Codein und Tramadol

Opioide in der Stillzeit – was Apotheker wissen sollten

Stuttgart - 09.08.2019, 09:00 Uhr

Manchmal muss die Mutter nach der Geburt noch Schmerzmittel einnehmen. Dann stellt sich die Frage: Fläschchen oder weiter stillen? (s / Foto: Alena Ozerova /
stock.adobe.com)

Manchmal muss die Mutter nach der Geburt noch Schmerzmittel einnehmen. Dann stellt sich die Frage: Fläschchen oder weiter stillen? (s / Foto: Alena Ozerova / stock.adobe.com)


Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA weist darauf hin, dass unter Codein- und Tramadol-Einnahme nicht gestillt werden sollte. Grundlegend neu ist diese Information zwar nicht – doch offenbar sind der FDA neue Fälle bekannt geworden, sodass sie erneut von Codein und Tramadol in der Stilltzeit abrät. DAZ.online hat die Hintergründe und möglichen Schmerzmittel in der Stillzeit zusammengefasst.

Sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit gilt: So wenige Arzneimittel wie möglich einnehmen – aber eben auch so viele wie nötig. Bevor Schmerzen als Symptom mit Schmerzmitteln bekämpft werden, sollte immer zunächst versucht werden, die Schmerzursache kausal zu beseitigen. Sind Schmerzmittel nötig, so sollten möglichst keine Kombinationspräparate zum Einsatz kommen.

Allgemein bekannt dürfte in der Apotheke sein, dass bei leichten Schmerzen Paracetamol während der gesamten Schwangerschaft und Ibuprofen nur im ersten und zweiten Trimenon die Mittel der Wahl sind. Bei mittelstarken bis starken Schmerzen kann laut Embryotox auch Paracetamol in Kombination mit Codein verschrieben werden. Auch Tramadol oder Buprenorphin sind in der Schwangerschaft bei entsprechender Indikation möglich. Bei stärksten Schmerzen könne Morphin während der Schwangerschaft verwendet werden – bei strenger Indikationsstellung. Allerdings kann eine analgetische Therapie mit Opioiden/Opiaten bis zur Entbindung beim Neugeborenen Entzugssymptome auslösen, die je nach Dosis und Präparat unterschiedlich ausgeprägt sein können. Jeder Einzelfall muss also genau abgewogen werden.

Schmerzmittel in der Stillzeit: Das sagt Embryotox

Auch in der Stillzeit ist Paracetamol laut Embryotox neben Ibuprofen das Mittel der Wahl. Sollte in der Stillzeit die Einnahme von Codein tatsächlich notwendig sein, ist das laut Embryotox möglich, solange die Anwendung kurzzeitig – nicht länger als zwei bis drei Tage – erfolgt. Das gelte sowohl für die Indikation als Antitussivum als auch kombiniert mit Paracetamol als Schmerzmittel. Allerdings sollte Ibuprofen als Schmerzmittel in der Stillzeit bevorzugt werden.

Der Grund: Codein wirkt zwar weniger stark analgetisch und sedierend als Morphin. Allerdings wird es über das Cytochrom-P450-Enzym CYP2D6 zu Morphin metabolisiert. Dadurch kann es in Einzelfällen zu einer (unerwarteten) Morphinüberdosierung kommen: „Ein Fallbericht beschreibt eine schwere Opioid-Intoxikation bei einem gestillten Säugling, dessen Mutter, genetisch determiniert, Codein ‚ultraschnell‘ zu Morphin metabolisierte“, ist auf Embryotox dazu zu lesen. Der Säugling des beschriebenen Falls verstarb an seinem 13. Lebenstag. Einzeldosen an Codein sollen laut Embryotox aber auch von ultraschnellen Verstoffwechslern gut vertragen werden.

Ist sogar ein stärker wirksames Opioid indiziert, so können auch Fentanyl oder Morphin in der Stillzeit eingesetzt werden. Denn der genetische Metabolisierungstyp hat dann keinen Einfluss und man muss mit keinen unterwarteten Überdosierungen rechnen. Dennoch sollten alle Opioid-Analgetika in der Stillzeit nur kurz und bei Kindern mit Apnoe-Neigung mit besonderer Vorsicht angewendet werden!

Symptome einer Opioid-Überdosis bei Säuglingen

  • Erhöhte Schläfrigkeit (gestillte Babys essen laut FDA in der Regel alle 2 bis 3 Stunden und sollten nicht mehr als 4 Stunden am Stück schlafen)
  • Schwierigkeiten beim Stillen
  • Atembeschwerden
  • Das Baby wirkt „schlaff“

Auch mit Tramadol soll laut Embryotox eine kurzfristige Behandlung in der Stillzeit möglich sein, wenn eine Therapie mit Paracetamol oder Ibuprofen nicht ausreichend wirkt. Dabei sollen Einzeldosen keine Einschränkung des Stillens bedeuten. Bei längerer Therapie müsse aber eine gute Beobachtung des Säuglings gewährleistet sein. Denn trotz des geringen Übergangs in die Muttermilch sei bei Kindern mit Apnoe-Neigung Vorsicht geboten.

