Brexanolon bei postpartaler Depression

FDA lässt erstes Antidepressivum für das Wochenbett zu

Stuttgart - 28.03.2019, 07:00 Uhr

Postpartale
Depressionen – wenn einer der schönsten Lebensabschnitte zur Qual wird. Ein
neuartiger Wirkstoff könnte in Zukunft helfen: In den USA wurde Zulresso zugelassen. (s / Foto: tiagozr / stock.adobe.com)

Postpartale Depressionen – wenn einer der schönsten Lebensabschnitte zur Qual wird. Ein neuartiger Wirkstoff könnte in Zukunft helfen: In den USA wurde Zulresso zugelassen. (s / Foto: tiagozr / stock.adobe.com)


Depressionen zu erkennen und zu behandeln, ist nie eine einfache Aufgabe. Bei einer postpartalen Depression kommen erschwerende Faktoren hinzu. Ein Antidepressivum, das speziell für die Wochenbettdepression indiziert ist, könnte die Therapie vereinfachen, doch in Deutschland gibt es bislang keine zugelassene Behandlung. In den USA wurde Dienstag letzter Woche unter dem Markennamen Zulresso der Wirkstoff Brexanolon in der Indikation der postpartalen Depression zugelassen. Doch: „Einfach“ ist die Therapie unter dem neuartigen GABAA-Modulator nicht.

Exzessive Sedierung und plötzlicher Verlust des Bewusstseins – das sind Nebenwirkungen, die wohl niemand so leicht wegsteckt. Genau diese potenziellen Nebenwirkungen bringt aber das am 19. März 2019 in den USA gegen postpartale Depressionen (PPD) unter dem Namen Zulresso zugelassene Antidepressivum mit sich. Zwar nur während der Verabreichung – diese dauert allerdings 2,5 Tage. Deshalb hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Zulresso (Wirkstoff: Brexanolon) mit einer „Risk Evaluation and Mitigation Strategy“ (REMS) zugelassen. Zudem ist Brexanolon nur innerhalb eines begrenzten Verteilungsprogrammes an zertifizierten Einrichtungen erhältlich: das „Zulresso REMS Program“. Zulassungsinhaber ist das Unternehmen Sage Therapeutics. Die Zulassung erfolgte beschleunigt unter den Kategorien „Priority Review“ und „Breakthrough Therapy“.  

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Nur wer sich für das „Zulresso REMS Program“ in den USA registriert, darf Brexanolon verabreicht bekommen. Es handelt sich bei dem neuartigen Arzneimittel um eine Infusion, die über 60 Stunden, also 2,5 Tage, gegeben werden muss. Während dieser Zeit müssen die Patienten in den zertifizierten Einrichtungen streng überwacht werden. Dabei geht es um den plötzlichen Bewusstseinsverlust und übermäßige Sedierung, aber auch um eine dauerhafte Überwachung des Sauerstoffgehalts im Blut. Während dieses Zeitraums dürfen die Patientinnen auch nicht unüberwacht mit ihren Kindern interagieren.

All diese Sicherheitsmaßnahmen sind in der Gebrauchsinformation in einer schwarzen Box („Boxed Warning“) vermerkt. Nach den 2,5 Infusionstagen sollten Patienten kein Auto fahren, schwere Maschinen bedienen oder andere gefährliche Aktivitäten ausüben, bis die Schläfrigkeit vollständig abgeklungen ist. 

Doch wie wirkt Brexanolon?

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Die Zulassung basiere auf zwei klinischen placebokontrollierten Studien, heißt es in der Pressemitteilung der FDA vom 19. März. Innerhalb dieser Studien wurden die Patientinnen (18-45 Jahre) nach der 60-Stunden-Infusion weitere vier Wochen begleitet. Während die eine Studie Patientinnen mit schwerer PPD (postpartale Depression) einschloss (Studie 1, 138 Probanden), untersuchte die andere Frauen mit moderater PPD (Studie 2, 108 Probanden).

