Pilotstudie im Saarland

Schlanker Beipackzettel will sich beweisen

Berlin - 07.09.2017, 07:00 Uhr

Die gegenwärtigen Arzneimittel-Beipackzettel sorgen nicht immer für spontanes Verständnis. (Foto: crimson / stock.adobe.com)

Die gegenwärtigen Arzneimittel-Beipackzettel sorgen nicht immer für spontanes Verständnis. (Foto: crimson / stock.adobe.com)


Im Saarland soll eine Pilotstudie untersuchen, ob und wie eine zweite Packungsbeilage der Patientencompliance nutzen kann. Kompakt auf einer Seite sollen die wichtigsten Informationen zum Arzneimittel abgebildet sein. Erste Vorstudien, die am Lehrstuhl für Klinische Pharmazie an der Uni des Saarlandes initiiert wurden, legen nahe, dass sich eine solche Studie lohnt. Das glaubt man auch bei der saarländischen Apothekerkammer. Doch noch ist die Finanzierung des Projekts ungewiss.

Packungsbeilagen von Arzneimitteln sind für viele Patienten eher abschreckend als hilfreich. Auf dünnem Papier steht zumeist eng und klein gedruckt, was der Gesetzgeber und die Zulassungsbehörden an Information fordern. Oftmals bleibt neben der Lesbarkeit auch die Verständlichkeit für den Patienten auf der Strecke: Zu viele Fremdworte finden sich im Text, zu unübersichtlich sind die Informationen angeordnet.

Abhilfe schaffen könnte eine „Zweit-Beilage“ oder zumindest ein zusätzlicher Abschnitt im gewöhnlichen Beipackzettel. Hier könnten die wichtigsten Infos laiengerecht und kompakt auf einer Seite dargestellt werden. Da es sich lediglich um einen Zusatz handelt und die gesetzlichen vorgeschriebenen Informationen auf der eigentlichen Packungsbeilage zu finden sind, ließe sich diese Zweit-Info schlank halten.

EU-Kommission und Länder wollen Erfahrungen sammeln

Solche Extra-Abschnitte in Packungsbeilagen für Arzneimittel spricht auch die Europäische Kommission in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht zu dieser Problematik an. Sie konstatiert allerdings, dass hierzu noch mehr Erfahrungen gesammelt werden müssten. Dazu sollte die Verwendung solcher wesentlicher Informationen in der Packungsbeilage sowie die etwaige Nutzung von QR-Codes als alternative Möglichkeit der Patientenaufklärung weiter erkundet werden.

Kurz darauf fasste außerdem die Gesundheitsministerkonferenz der Länder den Beschluss, wonach das Bundesgesundheitsministerium prüfen soll, ob es zielführend und rechtlich möglich ist, der aktuellen Packungsbeilage zusätzlich eine leicht verständliche Kurzform zuzulegen, um den Nutzen dieser Information für die Patienten zu erhöhen.

Im Saarland wäre man bereit, dies praktisch zu überprüfen. Schon im März verkündete das saarländische Gesundheitsministerium, eine Pilotstudie durchführen zu wollen. Und zwar unter Beteiligung der Apothekerkammer des Saarlandes, der IKK Südwest und der Universität des Saarlandes sowie den im Saarland ansässigen pharmazeutischen Unternehmen kohlpharma, Ursapharm und Dr. Theiss Naturwaren. Der Wille ist da. Nicht zuletzt die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) setzt sich schon lange für lesbarere Beipackzettel ein. Geht es nach ihrem Haus, soll die Studie im kommenden Sommer starten.

Vorstudien an der Uni des Saarlandes machen Mut

Professor Dr. Thorsten Lehr vom Lehrstuhl für Klinische Pharmazie an der Uni des Saarlandes hat mit seinen Studenten bereits Vorstudien durchgeführt, deren Ergebnisse zuversichtlich stimmen. Sein Ausgangspunkt war dabei, dass es bislang „erschreckend wenig wissenschaftliche Vorarbeit“ zum Thema Packungsbeilagen gibt. Das wollte er nachholen. Dazu hat sein Team zunächst die Beipackzettel zu den 30 laut Barmer-Arzneimittelreport am häufigsten verordneten Arzneimitteln genauer untersucht. Der Text wurde mithilfe der Verständlichkeitssoftware „TextLab“, die auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex beruht, geprüft. Anhand verschiedener Parameter wird hier ein Index zwischen 0 (= geringe Verständlichkeit) und 20 Punkten (= hohe Verständlichkeit) gebildet. Während eine durchschnittliche politikwissenschaftliche Dissertation einen Wert von etwa 0 Punkten erreicht, kommt ein durchschnittlicher Artikel aus dem politischen Teil der Bild-Zeitung auf 18 Punkte. Die Packungsbeilagen schafften laut Lehr einen Schnitt von 9 Punkten. Ausreißer nach unten war hier Ibuprofen mit knapp 5 Punkten, am besten schnitt mit 14 Punkten Cefuroxim ab. Ein Problem: Es werden sehr viele Fachwörter benutzt, und die Texte sind lang.

