Cochrane Review

Diagnose von COVID-19 ohne Test in der Praxis kaum möglich

Remagen - 17.07.2020, 12:15 Uhr

Woran erkennt man Corona? Cochrane-Autoren haben untersucht, ob COVID-19 anhand bestimmter Symptome und einer medizinischen Untersuchung genau diagnostiziert werden kann. (Foto: Maridav / stock.adobe.com)

Woran erkennt man Corona? Cochrane-Autoren haben untersucht, ob COVID-19 anhand bestimmter Symptome und einer medizinischen Untersuchung genau diagnostiziert werden kann. (Foto: Maridav / stock.adobe.com)


Je mehr die Wissenschaft über das neuartige Coronavirus herausfindet, umso mehr Fragen scheinen sich aufzutun. Auch die Symptomatik von COVID-19 bleibt in Teilen nebulös. Ein neuer Cochrane-Review untersucht, ob die Krankheit anhand ihrer Symptome und einer medizinischen Untersuchung genau diagnostiziert werden kann.

Die meisten Menschen mit einer leichten bis mittelschweren Ausprägung von COVID‐19 suchen für die erste Diagnose ihren Hausarzt auf. Sind die Symptome schwerer, so gehen sie vielleicht direkt in eine Krankenhausambulanz oder eine Notaufnahme. Zu den wichtigsten Symptomen, die mit leichtem bis mittelschwerem COVID-19 in Verbindung gebracht wurden, gehören: lästiger trockener Husten (z. B. Husten mehr als üblich über einen Zeitraum von einer Stunde oder drei oder mehr Hustenepisoden in 24 Stunden), Fieber von mehr als 37,8 °C, Durchfall, Kopfschmerzen, Atemlosigkeit bei leichtem Anstrengen, Muskelschmerzen, Müdigkeit und der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns.

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„Rote Flaggen“, die auf eine mögliche COVID-19-assoziierte Lungenentzündung hinweisen, sind Atemnot in Ruhe, Appetitlosigkeit, Verwirrung, Schmerzen oder Druck in der Brust und Temperaturen über 38 °C. Davon abzugrenzen sind klinische Anzeichen bei einer körperlichen Untersuchung, wie Lungengeräusche, Blutdruck und Herzfrequenz.

Die richtige Behandlung verlangt eine genaue Diagnose

Abhängig von den Symptomen und klinischen Anzeichen werden die Patienten möglicherweise zur Isolation nach Hause geschickt. Es werden vielleicht weitere Tests durchgeführt, oder sie werden an ein Krankenhaus überwiesen. Eine genaue Diagnose stellt sicher, dass sie schnell die richtige Behandlung erhalten, nicht unnötig getestet, therapiert oder isoliert werden und nicht Gefahr laufen, die Infektion zu verbreiten. Ein Team von Cochrane-Autoren wollte wissen, wie exakt COVID‐19 und die COVID‐19‐Lungenentzündung in der Primärversorgung oder im Krankenhaus diagnostiziert werden, wenn die Symptome und klinischen Anzeichen die einzige Grundlage bilden. Hierzu haben die Reviewer die verfügbare Studienlage von Januar bis April 2020 gesichtet und analysiert.

Studien mit über 7.000 Teilnehmern analysiert

Sie suchten nach Studien, die die Genauigkeit der Symptome und klinischen Anzeichen für die Diagnose einer leichten COVID‐19‐Krankheit und einer COVID‐19‐Lungenentzündung beurteilten. Diese sollten ausschließlich aus der Primärversorgung oder ambulanten Krankenhauseinrichtungen stammen und mindestens zehn Teilnehmer mit Symptomen oder klinischen Zeichen von COVID‐19 einschließen, egal ob bereits sicher diagnostiziert oder nicht. Die Cochrane-Autoren fanden 16 relevante Studien mit 7.706 erwachsenen Teilnehmern. Sieben wurden in ambulanten Krankenhauseinrichtungen durchgeführt (2.172 Teilnehmer) und vier in Notaufnahmen (1.401 Teilnehmer). Die Prävalenz der COVID-19-Krankheit schwankte zwischen fünf und 38 Prozent, bei einem Median von 17 Prozent. Alle Studien bestätigten die COVID-19-Diagnose durch die derzeit genauesten verfügbaren Tests.

Welche Symptome sind aussagekräftig?

Da die Studien nicht klar zwischen leichter bis mittelschwerer COVID‐19‐Krankheit und COVID‐19‐Lungenentzündung unterschieden, stellen die Autoren die Ergebnisse für beide Erkrankungen zusammen dar. Sie fanden Daten über 27 Symptome und Anzeichen, die in vier verschiedene Kategorien fallen: systemische, atemwegsbezogene, gastrointestinale und kardiovaskuläre. Keine Studien bewertete Kombinationen von verschiedenen Anzeichen und Symptomen. Die Ergebnisse waren sehr variabel. Es zeigte sich, dass mindestens die Hälfte der an COVID‐19 Erkrankten Husten, Halsschmerzen, hohe Körpertemperatur, Muskel‐ oder Gelenkschmerzen, Erschöpfung oder Kopfschmerzen hatte. Da Husten und Halsschmerzen aber auch bei Menschen ohne COVID‐19 häufig waren, erachten die Cochrane-Reviewer diese allein für die Diagnose als weniger hilfreich. Eine hohe Körpertemperatur, Muskel‐ oder Gelenkschmerzen, Erschöpfung und Kopfschmerzen soll demgegenüber die Wahrscheinlichkeit erheblich erhöhen, dass es sich tatsächlich um COVID‐19 handelt.

Insgesamt halten sie die diagnostische Genauigkeit der einzelnen Symptome und Anzeichen jedoch für gering. Die Ergebnisse des Reviews deuten nach ihrer Einschätzung darauf hin, dass es kein einzelnes Symptom oder klinisches Zeichen gibt, mit dem eine genaue Diagnose von COVID‐19 gestellt werden kann. Dafür, dass Ärzte ihre Diagnose in der Praxis auf mehrere Symptome und klinische Zeichen stützen, liefern derzeit verfügbare Studien also demnach keine ausreichende Evidenz. 

Für die Primärversorgung nicht repräsentativ

Die Cochrane-Reviewer versehen ihre Schlussfolgerungen jedoch mit einigen Einschränkungen: So wurden alle Studien in ambulanten Krankenhauseinrichtungen durchgeführt. Deswegen sind die Ergebnisse für die Primärversorgung ihrer Meinung nach nicht repräsentativ. Sie fordern deshalb dringend prospektive Studien mit einer nicht selektierten Population aus der Primärversorgung oder ambulanten Krankenhausumgebungen, in denen Kombinationen von Symptomen und Anzeichen untersucht werden, um das „Syndrom“ COVID-19 genauer zu beschreiben.

Keine evidenzbasierten Diagnosekriterien für Kinder

Als weiteres Manko führen sie an, dass die verfügbaren Studien nicht eindeutig zwischen einer leichteren Erkrankung und einer COVID‐19‐Lungenentzündung unterscheiden und dass sie keine Aussagen über ältere Erwachsene und Kinder zulassen. Kinder könnten in der derzeitigen Situation unbegründet dazu aufgefordert werden, in Quarantäne zu bleiben, wenn sie mit vordefinierten, aber noch nicht evidenzbasierten Symptomen vorstellig werden, so ihre Befürchtung. Dies müsse unbedingt vermieden werden, um die möglichen Schäden für die Gesundheit und Bildung von Kindern zu verringern. Die Autoren fordern deshalb die Erhebung getrennter Daten für Neugeborene, Kleinkinder, Schulkinder und Jugendliche. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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