellen an Krebszellen ermöglichen und so deren gezielte Eliminierung initiieren. Ebenso vielfältig sind die Indikationen, in denen diese neuen Arzneimittel eingesetzt werden sollen: Sie reichen von Brust- oder Prostatakrebs (Trastuzumab-Duocarmazin, Piflufolastat [18F]), Magen-, Darm- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs, über Gallengangkarzinome (Futibatinib), nicht-kleinzellige oder kleinzellige Lungenkarzinome, Nasopharynx- oder Merkelzell-Karzinome, Melanome (Relatlimab / Nivolumab) und das Multiple Myelom (Elranatamab) bis hin zu Myelofibrose (Momelotinib), dem Myelodysplastischen Syndrom sowie dem Non-Hodgkin-Lymphom.

Covid-19 und Post-Covid-Syndrom

Auch im Bereich COVID-19 bzw. Post-COVID werden Neuerungen erwartet. So dürfte es im kommenden Herbst wieder angepasste Impfstoffe geben und zudem möglicherweise noch einen neuen mRNA-Impfstoff auf Basis von selbstamplifizierender mRNA (sa-mRNA). Neben mRNA, die für das Spike-Protein codiert, enthält er zusätzlich Gene für das Enzym Replikase, das die mRNA vervielfältigen kann. Der in Japan bereits zugelassene Impfstoff soll über einen längeren Zeitraum für Antigenbildung sorgen als die bereits zugelassenen Vakzine. Zudem sollen niedrigere Dosen verabreicht werden können, was die Verträglichkeit steigern soll.

In der Therapie tut sich ebenfalls etwas: Für schwer erkrankte Personen könnte es eine zusätzliche Option geben, die überschießende Immunreaktion abzumildern. Zugelassen ist bislang Dexamethason.

Gegen das Post-COVID-Syndrom wird es dem vfa zufolge zwar nichts gänzlich Neues geben. Es sollen jedoch Arzneimittel, die bereits in anderen Indikationen auf dem Markt sind, für diese Indikation erstattungsfähig werden.

Autoimmunkrankheiten

Im Bereich der Autoimmunkrankheiten könnte es 2024 einige Neuzugänge geben: Bis zu drei Wirkstoffe gegen PNH (paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie), bis zu zwei gegen die Nerven und Muskeln betreffende Erkrankung Myasthenia gravis, sowie weitere gegen atopische Dermatitis und Multiple Sklerose.

Angeborene Gendefekte

2024 könnte neue Gentherapien bei den angeborenen Erkrankungen Sichelzell-Anämie und Beta-Thalassämie bringen, die auf der Genschere CRISPR/Cas9 basieren. Die EMA hat für Exagamglogen autotemcel Mitte Dezember die Zulassung empfohlen. Der Vorteil gegenüber den bisherigen gentherapeutischen Methoden ist, dass CRISPR/Cas9 einen zielgenaueren Eingriff ins Genom ermöglicht.

Neben Gentherapien, die eine Heilung der angeborenen Defekte ermöglichen, wird zudem an Arzneimitteln zur Linderung der Folgen genetisch bedingter Krankheiten geforscht. So könnten 2024 Präparate zur Behandlung von Kofaktor-Molybdän-Mangel und von CDKL5-Mangelsyndrom zur Verfügung stehen, sowie zwei Arzneimittel für den Einsatz bei Duchenne-Muskeldystrophie.

vfa-Präsident kritisiert Rahmenbedingungen

Ob all diese Innovationen auch in Deutschland zeitnah auf den Markt kommen und dort auch dauerhaft bleiben, ist in den Augen von vfa-Präsident Han Steutel allerdings fraglich: „Bis 2022 ließen es die deutschen Rahmenbedingungen zu, dass Unternehmen fast alle ihre neu zugelassenen Medikamente zeitnah und dauerhaft auf den Markt bringen. Doch seit dem Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes mit seinen folgenreichen Eingriffen auch in das Erstattungssystem hat sich das geändert. Es ist daher offen, welche neuen Medikamente tatsächlich Deutschland erreichen und auch nach der Nutzenbewertung als Therapieoptionen verfügbar bleiben“, so Steutel.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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