Interview zum Vergleichsangebot zur AvP-Insolvenz

Douglas: Vergleich ist wirtschaftlich betrachtet der einzig richtige Weg

Süsel/Freiburg - 04.07.2023, 07:00 Uhr

Apothekenrechtexperte Dr. Morton Douglas (Foto: fgvw.de)

Apothekenrechtexperte Dr. Morton Douglas (Foto: fgvw.de)


Das kürzlich bekannt gewordene Vergleichsangebot zur AvP-Insolvenz sieht vor, dass Apotheken auf Aussonderungsrechte verzichten. Obwohl diese Rechte lange im Mittelpunkt der Betrachtung standen, hält Apothekenrechtsexperte Dr. Morton Douglas den Vergleich wirtschaftlich für den einzig richtigen Weg. Denn die strittigen Rechte könnten die Zahlungen insgesamt wahrscheinlich nur um einen einstelligen Prozentsatz erhöhen, aber die Prozesse würden voraussichtlich noch viele Jahre dauern.

DAZ: Herr Douglas, kürzlich wurde ein Vergleichsangebot zur AvP-Insolvenz bekannt, mit dem das Insolvenzverfahren beschleunigt werden soll. Es sieht vor, dass die Apotheken auf mögliche Aussonderungsrechte verzichten. Wie entwickelte sich die Idee für den jetzt vorgeschlagenen Vergleich?

Douglas: Im April 2022 fand sich auf Initiative des Apothekerverbands Nordrhein eine Gruppe von mehreren Anwaltskanzleien zusammen, die mit der AvP-Insolvenz befasst sind und jeweils eine Vielzahl von Betroffenen vertreten. Die Idee war, dass Musterverfahren vorbereitet werden, in denen offene Rechtsfragen geklärt werden sollten, besonders zu den Aussonderungsrechten und den AGB. Die Kollegen sind überwiegend auf Insolvenzrecht spezialisiert. Für mich als Apothekenrechtler hat sich dann aber die Frage gestellt, was passiert, wenn die Musterprozesse erfolgreich abgeschlossen werden. Wissen wir dann, welche Apotheke wie viel Geld bekommt? Die Erkenntnis war: wahrscheinlich nein. Denn ein Teil des Geldes liegt beim Insolvenzverwalter, einen Teil halten die Krankenkassen zurück, weil sie nicht wissen, an wen sie es zahlen sollen, ein Teil ist hinterlegt worden und die vor der Insolvenz gezahlten Abschläge lassen sich nicht den einzelnen Apotheken zuordnen. Diese Abschläge wurden häufig pauschal gezahlt und zum Beispiel anhand der Umsätze des Vormonats bemessen, die sich je nach Termin der Sommerferien auf verschiedene Weise vom betroffenen Abrechnungsmonat unterscheiden. Und dies müsste für jede Apotheke in Bezug auf jeden einzelnen Kostenträger separat bestimmt werden. Diese ganze Zuordnung ist wie ein riesiges Wollknäuel. Wer hat welchen Anspruch gegenüber wem und in welcher Höhe? Das lässt sich nicht vernünftig auflösen. Darüber müssten dann die nächsten Prozesse geführt oder komplexe Vereinbarungen unter den Gläubigern getroffen werden.

Es sind also zwei Ebenen von Prozessen und Verhandlungen zu unterscheiden.

Richtig. In der ersten Runde müssten die Aussonderungsrechte geklärt werden und in der zweiten Runde ginge es darum, das Wollknäuel zwischen den Apotheken zu entwirren. Natürlich kann man das alles ausfechten, aber das würde wahrscheinlich Jahre dauern. In dieser Zeit könnte kein Geld ausgezahlt werden, weil alles noch blockiert wäre.

Aber wie kam es zur Idee des Vergleichs?