Einen etwas strengeren Umgang mit Codein und Tramadol kommuniziert aktuell die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA.

Das sagt die FDA zu Codein und Tramadol

Die FDA macht speziell darauf aufmerksam, dass auch Tramadol ähnlich wie Codein in einen aktiven Metaboliten (O-Desmethyltramadol) umgewandelt wird, der stärkere opioide Effekte hat als Tramadol.

Sowohl bei Codein als auch Tramadol geht es der FDA also um die genetisch unterschiedlichen Metabolisierungstypen über das Enzym CYP2D6. Gefährlich wird es für diejenigen, deren CYP2D6 besonders schnell arbeitet: Mutter und Kind können eine Opioid-Überdosierung erleiden, auch wenn die eingenommene Dosis dies eigentlich nicht erwarten lässt.

Die FDA betont, dass sie bei einer Literaturrecherche zahlreiche Fälle gefunden hat, in denen es unter Codein-Gebrauch der Mutter bei gestillten Babys zu exzessiver Schläfrigkeit und schwerwiegenden Atemproblemen kam – einschließlich eines Todesfalls. Eine entsprechende Recherche zu Tramadol in der Stillzeit habe zwar keine Nebenwirkungsfälle ergeben, jedoch geht laut der FDA von Tramadol ein vergleichbares Risiko aus, wie von Codein.

Allgemeine Symptome einer Opioid-Überdosis

  • Atembeschwerden, Kurzatmigkeit
  • Extreme Schläfrigkeit
  • Benommenheit beim Positionswechsel
  • Ohnmacht

Bereits 2017 hatte DAZ.online über schärfere Beschränkungen für Tramadol und Codein in den USA berichtet. Damals wurde hervorgehoben, dass gerade für Kinder unter zwölf Jahren ein erhöhtes Risiko durch eine Überdosierung besteht. In Deutschland sind schon seit 2015 alle codeinhaltigen Antitussiva bei Kindern unter zwölf Jahren kontraindiziert. Diese Einschränkung war das Ergebnis eines europäischen Nutzen-Risiko-Bewertungsverfahrens.

Kinder, die Kinetik von Tramadol und die deutschen Fachinfos

Gerade bei Kindern scheint auch in Bezug auf Tramadol die Pharmakokinetik besonders kritisch zu sein: So liest man beispielsweise in der Fachinformation der „Tramadol AbZ 100 mg/ml Tropfen“ (Stand April 2018), dass bei Kindern im Alter unter einem Jahr, die Pharmakokinetik von Tramadol und O-Desmethyltramadol zwar untersucht, aber noch nicht vollständig charakterisiert worden ist. Studien sollen darauf hindeuten, dass die Bildungsrate von O-Desmethyltramadol via CYP2D6 bei Neugeborenen kontinuierlich ansteigt und das Niveau der Aktivität von Erwachsenen mit etwa einem Jahr erreicht.

Speziell für die Stillzeit interessant ist die Information, dass ein nicht ausgereiftes Glucuronidierungssystem und eine nicht ausgereifte Nierenfunktion zu einer verlangsamten Elimination und Akkumulation von O-Desmethyltramadol bei Kindern im Alter unter einem Jahr führen kann. Wörtlich steht in der Fachinfo zur Stillzeit: „Tramadol sollte während der Stillzeit nicht angewendet werden. Alternativ sollte während der Behandlung mit Tramadol nicht gestillt werden. Nach einer einmaligen Gabe von Tramadol ist es im Allgemeinen nicht notwendig, das Stillen zu unterbrechen.“

Im Alter von einem Jahr bis 16 Jahren sei die Pharmakokinetik von Tramadol und O-Desmethyltramadol im Allgemeinen ähnlich wie bei Erwachsenen, wenn die Dosierung bezogen auf das Körpergewicht eingestellt wurde. Allerdings soll es eine höhere inter-individuelle Variabilität in Kindern im Alter von acht Jahren und darunter geben.

In den Kombinationspräparaten aus Paracetamol plus Codein werden „Frauen während der Stillzeit“ (aufgrund der Variabilität von CYP2D6) explizit unter den Gegenanzeigen aufgeführt. Bezüglich Kindern steht dort (Stand Mai 2019): „Codein darf bei Kindern im Alter von unter 12 Jahren wegen des Risikos einer Opioidvergiftung auf Grund der variablen und unvorhersehbaren Verstoffwechselung von Codein zu Morphin nicht angewendet werden.“

Wirklich neu ist die aktuelle Warnung der FDA also nicht. Dass sie erneut auf die Gefahren hinweist, könnte mit der Opioidkrise in den USA zusammenhängen. Zudem ist Codein in den USA in einigen Husten- und Erkältungspräparaten auch ohne Rezept erhältlich.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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