Eine Ära geht zu Ende: das Aus für die mabs

WHO verabschiedet neue Nomenklatur für monoklonale Antikörper

Stuttgart - 30.06.2022, 17:50 Uhr

Gebäude der World Health Organization (WHO) in Genf, Schweiz, 2020. Aus Gründen der Pharmakovigilanz behalten alle nach der alten Nomenklatur benannten Antikörper ihren Namen mit der Endsilbe „-mab“. (Foto: olrat / AdobeStock)

Gebäude der World Health Organization (WHO) in Genf, Schweiz, 2020. Aus Gründen der Pharmakovigilanz behalten alle nach der alten Nomenklatur benannten Antikörper ihren Namen mit der Endsilbe „-mab“. (Foto: olrat / AdobeStock)


Adalimumab, Trastuzumab, Rituximab: Das sind nur drei Beispiele für monoklonale Antikörper. Der geübte Pharmazeut erkennt die Gruppenzugehörigkeit sofort an der Wortendung -mabDoch nicht mehr lange. Aufgrund der rasanten Entwicklung dieser Wirkstoffgruppe hat die Weltgesundheitsorganisation WHO im Oktober 2021 eine neue Nomenklatur für monoklonale Antikörper und davon abgeleitete Substanzen verabschiedet. Neben einer flexibleren Namensgestaltung soll sider zunehmenden Diversität der Antikörper besser gerecht werden. 

Namen dienen dazu, um Einzelwesen, Orte oder Dinge eindeutig identifizieren und von anderen seiner Art unterscheiden zu können. Dabei bilden Arzneimittel keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil, aufgrund ihres besonderen Charakters kommt der Nomenklatur von Arzneistoffen eine ganz besondere Relevanz zu. Um weltweit eine einheitliche und nachvollziehbare Namensgebung für pharmazeutische Wirkstoffe zu gewährleisten, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 1953 die INN(international nonproprietary name)-Nomenklatur ins Leben gerufen. 

Mehr zum Thema

Wo die INN herkommen und wie sie gebildet werden

Mysterium Wirkstoffnamen

Biosimilars

Nomen est omen

Zusammenhang zwischen Arzneimittelnamen und Einnahmeverhalten

Namen beeinflussen die Patienten

Auch krankenhausversorgende Apotheken wollen dabei sein

Monoklonale Antikörper bei COVID-19: BMG regelt Versorgung und Vergütung

Ziel ist es, für jeden Wirkstoff einen weltweit einheitlichen, im Klang unverwechselbaren, nicht geschützten (nonproprietary) Namen zu finden, der eindeutig mit dessen Struktur verbunden ist. Zudem soll er (möglichst) in allen Sprachen leicht aussprechbar sein und sich deutlich von anderen wissenschaftlichen oder Markennamen abgrenzen. Aus Gründen der Pharmakovigilanz darf ein einmal vergebener INN-Name niemals rückwirkend geändert oder gelöscht werden. 

Was der Name über die Substanz verrät 

Auch für monoklonale Antikörper hat die WHO eine INN-Bezeichnung festgelegt: So ließen sich seit 1991 Vertreter dieser Wirkstoffgruppe am Suffix „-mab“ leicht erkennen. Das direkt vor das Suffix angrenzende Infix lieferte Hinweise zum Ursprung des Antikörpers (z. B. „o“ für Maus, „xi“ für chimär, „zu“ für humanisiert, „u“ für human). Während diese Infixe bereits 2015 entfallen sind, sind Infixe, die die pharmakologischen Targets beschreiben (z. B. „-n[e] für neuronal, „-tox[a] für Toxin), erhalten geblieben. Insgesamt wurden bis April 2022 auf diese Weise 879 INN-Namen für monoklonale Antikörper mit „-mab“ als Suffix generiert, von denen aber nur 144 tatsächlich die Entwicklungs- und klinische Phase überstanden haben und zugelassen sind. 

Suffixe und Infixe in der INN-Nomenklatur

In der INN-Nomenklatur kommen vor allem dem Suffix (Endsilbe) und Infix (Silben in der Wortmitte) besondere Bedeutung zu. So tragen pharmakologisch und/oder strukturell verwandte Substanzen in der INN-Nomenklatur die gleiche Endsilbe. Bekannte Beispiele hierfür sind „-ase“ für Enzyme, „-vir“ für antiviral wirksame Wirkstoffe und „-tinib“ für Tyrosinkinase-Inhibitoren. Spezielle Infixe dienen der weiteren Untergliederung in Untergruppen, z. B. „-navir“ für HIV(Humane Immundefizienz Virus)-Protease-Inhibitoren oder „-brutinib“ für Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren. Die Wahl des Präfixes erfolgt in der Regel zufällig, z. B. Rito- von Ritonavir.