Mehr Verständlichkeit mit klassischen sprachlichen Kniffen

Doch wie lassen sich die Beilagen nun so verbessern, dass man im gesetzlichen Rahmen bleibt? Zunächst versuchte es Lehr mit ganz klassischen sprachlichen Kniffen, die Texte verständlicher machen: direkte Ansprache, aktive Formulierungen, Verben statt Hauptworte. Sein Team begann, Beipackzettel zu vier häufig verordneten Arzneimitteln gegen chronische Erkrankungen umzuformulieren (Simvastatin, Ramipril, Prednisolon und Salbutamol). Es zeigte sich: Der messbare Verständlichkeitsindex stieg im Schnitt um 2,5 Punkte. Es folgte eine Online-Umfrage mit etwas über 100 Teilnehmern, bei der beide Varianten verglichen wurden. Auch hier zeigte sich bei einer anschließenden Abfrage: Die neue Variante wurde besser verstanden. Der Haken an dieser Umfrage: Die Teilnehmer waren in der Regel Studierende und damit nicht unbedingt die Zielgruppe.

Sodann überlegte Lehr, ob nicht ein ganz neues Format gewählt werden könnte – eben besagte Extra-Beilage.  Solche Kurzanleitungen kennen wir von technischen Geräten: Sie geben einen raschen Überblick  – und wer es genauer wissen will, kann in eine detaillierte Anweisung einsteigen. In diesem Sinne erstellte Lehrs Team zwei Beispiel-Kurzinformationen. Einmal zu Doxicyclin von 1 A Pharma und einmal zu Alendronsäure von Heumann. Was zuvor eng und lang auf der Packungsbeilage stand, war nun komprimiert auf einer DIN A 4-Seite zu lesen. Diesmal fand der Probelauf mit rund 150 vornehmlich älteren Personen statt. Auch hier habe sich eine signifikante Verbesserung gezeigt, berichtet Lehr. Viel schneller konnte der Inhalt aufgenommen und anschließende Fragen besser beantwortet werden. Die Kurzbeilage wurde klar favorisiert.

Doch Lehr räumt ein: Es ist gut, wenn Patienten dieses Zusatzangebot schätzen. Noch besser wäre es allerdings, wenn dies auch einen nachweisbaren Effekt hat: Könnte so eine Kurzinformation die Compliance steigern? Und wie ließe sich das mit harten Endpunkten messen? Genau nach solchen Endpunkten suchen Lehr und sein Team nun. Sie sind überzeugt: Wenn sie nachweisen können, dass ein harter Endpunkt positiv beeinflussbar ist, dann stehen die Chancen gut, dass die zusätzliche Kurzinformation eine Zukunft hat.

Kammerpräsident Saar: Patientenwohl im Vordergrund

Ein ganz praktisches Problem gibt es für die nun geplante Pilotstudie aber noch: Es ist noch unklar, wie sie finanziert wird. Mitte August trafen sich die Beteiligten zuletzt, um weitere Einzelheiten inklusive der Finanzierung zu besprechen. Im letzteren Punkt kam man allerdings zu keiner Lösung. Doch Professor Lehr gibt so schnell nicht auf und hat noch weitere Ideen, wen er um Unterstützung bitten könnte. Auch Förderung aus dem Innovationsfonds kommt in Betracht.

Der Präsident der Apothekerkammer des Saarlandes, Manfred Saar, ist ebenfalls optimistisch, dass das Geld noch aufgetrieben werden kann. Zunächst einmal seien nur rund 300.000 Euro nötig, ein überschaubarer Betrag. Saar steht voll hinter dem Projekt – auch wenn die Apotheker keinen direkten Vorteil von besseren Beipackzetteln haben. „Den Nutzen hat der Patient – und es sollte unsere vornehmste Pflicht als Apotheker sein, etwas für die Patienten und ihre Therapietreue zu tun“, erklärt Saar die Motivation der Kammer.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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