Die wesentliche Frage stellte sich erst im Laufe der Zeit: Welchen Unterschied macht es, ob alles durchgefochten wird oder jetzt alles Geld unter Verzicht auf die möglichen besonderen Rechte verteilt wird? Demnach wäre der Unterschied für die Apotheken insgesamt wohl nur ein einstelliger Prozentsatz. Vor diesem Hintergrund hätte ich persönlich Schwierigkeiten, den Mandanten zu solchen Prozessen zu raten. Sie würden für etwas zahlen, was ihnen wirtschaftlich nicht unmittelbar etwas bringt. Der Insolvenzverwalter hatte einen solchen Vergleich zunächst abgelehnt, hat aber im Januar 2023 dann doch Verhandlungen darüber angeboten, nachdem er einen Vergleich mit den Krankenhausapotheken geschlossen hatte. Letztlich ist ein Vergleich wirtschaftlich betrachtet der einzig sinnvolle Weg. Er spart hohe Prozesskosten und vor allem viel Zeit. Wegen der Zinswende ist das inzwischen ein beachtlicher Faktor. Ich rechne mit mindestens sieben oder acht Jahren, die das Geld früher kommt, wenn der Vergleich zustande kommt. Zwischenzeitlich fand ich persönlich sogar die Angebote der Aufkäufer der Forderungen interessant, weil sie sofort zahlen und etwa 30 Prozent der Forderungsbeträge bieten. Wenn man dieses Geld anlegen würde, hätte man möglicherweise so viel wie Gläubiger, die Jahre auf einen höheren Betrag warten. Mit der Aussicht auf den Vergleich hat sich das aber erstmal erübrigt.

Die Aussonderungsrechte sollten doch den Unterschied zwischen den Abrechnungsgeldern und irgendwelchen anderen Forderungen wie Mietzahlungen ausmachen. Es geht um das Geld von Dritten und letztlich um Geld der Sozialversicherung. Soll das denn keine Rolle mehr spielen?

Entscheidend sind die Größenordnungen. Die größte Gläubigergruppe neben den Offizin-Apothekern sind die Krankenhausapotheken, die schon einen Vergleich geschlossen haben. Daneben gibt es zwar noch andere Gläubiger, aber ihre Forderungen machen insgesamt nur einen vergleichsweise geringen Teil im Verhältnis zu den Apothekenforderungen aus. Die Forderungen der Apotheken sind die weitaus größte Position. Ein möglicher Vorrang gegenüber anderen würde darum wirtschaftlich wenig ausmachen. Außerdem sind die Aussonderungsrechte ziemlich unsicher. Die ersten Prozesse hat der Insolvenzverwalter gewonnen. Die Prozesse kosten also Geld, dauern lange und haben nach aktuellem Stand keine großen Erfolgsaussichten. Letztlich ginge es nach meinem Verständnis wohl nur um einen einstelligen Prozentsatz als Unterschied. Dagegen käme das Geld mit einem Vergleich etwa acht Jahre früher. Darum ist der Vergleich der einzig richtige Weg. Die wirtschaftliche Vernunft drängt dazu.

Wie sieht der Vergleich konkret aus?

Die Apotheken verzichten auf ihre etwaigen Aussonderungsrechte und machen damit den Weg frei für eine schnelle Auskehrung der Mittel. Dann gäbe es noch in diesem Jahr eine Abschlagszahlung. Mitte 2024 könnte voraussichtlich das Gros des Geldes an die Apotheken ausgezahlt werden, wobei dies natürlich alles unter dem Vorbehalt steht, dass ausreichend Apotheken dem Vergleich beitreten. Die Quote dürfte letztlich bei insgesamt 45 bis 50 Prozent liegen, so wie auch von Herrn Hoos im Dezember avisiert.

Es wird behauptet, die Banken hätten ihren Informationsvorsprung genutzt, um rechtzeitig ihr Geld zu sichern. Sind da Prozesse zu erwarten, die die Insolvenzmasse vergrößern?

