Arzneimittel und Therapie

Sulfonylharnstoffe erhöhen Mortalität

Die tägliche "Zuckertablette" ist nicht so harmlos wie ihre Bezeichnung im Volksmund suggeriert. Das kardiovaskuläre Risikoprofil oraler Antidiabetika birgt noch offene Fragen. Eine retrospektive Kohortestudie des Imperial College of London stellte sich der Aufgabe, Mortalität, kongestive Herzinsuffizienz und die Zahl der Herzinfarkte unter oralen Antidiabetika zu untersuchen. Die Ergebnisse könnten lang gehegte Therapiegewohnheiten ändern – zum Wohle der Patienten.

Untersucht wurden Sulfonylharnstoffe, differenziert nach Generationen, und die Thiazolidinderivate Rosiglitazon und Pioglitazon jeweils allein oder in Kombination mit anderen Substanzen. Es wurde auf Daten der UK general practice research database von 91.500 Patienten zwischen 1990 und 2005 zurückgegriffen. Als Vergleich wurden Effekte der Metformin- Monotherapie herangezogen. Metformin wird international als Therapie der ersten Wahl für die Behandlung des Typ-II-Diabetes empfohlen, da es in früheren Studien die Sterblichkeit gegenüber Sulfonylharnstoffen senken konnte. Es wurde als häufigste Therapie 74% der Patienten verordnet. Patienten unter Insulintherapie waren von der Untersuchung ausgeschlossen. Die Wirkung auf Blutglucosespiegel wurde nicht betrachtet.

Herzinsuffizienz durch Glibenclamid & Co.

Sulfonylharnstoffe der ersten und zweiten Generation ließen die Gesamtsterblichkeit im Vergleich zu Metformin um bis zu 61% ansteigen. Da für die Substanzen der ersten Generation bereits in der Vergangenheit eine erhöhte Mortalität gefunden wurde, werden diese therapeutisch nicht mehr verwendet. Wirkstoffe der zweiten Generation, verordnete Therapie für 64% der Patienten, erhöhten das Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz um bis zu 30%. Eine mögliche Erklärung wird auf zellulärer Ebene diskutiert. So beeinträchtigen Sulfonylharnstoffe die Anpassungsmechanismen kardialer Myozyten und Gefäßmuskelzellen an ischämische Belastungen.

Orale Antidiabetika

Sulfonylharnstoffe

 

erste Generation:

 

Tolbutamid, Carbutamid – nicht mehr therapeutisch verwendet

zweite Generation:
Glibenclamidz. B. Euglucon®
Gliclazidz. B. Diamicron®
Glimepiridz. B. Amaryl®
Gliquidonz. B. Glurenorm®
Thiazolidine
PioglitazonActos® (Monopräparat) 
Competact® , Tandemact® (Kombination)
RosiglitazonAvandia® (Monopräparat) 
Avandamet® ; Avaglim® Kombination)

Pioglitazon senkt Sterblichkeit

Die Thiazolidinderivate Rosiglitazon und Pioglitazon sind in ihrem Sicherheitsprofil differenziert zu betrachten. So konnte Pioglitazon die Gesamtsterblichkeit um bis zu 39% gegenüber Metformin senken. Eine Rosiglitazontherapie war mit einer erhöhten Sterblichkeit gegenüber Pioglitazon assoziiert. Das in früheren Studien gefundene erhöhte Herzinfarktrisiko unter Rosiglitazon – eigentlicher Anlass in der vorliegenden Untersuchung, das kardiovaskuläre Profil weiterer oraler Antidiabetika unter die Lupe zu nehmen – konnte nicht bestätigt werden. Allerdings war auch in dieser Studie das Frakturrisiko unter beiden Substanzen signifikant erhöht und diente sogar als Kontrollwert für Datenplausibilität.

Einblick in tägliche Praxis

Die Studienautoren bekennen sich zu den Schwächen von Beobachtungsstudien, kompensieren diese aber durch ein ausgefeiltes System, die vielfältigen Einflussfaktoren in verschiedenen Modellen zusammenzufassen und zu stratifizieren. Der häufig recht konstruierten Welt und den niedrigen Fallzahlen prospektiver klinischer Studien stellen sie die Vorteile des Einblicks in das tägliche Leben ärztlicher Praxis und Verordnungen für eine Vielzahl an Patienten gegenüber. So deutet die in der Untersuchung gefundene große Zahl an Verordnungen von Sulfonylharnstoffen auf eine nicht immer nach aktuellen Empfehlungen orientierte Therapie hin.

 

Quelle

Tzoulaki, I., et al.: Risk of cardiovascular disease and all cause mortality among patients with type 2 diabetes prescribed oral antidiabetes drugs: retrospective cohort study using UK general practice research database, BMJ (2009) 339: b4731

 


Apotheker Peter Tschiersch

 

 

Britische Datensammlung


Die UK general practice research database (GPRD) ist eine Datenbank des britischen Gesundheitsministeriums. Seit 1987 werden Daten aus der ambulanten Patientenversorgung anonymisiert zentral erfasst. Mittlerweile stehen qualitätsgesicherte Daten aus der täglichen Praxis von 13 Millionen Patienten und 44 Millionen Patientenjahren für Auswertungen und Studien zur Verfügung. Aus der Datenbank sind bereits 550 Veröffentlichungen in hochkarätigen Journalen zu Arzneimittelsicherheit, Epidemiologie und zahlreichen anderen Themen hervorgegangen.

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