Eine Grafik in der Fachinformation der FDA zu Zulresso stellt dar, wie stark die verschiedenen Brexanolon-Dosen eine postparale Depression im Vergleich zu Placebo mildern können.

Bei den meisten Patientinnen (76%) hatte die PPD innerhalb von vier Wochen nach der Entbindung eingesetzt. Beim Rest hatte die PPD im dritten Trimester begonnen. Je nach Gruppe verwendeten 22 bis 30 Prozent der Probandinnen begleitend zur Brexanolon-Therapie Antidepressiva. In Studie 1 beendeten 42 Patientinnen in der Placebo-Gruppe die Studie, in Studie 2 waren es 52. In Studie 1 gab es außerdem eine Gruppe mit einer hohen Brexanolon-Dosis und eine mit einer niedrigen: 35 Patientinnen mit niedriger Brexanolon-Dosis beendeten die Studie, 36 waren es unter der hohen Dosis. In Studie 2 beendeten 48 Patientinnen die Studie unter der hohen Dosis. Auffällig an den signifikanten Verbesserungen der PPD ist der große Placebo-Effekt. 

Der Wirkmechanismus von Brexanolon

Hinter dem Markennamen Zulresso verbirgt sich der Wirkstoff Brexanolon.

Wie Brexanolon bei der Behandlung von Wochenbettdepressionen wirkt, ist laut Fachinformation der FDA noch nicht gänzlich verstanden. Man vermutet aber, dass die Wirkung mit der positiven allosterischen Modulation von GABAA-Rezeptoren in Zusammenhang steht.

Chemisch entspricht Brexanolon dem endogenen Allopregnanolon.  Allopregnanolon ist ein Metabolit von Progesteron und zählt zu den „neuroaktiven Steroiden”. Allopregnanolon gilt als potenter positiver allosterischer Modulator am GABAA-Rezeptor. Reduzierte Allopregnanolon-Spiegel werden mit Depression, Angststörung, dem Prämenstruellen Syndrom und Alzheimer in Verbindung gebracht. SSRI und andere Antidepressiva sollen Allopregnanolon-Spiegel erhöhen.

Man kennt heute beim Menschen 19 verschiedene GABAA-Untereinheiten, über welche die physiologische Aktivität des Chloridkanals bestimmt wird. Am häufigsten sind im zentralen Nervensystem GABAA-Rezeptoren aus zwei α-, zwei β- und einer γ-Untereinheit zu finden. Der natürliche Ligand des GABAA-Rezeptors ist γ-Aminobutyrat (GABA). Wenn zwei GABA-Moleküle unter Beteiligung der jeweiligen α-Untereinheit an die β-Untereinheiten binden wird der Kanal voll aktiviert.

Die bekanntesten Arzneimittel, die am GABAA-Rezeptor angreifen, sind Benzodiazepine und die Z-Substanzen (außerdem Barbiturate und Alkohol): Sie verstärken durch Bindung an die α - und γ-Untereinheit den Effekt von GABA. Benzodiazepine sind – wie vermutlich Brexanolon – also allosterische Modulatoren. Dadurch, dass sie nur die Affinität von GABA zum Chloridkanal erhöhen, entfalten sie ihre Wirkung nur, wenn auch tatsächlich GABA vorliegt.

Bei Brexanolon scheinen die Untereinheiten α1β2γ2, α4β3δ und α6β3δ eine Rolle zu spielen.

PPD kann laut der Pressemitteilung der FDA auch schon während der Schwangerschaft beginnen. Daten zur Sicherheit von Brexanolon in der Schwangerschaft gibt es jedoch noch keine. Tierstudien deuten aber darauf hin, dass sich Brexanolon negativ auf eine Schwangerschaft auswirken könnte.

Peripartale Depressionen: Therapie und Häufigkeit in Deutschland

In der Nationalen Versorgungsleitlinie der AWMF zu „Unipolaren Depressionen“ werden auch zu „Depressionen in der Peripartalzeit“ Empfehlungen ausgesprochen. So können Depressionen nicht nur – wie man es vom umgangssprachlichen Begriff Wochenbettdepressionen erwartet – nach einer Schwangerschaft, sondern auch schon in der Schwangerschaft beginnen. Also antepartal oder postpartal: „Ca. 50  Prozent postpartaler Depressionen beginnen in der Schwangerschaft“, heißt es dort. Allerdings handle es sich bei antepartalen Depressionen häufiger um Rezidive früherer Episoden, während postpartale Depressionen vermehrt Ersterkrankungen darstellen. 