Auch dazu laufen nach meiner Kenntnis noch Verhandlungen. Die Banken werden einen Beitrag leisten müssen, wie auch immer der aussieht. Das wird dann ein Ausgleich dafür sein, dass keine Prozesse geführt werden. Der kann dann unter den Gläubigern verteilt werden. Was dabei zu berücksichtigen ist: Wenn die Banken die ganzen Kontokorrentkredite in die Insolvenzmasse einbringen würden, wären sie mit diesem Betrag ja auch wieder Gläubiger und die Position der Apotheker würde sich entsprechend relativieren. Damit wäre nicht so viel gewonnen, wie mancher gehofft haben mag. Zudem dürften auch diese Verfahren sehr viel Zeit in Anspruch nehmen – und die Apotheken müssten warten.

Kürzlich war auch von Apotheken die Rede, die kurz vor dem Insolvenzantrag Geld von AvP erhalten haben. Könnte die Rückforderung solcher Gelder die Insolvenzmasse erhöhen?

Erstaunlicherweise ist wohl noch nie darüber geurteilt worden, wie mit Zahlungen umzugehen ist, die entgegen den Vorgaben eines von der Bafin eingesetzten Sonderbeauftragten geleistet wurden. Da auch dazu lange Verfahren drohen, bietet sich auch dort ein Vergleich an. Das würde also eine schnelle Auskehrung nach dem Vergleich mit dem Gros der Apotheken nicht behindern.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Betroffenen sollen im Juli das Vergleichsangebot erhalten. Dann haben sie zwei Monate Zeit, den Vergleich anzunehmen. In dieser Zeit wird es noch weitere und detaillierte Informationen zum Vergleich und seiner Abwicklung geben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Hintergrund: Aussonderungsrechte

Seit die Insolvenz des Rechenzentrums AvP Deutschland bekannt wurde, stehen Aussonderungsrechte bei den betroffenen Apotheken im Mittelpunkt der Diskussion. Mit diesem Begriff werden Rechte bezeichnet, die bestimmten Personen oder Personengruppen einen vorrangigen Zugriff auf Gegenstände oder Geld aus einem insolventen Unternehmen bieten, sodass diese Werte nicht in die Insolvenzmasse eingehen. 

Die zentrale Idee im Fall AvP ist dabei, dass Abrechnungsgelder, erst recht solche aus einer Sozialversicherung, nicht der AvP gehören, sondern den Apotheken zugeordnet werden könnten. Der Insolvenzverwalter der AvP hat solche Aussonderungsrechte jedoch bisher nur wenigen Apotheken in Spezialfällen gewährt. Bei den meisten Apotheken erweisen sich die Abtretung der Forderungen an AvP und die Vermischung der Abrechnungsgelder zwischen den Apotheken und mit den Mitteln von AvP als Hindernisse. Um die rechtlichen Fragen zu klären, sollten Musterprozesse geführt werden. 

Wenn jedoch sehr viele Apotheken mit hohen Forderungen Aussonderungsrechte hätten, ihnen aber nur wenige andere Gläubiger mit vergleichsweise geringen Forderungen gegenüberstehen, verlieren mögliche Aussonderungsrechte ihre wirtschaftliche Bedeutung. Ein Vorrecht gegenüber einer kleinen Gruppe mit geringen Forderungen ist wirtschaftlich uninteressant, so bedeutsam die Rechtsfrage aus grundsätzlichen Erwägungen auch sein mag. Nach den jüngsten Erkenntnissen, über die der Apothekenrechtler Dr. Morton Douglas berichtet, liegt bei der AvP-Insolvenz offenbar ein solcher Fall vor.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

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von Anita Peter am 04.07.2023 um 9:52 Uhr

Den wirtschaftlichen Aspekt haben ich 1:1 vor ein paar Wochen hier genauso ausgeführt.
Manche Apothekers bekommen lieber ihr Recht, als ihr Geld. Ein weiteres Indiz, dass viele Apothekers nicht rechnen können.

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