Fentanyl in der Giftspritze 

Auch Nevada plant Hinrichtung mit unerprobter Mischung

Stuttgart - 05.09.2017, 09:00 Uhr

Die Giftspritze gilt als wichtigste Hinrichtungsmethode in den USA, aber
 den Behörden gehen die benötigten Substanzen aus. Sie erproben neue Mischungen. (Foto: blickwinkel / 
picture alliance)

Die Giftspritze gilt als wichtigste Hinrichtungsmethode in den USA, aber den Behörden gehen die benötigten Substanzen aus. Sie erproben neue Mischungen. (Foto: blickwinkel / picture alliance)


US-Gefängnisse haben große Probleme, an ihre Arzneimittel für Exekutionen zu kommen. In der Folge greifen sie zu experimentellen Mischungen. Nun hat der Bundesstaat Nevada angekündigt, bei einer im November geplanten Hinrichtung erstmalig Fentanyl einzusetzen. Erst vor Kurzem war in Florida ein zuvor niemals erprobter Giftcocktail zum Einsatz gekommen. 

Fentanyl, Valium (Diazepam) und das nicht-depolarisierende Muskelrelaxans Cisatracurium – diesen tödlichen Cocktail soll der 46-jährige Scott Raymond Dozier am 14. November im Ely State Prison im US-Bundesstaat Nevada verabreicht bekommen. Er ist wegen zweifachen Mordes verurteilt – seit 2002. Allerdings ist diese Mischung noch nie zuvor bei einer Hinrichtung eingesetzt worden. Wie viele andere US-Bundesstaaten hat auch Nevada Probleme, an die für die Giftspritzen benötigten Arzneimittel zu gelangen. Die Gefängnisse werden diesbezüglich kreativ. So wurde erst vor Kurzem in Florida das Narkotikum Etomidat erstmalig für eine Hinrichtung eingesetzt. 

Tödliche Überdosen unter Fentanyl 

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid. Seine analgetische Potenz ist 120 mal so hoch wie die von Morphin. Fentanyl ist ein Agonist am μ-Opioidrezeptor. Es wird zur Therapie schwerer akuter und chronischer Schmerzen bei Erwachsenen und Kindern (ab 2 Jahren) sowie in der Anästhesie eingesetzt. Die Substanz wird in den USA immer wieder mit unabsichtlichen Überdosis-Fällen in Zusammenhang gebracht. So wird das synthetische Opioid zum einen von Fälschern unter gängige Rx- und OTC-Arzneimittel gemischt. Zum anderen werden laut Berichten des Centers of Disease Control (CDC) auch illegale Drogen, wie Heroin oder Kokain, mit Fentanyl versetzt. In beiden Fällen haben die Opfer keine Ahnung, was sie da eigentlich konsumieren. Da Fentanyl um ein Vielfaches potenter ist als Heroin, kommt es auf diese Weise immer wieder zu tödlichen Überdosierungen. 

Diazepam als zweite Komponente, ein Muskelrelaxans als dritte

Diazepam ist ein Benzodiazepin, das wegen seiner hohen Lipidlöslichkeit und der daher guten Passage der Blut-Hirn-Schranke einen raschen Wirkungseintritt hat. Es wirkt unter anderem anxiolytisch und sedierend. Bei Überdosierung führt es zu Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. Cisatracurium lähmt neben den Skelettmuskeln auch die Atemmuskulatur. Ist der Verurteilte bei Bewusstsein, erstickt er qualvoll. Auch andere Wirkstoffe aus der Gruppe der nicht-depolarisierenden Muskelrelaxanzien wie Pancuronium, Vecuronium, Rocuronium und Tubocurarin kamen schon bei Hinrichtungen zum Einsatz, ebenso wie Suxamethonium, das zu den depolarisierenden Substanzen zählt. 

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Verurteilte als Versuchkaninchen? 

Einige Experten zeigen sich US-Medien zufolge „verblüfft“ über die nun in Nevada vorgeschlagenen Wirkstoffe. Fentanyl einzusetzen, sei pure Ironie. So habe man mit Fentanyl auf der einen Seite eine Substanz, die auf Amerikas Straßen Hunderte Menschen umbringt. Auf der anderen Seite bekommen die Gefängnisse keine Substanzen für Hinrichtungen mehr und entschließen sich, genau diese Substanz für diesen Zweck einzusetzen. Das klinge wie ein Artikel einer Satireseite.

Andere hingegen sind wenig überrascht ob des Vorschlags. Fentanyl sei alleine tödlich, da es schwere Atemdepressionen verursachen kann. Wer das angesichts der vielen Drogentoten durch mit Fentanyl-versetztem Heroin nicht mitbekommen hätte, lebe hinter dem Mond.

Die American Civil Liberties Union des Staates Nevada kritisiert US-Medien zufolge den geplanten Einsatz dieser Mischung. Man könne den Verurteilten nicht als Versuchskaninchen einsetzen. 

Warum genau diese Mischung?

Warum man sich in Nevada genau für diese Mischung entschieden hat? Das „Marshall Project“, eine unabhängige Journalistenorganisation, die sich der Berichterstattung über den Strafvollzug verschrieben hat, zitiert dazu Experten. Diese sehen keinen ersichtlichen Grund, warum genau diese Kombination gewählt wurde. Es soll wohl versucht werden, mit Valium und Fentanyl das Erstickungsgefühl zu unterdrücken, erklärt ein Anästhesist, der bereits als Gutachter vor Gericht, wenn es um Hinrichtungsprotokolle ging, aufgetreten ist. So lindere Fentanyl Schmerzen und Diazepam Angst. Doch beide stießen irgendwann an Grenzen, und keines der beiden Arzneimittel sei dazu gedacht,Todesangst oder Todesschmerzen zu unterdrücken.

Andere halten den „Cocktail“ für human. So sagt ein organischer Chemiker, Diazepam ließe die Delinquenten einschlafen, so merkten sie den Wirkeintritt des Fentanyls nicht, und das Muskelrelaxans stoppe schließlich die Atmung durch Lähmung der Atemmuskulatur. Seiner Ansicht nach ist das eine humane Todesspritze. Und dass sie ihren Zweck erfüllt, ist er sich ohnehin sicher – vorausgesetzt, es werde ausreichend Fentanyl gegeben. Und ausreichend sei bei dieser Substanz nicht viel. 

Endgültige Entscheidung steht noch aus

Eine Mischung aus Hydromorphon und Midazolam, also ebenfalls ein Opioid und ein Benzodiazepin, die in Ermangelung anderer Substanzen angewendet worden war, war heftig in die Kritik geraten, weil die Todeskandidaten offenbar unter großen Schmerzen litten. Mittel der ersten Wahl wären Barbiturate, alternativ Propofol. Doch diese Substanzen werden nicht mehr an US-Gefängnisse geliefert.

Die Entscheidung, welche Mischung in Nevada zum Einsatz kommen soll und in welcher Reihenfolge die Wirkstoffe verabreicht werden sollen, ist wohl nicht abschließend geklärt. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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