Forschung

Photopharmakologie – Wenn Licht Wirkstoffe an- und ausschaltet

Düsseldorf - 28.03.2023, 16:45 Uhr

Bei der vaskulären photodynamischen Therapie – einem Teilbereich der Photopharmakologie –, werden lichtleitende Fasern von außen in die gewünschten Körperareale eingeleitet. (Symbolbild: leungchopan / AdobeStock)

Bei der vaskulären photodynamischen Therapie – einem Teilbereich der Photopharmakologie –, werden lichtleitende Fasern von außen in die gewünschten Körperareale eingeleitet. (Symbolbild: leungchopan / AdobeStock)


Seit einiger Zeit forschen Wissenschaftler an der Möglichkeit, Arzneimittel mit Licht zu aktivieren oder auszuschalten. In der Vergangenheit gab es durchaus einige vielversprechende Kandidaten, etwa zur Therapie von Diabetes oder zur Entwässerung. Praktische Anwendung findet derzeit nur die Photodynamische Therapie, besonders gegen Tumore der Haut. Schweizer Forscher konnten nun aber photosensitiven Wirkstoffen bei der Arbeit zusehen und so diesen Bereich eventuell voranbringen.

Dass Arzneimittel sensibel auf Licht reagieren können, weiß jeder Gesundheitsberufler. Es heißt ja nicht von ungefähr, dass Arzneimittel vor Licht geschützt aufbewahrt werden sollten. Und auch, dass Wirkstoffe im Körper unerwünschte phototoxische oder photoallergische Reaktionen auslösen können, ist bekannt. Dass der Zusammenhang zwischen Licht und Wirkstoff aber gezielt genutzt werden kann, ist weniger verbreitetes Wissen.

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Beispielsweise gibt es die Photodynamische Therapie (PDT), die insbesondere zur Behandlung von Tumoren und Hautveränderungen eingesetzt wird. Dabei wird ein photosensitiver Wirkstoff injiziert, der dann am gewünschten Wirkort per Laserlicht aktiviert wird. Das funktioniert auf bestimmten Hautarealen genauso wie im Auge oder auch bei der sogenannten vaskulären photodynamischen Therapie (VDT) an eher versteckten Orten wie der Prostata. In dem Fall führt der Behandelnde lichtleitende Fasern von außen in die gewünschten Areale der Prostata ein. In der Regel reichern sich die Wirkstoffe bei der PDT gezielt in verändertem Gewebe an und setzen, induziert durch das Licht, Sauerstoffradikale im Gewebe frei, die die krankhaft veränderten Zellen angreifen und/oder abtöten.

Lichtaktivierbare Wirkstoffe gegen Diabetes und Co.

Aber dass auch dies streng genommen nur ein Teilbereich der sogenannten Photopharmakologie ist und es noch viele weitere Anwendungsgebiete gibt, wissen nur noch ganz wenige – bislang jedenfalls. Denn diesem Bereich der Pharmazie, der sich mit Wirkstoffen befasst, die sich gezielt durch Licht an- aber auch abschalten lassen, wird eine große Zukunft prophezeit. Im Jahr 2014 etwa veröffentlichten die Forscher um Johannes Broichhagen und Dirk Trauner, damals Professor für Chemische Biologie und Genetik an der Uni München, mittlerweile an der Uni New York, im Fachmagazin „Nature Communications“ ihre Arbeit zum Wirkstoff JB 253. Dieser mit einem optischen Schalter versehene Wirkstoff aus der Klasse der Sulfonylharnstoffe wird erst aktiv, wenn er mit blauem Licht bestrahlt wird. Dann induziert er die Freisetzung von Insulin aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Die Vision der Forscher war dazu, dass Diabetes-Patienten eine Tablette schlucken, die den Wirkstoff gleichmäßig ins Blut abgibt. Erst im Bedarfsfall aktiviert der Patient dann das Arzneimittel, indem er ein blaues Licht an seine Haut hält. Das ist noch immer eine Vision – verschiedene Forschergruppen haben aber an weiteren Möglichkeiten zum Einsatz der Photopharmakologie gearbeitet.

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Österreichische Forscher um Klaus Groschner, Professor für Biophysik an der Medizinischen Universität Graz, etwa entwickelten künstliche, durch Licht steuerbare Fettmoleküle, um Zellfunktionen steuern zu können. Über die Grundlagenforschung hinaus wollen sie dies auch irgendwann therapeutisch nutzen können.

Und auch ein per Licht steuerbares Diuretikum auf der Basis des Wirkstoffs Amilorid wurde bereits entwickelt und publiziert.

Schweizer Forscher schauten photosensitiven Wirkstoffen bei der Arbeit zu

Noch scheinen diese Arzneimittel Zukunftsmusik zu sein. Schweizer Forscher haben nun allerdings der gesamten Photopharmakologie einen Schub geben können. Die Forschenden um Studienerstautor Maximilian Wranik und Jörg Standfuss, stellvertretender Leiter des Labors für Biomolekulare Forschung am Paul Scherrer Institut PSI im Schweizer Ort Villingen, haben einen Tumor-Wirkstoff, der sich derzeit in der klinischen Erprobung befindet, photosensibel modifiziert: Das Combretastatin A-4 bindet in der modifizierten Form nur dann an die Mikrotubuli (und behindert so ähnlich wie etwa Colchicin die Zellteilung), wenn es durch Licht aktiviert wird. Als „Lichtschalter“ nutzen die Forscher dabei eine Diazobrücke – eine Verbindung aus zwei Stickstoffatomen, die auf Licht reagiert. Bekannt ist sie etwa aus Diazofarbstoffen, wo sie das Chromophor (also den für die Farbigkeit verantwortlichen Molekülbestandteil) bildet.

Schlüssel-Schloss-Prinzip neu denken?

Unter Lichteinwirkung biegt sich das Combretastatin A-4, inaktiv ist es gerade gestreckt. Die Schweizer konnten nun erstmals ein photosensitives Molekül bei der Arbeit beobachten – wie es sich verhält, wenn es durch „Ausschalten“ vom aktiven in den inaktiven Zustand wechselt. „Wir haben neun Schnappschüsse zwischen einer Nanosekunde und 100 Millisekunden nach dem Ausschalten des Wirkstoffs gemacht“, sagt Standfuss. Die Forscher nutzten dazu die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und den Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL, mit denen es ihnen gelang, einen regelrechten Film der Molekülbindung an das Protein Tubulin zu erstellen.

Die Vorgänge dabei gehen weit über das bekannte einfache Schlüssel-Schloss-Prinzip hinaus, sagen die Forscher. „Anders als es in den Lehrbüchern steht, verhalten sich sowohl der Schlüssel als auch das Schloss dynamisch und ändern ständig ihre Form“, erklärt Wranik. Mit den Erkenntnissen der Studie, bei denen diese Vorgänge für photosensible Wirkstoffe nun erstmals sichtbar gemacht werden konnten, wollen die Forscher künftig entsprechende neue Wirkstoffe der Photopharmakologie passgenauer entwickeln können, sagen sie.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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