Antikörper in „Klein“

Wie funktionieren Nanobodies und was haben Sie mit Lamas zu tun?

Stuttgart - 03.01.2022, 07:00 Uhr

Nanoantikörper kann man sich als abgespeckte Form von großen IgG-Antikörper vorstellen. Gewonnen werden sie unter anderem aus Lamas. (Foto: Agota Kadar / AdobeStock)

Nanoantikörper kann man sich als abgespeckte Form von großen IgG-Antikörper vorstellen. Gewonnen werden sie unter anderem aus Lamas. (Foto: Agota Kadar / AdobeStock)


Braucht man eigentlich den ganzen Antikörper für seine Wirksamkeit? Nein, es geht auch kleiner, mit Nanonodies – Antikörperfragmenten –, die erstmals aus Dromedaren isoliert wurden. Wie sieht so ein Nanoantikörper aus und wo liegen die Vorteile?

Antikörper kennt man, auch in den Publikumsmedien ist der Begriff dank Corona zwischenzeitlich angekommen: Der Körper bildet sie bei einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion oder nach COVID-19-Impfung. Alternativ können im Labor hergestellte Corona-Antikörper als Arzneimittel zur Behandlung oder Vorbeugung von COVID-19 eingesetzt werden – zugelassen in der EU sind derzeit Casirivimab/Imdevimab (Ronapreve®), Regdanvimab (Regkirona®) und Sotrovimab (Xevidy®), während für das Antikörper-Duo Tixagevimab/Cilgavimab (Evusheld®) erst der Rolling Review gestartet ist. Daneben werden Antikörper unabhängig von Infektionserkrankungen auch bei zahlreichen anderen Erkrankungen angewendet, das Spektrum ist breit und reicht von rheumatoider Arthritis über Multiple Sklerose bis hin zu zahlreichen Tumortherapeutika.

Mit Nanoantikörper geht es auch kleiner

Doch geht es eigentlich auch „kleiner“ als gewöhnliche Antikörper? Ja – zumindest wird eifrig daran geforscht: an sogenannten Nanobodies oder Nanoantikörpern oder Einzeldomänenantikörpern. Wie funktionieren diese Nanobodies? Und wie weit ist die Forschung zu Nanoantikörpern bei COVID-19 gediehen? DAZ.online stellt seinen Leser:innen das Wichtigste zu den winzigen Antikörpern in einem Zweiteiler vor.

Die Y-Form der klassischen Antikörper

Um den Aufbau von Nanobodies, also Nanoantikörpern, zu verstehen, hilft es, sich die Struktur von konventionellen IgG-Antikörper nochmals klarzumachen: Diese bestehen aus zwei identischen langen (schweren) und zwei identischen kurzen (leichten) Ketten, die Y-förmig angeordnet sind. Dabei verfügen die leichten Ketten jeweils über eine variable und eine konstante Domäne, die schweren Ketten hingegen bestehen aus je einer variablen Domäne und mehreren konstanten Domänen. Wichtig für die Antigenerkennung und -bindung sind die variablen Domänen der leichten und schweren Ketten, denn die Antigene binden an die kurzen Enden des Y. Werden die Antigene als fremd erkannt, werden im Folgenden immunologisch Prozesse aktiviert, welche die Antigen-präsentierende Zelle und mit ihr die „feindliche“ Struktur zerstören – eben beispielsweise ein Virus.

Nanobodies sind nur noch Antikörperfragmente

Nanoantikörper kann man sich als abgespeckte Form dieser großen IgG-Antikörper vorstellen, sie sind nur noch ein Antikörperfragment, und zwar im einfachsten Fall eine einzelne, monomere variable Domäne – sprich: nur eine einzelne Aminosäurekette (während die variable Domäne konventioneller Antikörper aus zwei Aminosäureketten besteht).

Isoliert aus Lamas, Dromedaren und Haien

Bereits 1989 beginnt die Geschichte dieser Nanobodies, als Forscher in Dromedaren neben konventionellen Antikörpern eine weitere Klasse von einfacher und kleiner gebauten Antikörpern entdeckten – sie bestehen lediglich aus schweren Ketten und werden deswegen auch als Schwerketten-Antikörper (Heavy-Chain-Only-Antibody) bezeichnet. Trotz dieses einfacheren Aufbaus erkannten die Forscher sodann 1993 im Fachjournal „Nature“ („Naturally occurring antibodies devoid of light chains“) das „umfangreiche Antigenbindungsrepertoire“ dieser Schwerketten-Antikörper aus den Dromedaren – demnach scheint der simplere und kleinere Aufbau der Antikörper ihrer Funktion keinen Abbruch zu tun.

