Hinrichtungen in den USA

Was ist in den Todesspritzen?

Stuttgart - 17.05.2016, 14:00 Uhr

Die Giftspritze gilt als wichtigste Hinrichtungsmethode in den USA, aber den Behörden gehen die benötigten Substanzen aus. (Foto: blickwinkel / picture alliance)

Die Giftspritze gilt als wichtigste Hinrichtungsmethode in den USA, aber den Behörden gehen die benötigten Substanzen aus. (Foto: blickwinkel / picture alliance)


Als letzter großer Hersteller will der Pharmariese Pfizer der US-Regierung keine Medikamente mehr liefern, die für Hinrichtungen mit der sogenannten Giftspritze verwendet werden. Das wurde am Wochenende bekannt. Aber welche Medikamente enthält die tödliche Mischung?

Die USA sind einer von weltweit 25 Staaten, in denen zuletzt noch die Todesstrafe vollstreckt wurde. In 32 Staaten kann sie noch zur Anwendung kommen, jedoch machen nicht alle von diesem Recht Gebrauch. Haupthinrichtungsmethode ist dabei die sogenannte Giftspritze – in den meisten Staaten ein tödlicher „Cocktail“ aus drei Wirkstoffen.

Doch in den vergangenen Jahren haben immer mehr Unternehmen die Lieferungen der benötigten Wirkstoffe an US-Behörden gestoppt. Zuletzt die Firma Pfizer. Die EU beschränkt bereits seit 2011 die Ausfuhr von Substanzen für diese Giftcocktails. Das betrifft vor allem Natrium-Thiopental. Die Substanz findet sich neben weiteren Barbituraten auf der sogenannten Anti-Folter-Liste der EU, die unter anderem den Export bestimmter Wirkstoffe für Folterungen und Hinrichtungen verbietet. Die US-Behörden können nun legal kaum mehr an die Substanzen für ihre Giftspritzen herankommen.

In den meisten Fällen kommt eine Dreierkombination aus einem Narkotikum, einem Muskelrelaxans und Kaliumchlorid, die nacheinander verabreicht werden, zum Einsatz.

Barbiturate als Narkosemittel

Im ersten Schritt soll ein Narkotikum den Todeskandidaten bewusstlos machen. Die Dosis ist oft so hoch, dass sie bereits allein tödlich sein kann. Einzelne Staaten verabreichen auch nur diese Spritze.

Zum Einsatz kommen hier meist Barbiturate, vor allem Thiopental. Wie alle Barbiturate wirkt es über eine Aktivierung der inhibitorisch wirkenden GABAA-Rezeptoren im zentralen Nervensystem. In niedriger Dosis verlängern die Barbitursäurederivate lediglich die Bindung des natürlichen Liganden, der γ-Aminobuttersäure (GABA), in höherer Dosierung aktivieren sie zusätzlich selbst den Chloridkanal. In der Folge wird die Erregbarkeit der jeweiligen Zelle herabgesetzt. Die Wirkung ist dosisabhängig, von sedierend über hypnotisch bis zu narkotisch.

Die Wirkung von Thiopental tritt schnell ein, hält aber nur kurz an (5 bis 15 Minuten). In der Anästhesie wird Thiopental daher als Alternative zu Propofol zur Narkoseeinleitung eingesetzt. Die kurze Wirkdauer führte immer wieder zu Diskussionen über die Schmerzfreiheit der Giftspritze. So bemängeln Kritiker, dass möglicherweise der Verurteilte wieder das Bewusstsein erlangt und qualvoll an der zweiten Komponente der tödlichen Mischung, dem Muskelrelaxans, erstickt. Zum Einschläfern von Tieren wird daher unter anderem das länger wirksame Pentobarbital eingesetzt.

Seit aus Europa kein Thiopental mehr für Hinrichtungen geliefert werden darf, griffen US Behörden in den letzten Jahren zunächst vermehrt auf das verwandte Pentobarbital zurück. Das mittellang wirksame Barbiturat, das früher als Durchschlafmittel angewendet wurde, kommt heute in der Humanmedizin nicht mehr zum Einsatz. Sterbehilfeorganisationen verwenden es allerdings. Doch auch Pentobarbital wird von den Herstellern mittlerweile nicht mehr an US-Gefängnisse geliefert. 

Wegen der Lieferengpässe wird experimentiert

Propofol ist eine mögliche Alternative zu den Barbituraten. Das in der Humanmedizin aufgrund seiner guten Steuerbarkeit häufig eingesetzte Mittel wirkt ebenfalls über eine Aktivierung von GABA-Rezeptoren. Doch auch hier gibt es Lieferschwierigkeiten. Als US-Behörden angesichts der Knappheit an Barbituraten ankündigten, in Zukunft verstärkt Propofol für ihre Hinrichtungen einsetzen zu wollen, schränkte der deutsche Hersteller Fresenius den US-Export der Substanz ein. Auch steht seit einiger Zeit die Aufnahme von Propofol in die Anti-Folter-Liste im Raum.

