Apothekertagsantrag zum Rezepturprivileg

Eine weitgefasste Rezepturdefinition ist keine Trivialisierung

Süsel - 14.09.2022, 17:39 Uhr

Thomas Müller-Bohn, hier auf dem Eppendorfer Dialog 2016. (Foto: Sandra Birkner)

Thomas Müller-Bohn, hier auf dem Eppendorfer Dialog 2016. (Foto: Sandra Birkner)


Der Vorsitzende des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, Thomas Rochell, hat sich in einem Meinungsbeitrag gegen einen Kommentar von DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn gewandt. Dabei geht es um einen Antrag zur Abgrenzung des Rezepturprivilegs. Zum Beitrag von Rochell bezieht nun Müller-Bohn erneut Stellung.

Eine Trivialisierung von Arzneimitteln liegt mir fern. Doch bedeutet eine weitgefasste Definition der Rezeptur mit einer umfassenden Verantwortung für den Apothekerberuf eine Trivialisierung? Ich meine, nein. Ist die klassische, seit Jahrhunderten übliche Form des Dispensierens von Bulkware für einen einzelnen Patienten, einschließlich der dazugehörigen pharmazeutischen Plausibilitätsprüfung trivial? Ich meine, nein.

Ausgangspunkt: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1999

Zu diesem Fall des Dispensierens hat das Bundesverwaltungsgericht 1999 leider eine sehr problematische Entscheidung getroffen. Eine zentrale Schwierigkeit ist seither, dass Gerichte die Rechtslage zur Rezeptur und zur Defektur vermengen. Das Bundesverwaltungsgericht ging von einer überdehnten Auslegung der Fertigarzneimitteldefinition in § 4 Abs. 1 AMG aus und wendete die Argumente, die aus pharmazeutischer Sicht für die Risikobewertung von Defekturen angebracht sind, auf die individuelle Abfüllung von Bulkware als Rezeptur an. 

Berufspolitisch besonders unerfreulich erscheint, dass das Bundesverwaltungsgericht dabei weder auf die Verantwortung des Apothekers bei der Freigabe noch auf das dabei zu beachtende Verbot bedenklicher Arzneimittel eingegangen ist. Ausgehend von diesem Urteil entwickelte sich über Jahrzehnte eine Rechtsprechung, die diese Aspekte bis heute ignoriert. Ich stimme Herrn Rochell zu, dass diese unglückliche Gemengelage inzwischen wohl nur noch durch eine Klarstellung des Gesetzgebers aufzulösen ist.

Jetzt geht es um die berufspolitische Positionierung

Dafür gilt es sich berufspolitisch zu positionieren. Allerdings vermengen sich auch hier die Argumente zur Rezeptur und zur Defektur. Der 2018 beschlossene DAT-Antrag des Apothekerverbandes Baden-Württemberg bezieht sich überwiegend auf die Defektur. Die dort vorgesehene Klarstellung in § 21 Abs. 2 AMG soll Rechtsstreitigkeiten um Defekturen befrieden. Ob der damalige Vorschlag aus heutiger Sicht noch als idealer Weg erscheint, bedarf sicherlich einer eingehenden Prüfung. 

Doch ich bin fest überzeugt, dass der „Geist“ dieses Antrags den richtigen berufspolitischen Kurs beschreibt - nämlich keine Apothekerposition in der Rezeptur oder Defektur zu räumen und sich nicht durch juristische Umdeutungen apothekerlicher Tätigkeiten irritieren zu lassen. Der in diesem Jahr vorliegende DAT-Antrag des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe betrifft hingegen primär die Abfüllung von Bulkware als Rezeptur, sodass der Diskurs um die Auslegung von § 4 Abs. 1 AMG relevant wird. Denn diese Vorschrift ist entscheidend dafür, ob § 21 Abs. 2 AMG überhaupt zur Anwendung kommt. 

