Tavor Expidet Täfelchen

Lorazepam: Knappe Schmelztabletten durch herkömmliche Tabletten ersetzbar?

Stuttgart - 03.08.2023, 17:00 Uhr

Schmelztablette oder herkömmliche Tablette – macht das bei Lorazepam einen Unterschied? (Foto: Velvetstock / AdobeStock)

Schmelztablette oder herkömmliche Tablette – macht das bei Lorazepam einen Unterschied? (Foto: Velvetstock / AdobeStock)


Zu den derzeit knappen Arzneimitteln zählen auch verschiedene Benzodiazepine. Bei den Wirkstoffen Alprazolam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Medazepam und Midazolam sind aktuell Engpässe gemeldet. Ein betroffenes Produkt ist die Lorazepam-Schmelztablette Tavor 1,0 mg Expidet. Wie lässt sich dieses in der Palliativversorgung oft verwendete Präparat ersetzen?

Mindestens bis zum 28. Februar 2024 – so lange müssen Apotheken und Kliniken gemäß Lieferengpassdatenbank noch auf die nächste Lieferung des Lorazepam-haltigen Präparates Tavor® 1,0 mg Expidet warten. Beliebt ist dieses aufgrund seiner Darreichungsform – es handelt sich um Schmelztabletten – unter anderem in der Palliativpharmazie.

Ausgewichen werden soll in der Zwischenzeit auf andere Lorazepam-Präparate, beispielsweise auf die Lorazepam-neuraxpharm 1 mg Tabletten. Aber ein Wechsel von Schmelz- auf herkömmliche Tabletten – geht das überhaupt so einfach?

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Eine Frage der Kinetik

Mit dieser Frage hat sich auch das Kompetenzzentrum Palliativpharmazie der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin beschäftigt. Eine wichtige Rolle spielt für die Beantwortung die Pharmakokinetik. Anders als so manche:r vermuten würde, erfolgt die Resorption von Lorazepam, auch aus Schmelztabletten, nur in vernachlässigbarer Menge über die Mundschleimhaut. Vielmehr zerfällt die Tablette im Mund, der Wirkstoff löst sich im Speichel und wird mit diesem hinuntergeschluckt. Die Resorption erfolgt dann im Dünndarm. Wirkstoffe, die in der Mundhöhle resorbiert werden sollen, wie etwa Fentanyl, werden daher als Sublingual- oder Buccaltabletten formuliert, die längere Zeit im Mund verweilen.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Resorption des bereits gelösten Wirkstoffes aus der zerfallenen Schmelztablette nicht doch schneller erfolgen kann als aus einer Tablette, bei welcher der Wirkstoff erst noch in Lösung gehen muss. Laut Hersteller bestehen keine Unterschiede in der Kinetik der beiden Darreichungsformen. Bedacht werden sollte allerdings, dass der Wirkeintritt bei einer Schmelztablette als schneller empfunden werden kann als bei einer Tablette.

Wenn das Schlucken nicht klappt

Auf der Ebene der Pharmakokinetik sind Tabletten demnach ein vollwertiger Ersatz für die schnell freisetzende Darreichungsform. Was aber, wenn Patient:innen diese nicht schlucken können oder wollen?

In solchen Fällen ist ein Suspendieren oder Mörsern der Tabletten möglich (Maßnahmen zum Eigenschutz beachten). Die Expert:innen der Palliativpharmazie empfehlen, eine Tablette mit 3 bis 5 ml Wasser in einer Spritze zerfallen zu lassen. Aus dieser kann das Arzneimittel anschließend direkt oral verabreicht werden.

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Falls ein Wechsel auf ein anderes Benzodiazepin nötig wird, sollte die Halbwertszeit und die jeweilige Indikation beachtet werden. Ist eine länger anhaltende Anxiolyse beabsichtigt, kann etwa die Halbwertszeit länger sein als bei der kurzfristigen Unterbrechung einer Panikattacke. 

Den Bedürfnissen der Patientinnen angepasst, kann hierbei ggf. direkt auf ein anderes Präparat gewechselt werden, das ohne das Schlucken von Tabletten auskommt – etwa durch Wahl eines subkutan oder als Tropfen applizierbaren Präparates. Weitere Informationen und eine Übersicht über Halbwertszeiten und verfügbare Darreichungsformen der verschiedenen Benzodiazepine finden sich im Informationsschreiben des Kompetenzzentrums Palliativpharmazie der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin.

Quellen

[1] Lieferengpassdatenbank von Pharmabund.net. Suche nach „azepam“ und „azolam“ in der Kategorie „Wirkstoffe“ am 03.08.2023. https://anwendungen.pharmnet-bund.de/lieferengpassmeldungen/faces/public/meldungen.xhtml

[2] Lieferengpass Tavor® Expidet –mögliche Alternativen? Informationen der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Kompetenzzentrum Palliativpharmazie. Stand Juli 2023. https://cdn.lmu-klinikum.de/0d932e4b2307de33/1f74fe7544a6/Frage-des-Monats-Juli-2023f_2.pdf

[3] Wird Lorazepam bei Anwendung der Schmelztabletten über die Mundschleimhaut resorbiert? Informationen der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Kompetenzzentrum Palliativpharmazie. Stand Juni 2021. https://cdn0.scrvt.com/4d3e519fe5939342b95c7312343779ef/231fcd8d0cbc6e7e/10997b7ab243/Frage-des-Monats-Juni-2021.pdf


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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