SARS-CoV-2 auch im Gehirn

Neurologische Symptome bei COVID-19

Stuttgart - 13.07.2020, 12:45 Uhr

SARS-CoV-2 führt auch zu neurologischen Störungen. (s / Foto: Vink Fan / stock.adobe.com)

SARS-CoV-2 führt auch zu neurologischen Störungen. (s / Foto: Vink Fan / stock.adobe.com)


Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 stoppt auch vor dem Gehirn nicht. Der für eine Infektion entscheidende Rezeptor ACE2 wird auch von verschiedenen Geweben im Zentralnervensystem exprimiert, sodass infizierte Immunzellen – einem „trojanische Pferde“ gleich – ins ZNS gelangen. Die Folge sind verschiedene neurologische Symptome. Geruchs- und Geschmacksverlust sowie Kopfschmerz sind so häufig, dass sie mittlerweile als diagnostische Hinweise gelten.

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 nutzt das auf Zellmembranen ­lokalisierte Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE2) als Rezeptor, um sich Eingang in die Zelle zu ver­schaffen. ACE2 wird in zahlreichen Geweben exprimiert. In neueren Arbeiten konnte ACE2 in mehreren ZNS-Strukturen nachgewiesen werden. Zelltypen, die ACE2 tragen, sind neben Neuronen die Microglia, Astrozyten und Oligodendrozyten. Die verbreitete Expression von ACE2 im Gehirn legt nahe, dass SARS-CoV-2 eine neurotrope Infektiosität besitzt, schreiben Forscher der Yale School of Medicine, New Haven, US. In „JAMA Neurology“ geben sie eine Übersicht über die ­Infektionswege von Coronaviren, ihre Zielgewebe und die resultierenden neurologischen Symptome.

Geruchs- und Geschmacks­verlust

Schon früh im Verlauf der COVID-19-Pandemie wurde ein isolierter Verlust von Geruchs- und/oder Geschmackssinn berichtet, typischer­weise ohne Schwellung der Schleimhäute wie bei einer Rhinitis. Die Angaben zur Häufigkeit der Anosmie schwanken in Berichten aus China, Italien und Deutschland zwischen fünf und 88 Prozent. Vier von fünf COVID-19-Patienten mit Anosmie konnten auch nichts mehr schmecken (Ageusie), ohne dass bei ihnen eine nasale Kongestion bestand. Das gezielte Abfragen dieses Syndroms könnte nach Meinung der US-Autoren einer frühen COVID-19-­Diagnose den Weg weisen.

Mehr zum Thema

Studie: Antidepressivum gegen Corona

Hilft Fluvoxamin bei COVID-19?

Als Pathomechanismus für den sensorischen Verlust wird die transsynap­tische Virenwanderung diskutiert: SARS-CoV-2 könnte direkt entlang der olfaktorischen Nervenfasern durch das Siebbein hindurch zum Riech­kolben wandern. Dieser Weg wurde früher schon für andere Coronaviren gezeigt. Da an Riechneuronen bislang keine ACE2-Expression nachgewiesen wurde, wird auch eine direkte Infektion des umgebenden olfaktorischen Stützgewebes diskutiert, welches ACE2 exprimiert.

Kopfschmerzen durch Neuroinflammation

Verschiedenen Berichten zufolge sind bis zu einem Drittel der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten von Kopfschmerzen betroffen. Neben Fieber, Husten, Halsschmerzen und Kurzatmigkeit zählen sie zu den häufigsten frühen Beschwerden. Pathophysiologisch erscheinen inflammatorische Mechanismen plausibel. Die in verschiedenen Stadien von COVID-19 freigesetzten Zytokine und Chemokine können unter anderem nozizeptive sensorische Neuronen reizen. Die Autoren mahnen Ärzte, an COVID-19 zu denken, wenn Kopfschmerzen beim Patienten neu auftreten, bekannte Kopfschmerzen sich verändern oder auf die gewohnte Behandlung nicht ansprechen, ins­besondere im Kontext anderer früher COVID-19-Symptome.



Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Neurologische Symptome sind bei COVID-19 häufig, die Ursachensuche läuft auf Hochtouren

Wenn SARS-CoV-2 nervt

Noch lange auffällige Laborwerte bei mildem COVID-19-Verlauf bereiten Sorge

„Blackbox“ Immunabwehr

Neue S1-Leitlinie soll für neurologische Manifestationen bei COVID-19 sensibilisieren

Auf neurologische Störungen screenen

Neuigkeiten in Kürze

Corona-Ticker

Neuigkeiten zu SARS-CoV-2 in Kürze

Corona-Ticker

Genvarianten haben Einfluss auf den COVID-19-Verlauf

Schutzfaktor Blutgruppe 0?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.