Das aus meiner Sicht wesentliche berufspolitische Problem bei diesem Antrag wird erst aus der Begründung ersichtlich. Offenbar möchten die Antragsteller das individuelle Dispensieren von Bulkware aufgeben und begründen dies nun mit der angeblichen Trivialisierung von Arzneimitteln. Der Antrag möchte Rechtssicherheit um den Preis erkaufen, auf diese Form des Dispensierens zu verzichten. Das würde eine neue Hürde für viele alltägliche Vorgänge in der Apotheke aufbauen, könnte bei künftigen Versorgungsproblemen bittere Folgen haben und müsste konsequenterweise auch Cannabisblüten treffen, sodass diese Variante der Versorgung mit medizinischem Cannabis wegfiele. 

Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte

Opiumtinktur im Versandgefäß ist nicht zulassungspflichtig

Doch meines Erachtens kann es nicht im Interesse der Apothekerschaft und auch nicht der Patienten sein, eine so zentrale traditionelle pharmazeutische Funktion aufzugeben, um ein Randproblem zu lösen. Dem möglichen Missbrauch des Rezepturprivilegs durch Konzepte einzelner Hersteller sollte anders zu begegnen sein. Dazu sind Entscheidungen auf der Grundlage pharmazeutischer Kompetenz gefragt.

Der aussichtsreichste juristische Weg diese Herausforderungen anzugehen, wird auf dem Apothekertag nicht zu ermitteln sein. Daher kommt es bei der Antragsdebatte umso mehr auf eine angemessene berufspolitische Positionierung an. Meines Erachtens kann dies nur der Erhalt aller Aufgaben in der Rezeptur und Defektur sein.

Dr. Thomas Müller-Bohn

Dr. Thomas Müller-Bohn

Dr. rer. nat. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Studium der Pharmazie (Uni Marburg) und der Betriebswirtschaftslehre (Uni Bielefeld), Promotion (Uni Bonn). Nach Tätigkeit in der öffentlichen Apotheke freier Wissenschaftsjournalist, auswärtiges Mitglied der Redaktion der Deutschen Apotheker Zeitung, Vortrags- und Seminartätigkeit, Autor mehrerer Bücher, Lehraufträge für Pharmakoökonomie (Uni Hamburg 2001 bis 2007, Uni Kiel seit 2003).


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Die Anträge zum Deutschen Apothekertag 2022

Ein ganz dickes Heft

Was bedeuten die Streitigkeiten rund um die Opiumtinktur?

Neuer Ärger um ein altes Produkt

Hanseatisches Oberlandesgericht entscheidet zur Rechtsstellung von Opiumtinktur

Berufung zu Opiumtinktur zurückgewiesen

Immense Kosten durch Rezepturherstellung – Defektur kann Chance auf Teilkostendeckung bieten

Verlustgeschäft Rezeptur

6 Kommentare

Elfenbeinturm

von ecke2 am 18.09.2022 um 14:56 Uhr

Die Rezeptur ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten in denen unsere Gesellschaft noch pragmatisch war.
So pragmatisch, dass jeder Apotheker in Pandemiezeiten aus bestem kosmetischen Alkohol oder Brennspiritius im Handumdrehen in der Lage war zumindest Besten Händedesinfektionsalkohol herzustellen.
Das war uns verwehrt weil das entsprechende Zertifikat fehlte. Die es trotzdem gemacht haben handelten illegal. Egal wieviel Menschenleben es gekostet hätte.
Inzwischen sind wir so überbürokratisiert, dass es für den Einzelapotheker nicht mehr zu bewekstelligen ist. Die Rezeptur ist ja nur eine der vielen Überbürokratiebaustellen. Seht ein, dass da nichts mehr zu retten ist. Weg damit. Haltet nicht aufrecht was ohne Pragmatismus nicht mehr gemacht werden darf.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Elfenbeinturmprobleme