Weiterhin gibt es Unterschiede zwischen solchen Depressionen und dem „post partum blues“ sowie „post partum-Psychosen“. Den „Post partum blues“, wobei es sich um Stimmungsschwankungen in den ersten Tagen nach der Entbindung handele, würden etwa 50 bis 80 Prozent aller Frauen durchleben. Die Psychosen sollen meist abrupt innerhalb eines Monats nach der Entbindung beginnen – ihre Prävalenz wird auf 1-2 pro 1.000 geschätzt. 

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Für betroffene Frauen sind die Wochenbettdepressionen extrem belastend, auch weil zur Erkrankung an sich oft Schuldgefühle hinzukommen. Zusätzlich werden antepartale Depressionen mit erhöhten Fehl- und Frühgeburtenraten sowie Wachstumsstörungen und Entwicklungsverzögerungen beim Säugling in Verbindung gebracht. Treten die Depressionen (zusätzlich) postpartal auf, können Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensstörungen folgen. Die schlimmste Konsequenz wären sogenannte erweiterte Suizide. Auch Väter sind von postpartalen Depressionen laut Leitlinie übrigens nicht ausgenommen.

Die Mittel der Wahl: Erst Psychotherapie, dann Trizyklische Antidepressiva und SSRI

Randomisierte-kontrollierte Studien in der Peripartalzeit können aus ethischen Gründen nicht durchgeführt werden, deshalb stützt sich die deutsche Leitlinie vor allem auf naturalistische Vergleichsstudien und Fallberichte. Dabei ist das Risiko der Arzneimittelklasse der SSRI am besten untersucht, gefolgt von TZA. Zu neueren Wirkstoffklassen sollen nur vereinzelt Befunde vorliegen (SNRI und NRI).

Alle Psychopharmaka können Schwangerschaftsverlaufs- und Geburtskomplikationen hervorrufen und zu zentralnervösen, gastrointestinalen und respiratorischen Anpassungsstörungen beim Neugeborenen führen. Die Gabe von Psychopharmaka während Schwangerschaft und Stillzeit sollte also immer nur nach einer sorgfältigen Nutzen-/Risikoabwägung erfolgen. Auch alternative Maßnahmen, wie eine Psychotherapie, sollten zuvor berücksichtigt werden (auch prophylaktisch). 

Monotherapie bevorzugen

Entschließt sich der behandelnde Arzt zu einer Pharmakotherapie, sollte eine Monotherapie bevorzugt werden. Dann können SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) und TZA (Trizyklische Antidepressiva) zur Behandlung mittelschwerer bis schwerer postpartaler Depressionen angeboten werden.
Laut Embryotox zählen bei depressiven Krankheitsbildern in der Schwangerschaft Amitriptylin, (Imipramin), Nortriptylin (TZA) sowie Sertralin und Citalopram (SSRI) zu den Mitteln der Wahl.

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Auch laut Leitlinie scheinen Sertralin oder Citalopram nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden zu sein. Eine fetale sonographische Feindiagnostik in der 20. SSW sollte aber dennoch empfohlen werden.

Paroxetin und Fluoxetin (SSRI) sollten nicht als Antidepressiva der ersten Wahl in der Schwangerschaft neu verordnet werden. Grund ist das geringfügig erhöhte Risiko für Fehlbildungen. Auch eine Neueinstellung auf Lithium sollte nur in Einzelfällen bei Patientinnen mit geplanter Schwangerschaft erfolgen. Nehmen Schwangere aber doch Lithium ein, sollte der Spiegel deutlich häufiger kontrolliert und die (möglichst niedrige) Dosis auf mehrere Einnahmen pro Tag verteilt werden.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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