Wenig später, im Jahr 1995, fanden sich diese Schwerketten-Antikörper auch in Haien, die Arbeit dazu wurde ebenfalls in „Nature“ („A new antigen receptor gene family that undergoes rearrangement and extensive somatic diversification in sharks“) veröffentlicht. Letztlich gelang es, aus diesen Schwerketten-Antikörpern die noch kleineren Nanobodies – Einzeldomänenantikörper – zu isolieren. Mittlerweile werden Nanobodies aus Schwerketten-Antikörper aus Lamas, Alpakas, Dromedaren oder Kamelen und Haien gewonnen oder sie werden aus konventionellen Antikörpern von der Maus oder dem Menschen im Labor hergestellt (Monomerisierung der dimeren variablen Antikörperbereiche).

Nanobodies sind hitze- und säurebeständig

Nanobodies unterscheiden sich nicht nur im Aufbau (sie sind nur etwa ein Zehntel so groß wie klassische Antikörper), sondern auch in ihren Eigenschaften von konventionellen Antikörpern: Nanoantikörper sind gut in Wasser löslich, wenig lipophil und hitzebeständig. Während klassische Antikörper durch Hitze inaktiviert werden und kühl gelagert werden müssen, können Nanobodies außerhalb des Kühlschrankes aufbewahrt werden, bleiben auch bei 90 °C funktionsfähig und binden trotz hoher Temperaturen ihre Antigene zuverlässig. Daneben zeigen sich Nanobodies auch beständiger als klassische Antikörper gegen Magensäure, ihre Struktur lässt sich sogar im Labor dahingehend optimieren, dass sie Magen-Darm-Passagen schadlos überstehen, sodass sie sich für eine orale lokale Anwendung im Gastrointestinaltrakt eignen könnten. Eine orale systemische Anwendung hingegen dürfte nicht gelingen, da der menschliche Körper Peptide (kleine Aminosäurekette) – was Nanobodies sind – nur schlecht aufnimmt (resorbiert).

Kommen auch an versteckte Antigene

Vorteilhaft scheint auch die kleine Größe der Nanobodies, vermögen sie dadurch in Gewebe vorzudringen, für welche konventionelle Antikörper zu groß sind. Zudem können sie aufgrund ihrer ausgeprägten Antigen-Erkennungseigenschaften auch für konventionelle Antikörper verborgene Antigenbindungsstellen erreichen, da sie auch in kleinste Lücken passen. Allerdings bedingt ihre kleine Größe auch, dass der menschliche Körper sie rasch über die Nieren ausscheidet, weswegen sie nur eine kurze Halbwertszeit und Wirkdauer haben. Aus bleibt auch – aufgrund der fehlenden konstanten Domäne (Fc-Teil bei klassischen Antikörpern) und der dadurch ausbleibenden Aktivierung des Komplementsystems – die Zytotoxizität.

Wie werden Nanonodies gewonnen?

Doch wie gelingt es nun, dass das Lama – oder Alpaka, Kamel, Dromedar oder der Hai – die gewünschten Antikörper produziert, beispielsweise gegen SARS-CoV-2? In der Regel werden die Tiere dafür extra immunisiert und in Kontakt mit dem gewünschten Antigen – wie dem Spikeprotein von SARS-CoV-2 – gebracht. Sie bilden daraufhin Schwerketten-Antikörper, welche im Anschluss aus dem Blut der Tiere isoliert werden.

Nun gilt es, aus der Vielzahl dieser gebildeten Antikörper genau die Antikörperfragmente auszumachen, die das Antigen am effektivsten binden und neutralisieren können. Diese auserwählten Nanobodies entwickeln Forscher dann weiter und optimieren sie beispielsweise zusätzlich hinsichtlich ihrer Stabilität. Mit Abschluss dieses Optimierungsprozesses liegen die Nanobodies in ihrer endgültigen Form vor – zumindest die genetische Information (DNA) dazu –, sodass sie auch klinisch erprobt werden könnten. Wird die Nanobody-Erbinformation nun in bestimmte Organismen, wie Hefen – Saccharomyces cerevisiae – oder Bakterien – zum Beispiel E. coli –, eingeschleust, stellen diese den Nanoantikörper in größerem Maßstab her, und das relativ kostengünstig in großen Mengen.

Mehr zu Nanobodies und wie weit die Forschung zu Nanoantikörpern bei Corona ist, lesen Sie im zweiten Teil der Nanobody-Miniserie.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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