von Dr. House am 17.09.2022 um 15:32 Uhr

Schön, dass soviel Gehirnschmalz in solche Diskussionen fließt. Wie wärs denn aber auch, wenn man sich langsam mal Gedanken zu Fragen macht, wie: "Ab welchen Inflationsgrad müssen die Apothekenmitarbeiter mit Plünderungen und Handgreiflichkeiten rechnen, oder wie könnte eine Notversorgung bei massiven Stromausfällen aussehen. Aber vermutlich reden wir selbst dann, wenn hier alles lichterloh brennt noch über PDL, Rezepturprivilegien, und viele Luftschlösser mehr...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Herr Brand

von Roland Mückschel am 15.09.2022 um 10:24 Uhr

Sie brauchen mir in keiner Weise die Rezeptur erklären.
Aber Sie haben das Wesentliche nicht verstanden:
Es reicht nicht aus wenn diese Tätigkeit geachtet und
geschätzt wird.
Das muss zu einer akzeptablen Bezahlung führen.
Vielleicht sind sie nicht mehr in einer Apotheke denn
sonst wüssten sie dass dies nicht der Fall ist.
Auch konnten wir aus der Rezeptur keinen veritablen Vorteil
gegenüber dem Versand ziehen der damit nicht konfrontiert wird. Gerne erinnere ich mich an das Foto von der freudig erregten Zypries
im DocMorris-Labor. Völlig unberührt übrigens.

Schlechte Bezahlung einerseits und hohe Kosten dafür
andererseits wecken keine Begeisterung.

Was nicht bezahlt wird taugt nicht und kann weg.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Bundesverwaltungsgericht

von norbert brand am 15.09.2022 um 9:57 Uhr

Seit der Novellierung der ApBetrO 2012 ist jede Einzelrezeptur von einem Apotheker freizugeben. Diese Vorschrift und die Plausi-Prüfung kannte das Bundesverwaltungsgericht (BVG) bei seinem noch heute wegweisenden Urteil von 1999 noch gar nicht. Insofern erfordert heute das einfache Dispensieren das Hinzuziehen eines Apothekers und kann nicht nur auf das rein Handwerkliche Umfüllen reduziert werden. Das ist für mich eine Ent-Trivialisierung des Dispensierens.

Im übrigen möchte ich das Bulkwaren-Konzept sehen, mit dem die Industrie unter Mißbrauch des apothekerlichen Rezepturprivilegs auch wirtschaftlich zufriedenzustellen ist. Irgendetwas mit Zyzostatika vielleicht? doch das muß und kann wirklich gesondert geregelt werden. Ansonsten halte ich die Option des Umgehens von industriellen Zulassungen mit Hilfe der Rezeptur für eine Drohkulisse und für nicht marktrelevant.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Rezepturprivileg.

von Roland Mückschel am 14.09.2022 um 19:18 Uhr

Hiermit gebe ich mein Rezepturprivileg
feierlich zurück an jemand der es haben
will.
Was für ein Gedöns für dieses
entbehrliche Relikt aus längst vergangenen Tagen.
Weg damit.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Rezepturprivileg

von norbert brand am 15.09.2022 um 8:52 Uhr

Lieber Herr Mückschel,
wenn ich auf die standespolitische Entwicklung der letzten Jahrzehnte schaue, dann kann ich Ihren tiefen Frust verstehen. Vielleicht haben Sie sogar bereits innerlich gekündigt. Ihre bestimmt spontane und wenig durchdachte Äußerung zeigt aber, daß Sie nicht verstanden haben, was den Apotheker vor Ort eigentlich ausmachen könnte. Vor allem aber, was als einziges Merkmal ihn vom Versandhändler unterscheidet: seine Kompetenz und - ja, das heißt so, aber Sie machen sich darüber nur lustig - sein Privileg, Arzneimittel ohne amtliche Zulassung herstellen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen Alles Gute.

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.