Um weiterhin Todesstrafen vollstrecken zu können experimentieren die US-Behörden mit Giftcocktails, zum Beispiel aus dem Benzodiazepin Midazolam und dem Opioid Hydromorphon. Teilweise mit schlimmen Folgen.Hier ging 2014 der Fall von Joseph Wood durch die Medien, dessen Todeskampf sich mit dieser Mischung über fast zwei Stunden gezogen haben soll. Zuvor hatte es im selben Jahr in anderen Bundesstaaten bereits zwei Hinrichtungen gegeben, die deutlich länger dauerten, als geplant.

Muskelrelaxanzien, die zweite Komponente

Die zweite Komponente der letalen Injektion, wie die Giftspritze offiziell heißt, ist ein Muskelrelaxans. Die Substanzen lähmen neben den Skelettmuskeln auch die Atemmuskulatur. Ist der Verurteilte bei Bewusstsein, erstickt er qualvoll. Zum Einsatz kommen hier nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien wie Pancuronium, Vecuronium und Tubocurarin sowie Suxamethonium, das zu den depolarisierenden Substanzen zählt. Erstere sind kompetitive Antagonisten, das heißt sie konkurrieren mit dem natürlichen Liganden Acetylcholin um die nicotinischen Acetylcholinrezeptoren der postsynaptischen Membran und verhindern so deren Aktivierung. In der Folge kommt es zur Muskelerschlaffung. Sie haben selber keine intrinsische Wirkung.

Suxamethonium hingegen wirkt als Agonist an den Acetylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte. Die Substanz ruft eine Dauerdepolarisation hervor, die ebenfalls zur Muskellähmung führt. Im Gegensatz zu den nicht-depolarisierenden  Muskelrelaxanzien kann die Wirkung von Suxamethonium nicht durch Cholinesterase-Inhibitoren wie Neostigmin aufgehoben werden.

Zum Schluss Kaliumchlorid

Bestandteil Nummer drei ist Kaliumchlorid. Hohe Dosen führen zum Herzstillstand, da extrazelluläre Kaliumspiegel ab 10 mmol/l das Membranpotential umkehren. Es ist dann stark positiv. Die Zelle kann nach einem Aktionspotenzial nicht mehr repolarisieren. Rechtsmedizinisch ist eine Kaliumchlorid-Vergiftung schwer nachzuweisen. Da die extrazelluläre Kalium-Konzentration durch den Zerfall der Zellen nach dem Tod ansteigt.

Die Suche nach Alternativen

Seit der Bezug der Bestandteile der Giftspritze, insbesondere der Narkosemittel, zunehmend schwieriger wird, setzen einige Staaten verstärkt auf „compounding pharmacies“, also Apotheken, die den tödlichen Cocktail als Rezeptur herstellen. Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost ist dies ein lohnendes Geschäft: So soll ein Hersteller in Kalifornien dem zuständigen Justizministerium 200 Gramm einer bestimmten Substanz für 500.000 Dollar angeboten haben.

Auch auf Stoffe unlizensierter Hersteller aus Indien soll zurückgegriffen werden, schreibt die Berliner Morgenpost weiter. Regelmäßig würden Lieferungen zuletzt durch die Drogenfahndung und die FDA abgefangen. Um welche Substanzen es sich hier handelt, ob sie die nötige pharmazeutische Qualität haben, sei nicht bekannt. Denn das unterliege hohen Geheimhaltungsvorschriften, die von den jeweiligen Bundesstaaten erbittert vor Gericht verteidigt würden.

Da die Todesstrafe in der US-Bevölkerung immer noch einen stabilen Rückhalt besitzt, suchen die US-Bundesstaaten ob der immer knapper werdenden Giftvorräte nach Alternativen zur tödlichen Injektion. So erlauben einige Staaten zusätzlich den Strick oder den Einsatz von Gaskammern. Andere verwenden als Reservelösung den elektrischen Stuhl oder die Möglichkeit, die Verurteilten zu erschießen, sollten irgendwann keine Substanzen für die Giftspritze mehr verfügbar sein. Keine dieser Methoden gilt jedoch unter Medizinern und Juristen im Sinne der Verfassung als human.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Das ist kaum nachvollziehbar

von Andy am 12.12.2019 um 2:20 Uhr

Sicher hat doch ein Land wie die USA und selbst ein einzelner Bundesstaat sowohl die Mittel als auch das Wissen, eigene Produktionsstätten für diverse Chemikalien einzurichten. Die sind doch nicht darauf angewiesen, dass irgendein Privatunternehmen diese liefert.

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