Da sich in den letzten Jahren ein enormer Anstieg an Neuentwicklungen von monoklonalen Antikörpern verzeichnen ließ, gleichzeitig aber die Anzahl unverwechselbarer INN-Namen mit der Endung „-mab“ stetig abnimmt, hat sich die WHO im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, eine neue Nomenklatur für monoklonale Antikörper einzuführen, die der zunehmenden Diversität der Substanzen besser gerecht wird.

Aus eins mach vier 

Aus Gründen der Pharmakovigilanz behalten alle nach der alten Nomenklatur benannten monoklonalen Antikörper ihren Namen mit der Endsilbe „-mab“. Neu entwickelte Antikörper und davon abgeleitete Substanzen sollen künftig in vier Gruppen mit unterschiedlichen Suffixen kategorisiert werden. Während die Endsilben „-tug“, „-bart“ und „-ment“ für monospezifische Immunglobuline stehen, lassen sich bi/multispezifische Immunglobuline an der Endung „-mig“ erkennen. 

  • -tug (unmodified immunglobuline):
    Dazu zählen alle monospezifischen, vollständigen Immunglobuline, deren Fc-Domäne nicht modifiziert wurde. Ihr Aufbau ähnelt dem natürlicher vom Immunsystem generierter Antikörper, aber auch chimäre und humanisierte Antikörper sind hier enthalten.
  • -bart (artificial immunoglobulins):
    Unter diese Gruppe fallen alle monospezifischen, vollständigen Immunglobuline, deren Fc-Domäne zum Beispiel aus Stabilitätsgründen durch eine geänderte Aminosäure-Sequenz modifiziert wurde.
  • -ment (immunglobuline fragments):
    Dazu gehören monospezifische Fragmente mit mindestens einer Antigen-bindenden variablen Domäne, wobei die konstante Fc-Domäne vollständig, nur in Teilen oder gar nicht vorhanden sein kann.
  • -mig (multi-specific immunoglobulins):
    Diese Gruppe inkludiert alle bi-/multispezifischen Immunglobuline, unabhängig von deren Format (natürlich oder modifiziert), deren Größe (vollständig oder Fragment) und deren Form (mit oder ohne Erweiterung).

Die Infixe sind in der neuen Nomenklatur weitestgehend gleichgeblieben. Das Infix „li“, das für allgemein immunmodulatorisch stand, wird gestrichen und durch die präziseren Infixe „-sto“ für immunstimulierend und „-pru“ für immunsuppressiv ersetzt (s. Tabelle)

Tabelle: Aktualisierte Liste von Infixen für INN von monoklonalen Antikörpern und deren Bedeutung (* = neu)

InfixPharmakologisches Target
-ami-Serum-Amyloid-Protein (SAP)/Amyloidosis
-ba-bakteriell
-ci-kardiovaskulär
-de-metabolische oder endokrine Stoffwechselwege
-eni-Enzym-Inhibition
-fung-Pilz
-gro-Wachstumsfaktor(-Rezeptor)
-ki- *Zytokin(-Rezeptoren)
-ler- *Allergene
-sto- *immunstimulierend
-pru- *immunsuppressiv
-ne-Nerven
-os-Knochen
-ta-Tumor
-toxa-Toxin
-vet-Tierischen Gebrauch
-vi-viral

Die Spezialfälle 

Für die in der Tumortherapie häufig eingesetzten Antikörper-Wirkstoff-Konjugate wird die neue Nomenklatur entsprechend angepasst. D.h. der neue Antikörper wird künftig nach der aktualisierten Nomenklatur benannt, der konjugierte Wirkstoff behält seinen Namen. Dahingegen gilt das neue Namensschema nicht für Zelltherapeutika wie beispielsweise CAR-T-Zellen, auch wenn deren extrazelluläre Domäne aus einem Antikörper-Fragment besteht. Für Zelltherapeutika hat die WHO eine eigene INN-Nomenklatur festgelegt.

 

Literatur

Weisser K. Abschied von „-mab“– neue internationale Freinamen (INN) für monoklonale Antikörper. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 2, Juni 2022


Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

WHO verabschiedet neue Nomenklatur für monoklonale Antikörper

Aus für die „-mabs“

Wo die INN herkommen und wie sie gebildet werden

Mysterium Wirkstoffnamen

Die schwierige Suche nach hochpotenten SARS-CoV-2-Antikörpern – Ein Interview

Mit den Mutationen Schritt halten

Technologische Aspekte, Einsatzgebiete und Perspektiven von zytotoxischen Immunkonjugaten

Auf Umwegen, getarnt und durch die Hintertür

Behandlung und Vorbeugung von COVID-19

Potente neutralisierende Antikörper gefunden

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.