Arzneimittel und Therapie

Mehr als ein Hustenstiller

Welche Wirkungen mit modifiziertem Dextromethorphan erreicht werden

daz | Als rezeptfreies Antitussivum ist Dextromethorphan nicht aus der Apotheke wegzudenken. Dabei hat das Morphinan noch viel mehr zu bieten: Neben der Senkung der Blutzuckerspiegel verbessert es auch die Blutgefäßfunktionen und wirkt gegen neuropathische Schmerzen. Für diese Indikationen sind hohe Dosierungen notwendig, die oft mit zentralnervösen Nebenwirkungen einhergehen. Mithilfe chemischer Modifikationen ist es deutschen Forschern gelungen, diese weitestgehend zu verringern.

Morphinane gehören zur Gruppe der Alkaloide. Dies sind basische, zunächst aus Pflanzen isolierte Verbindungen mit Wirkungen auf den menschlichen Organismus. Das erste Alkaloid war das Morphinan Morphium, das der deutsche Apotheker Friedrich Sertürner 1805 aus Schlafmohn isolierte. Einem weiteren deutschen Apotheker, Heinrich Merck (Gründer des Unternehmens Merck in Darmstadt), gelang wenige Jahre später die industrielle Produktion von Morphium und anderen Alkaloiden.

Bekanntes Suchtpotenzial

Neben Morphium gehören noch viele weitere Opiate zu der Familie der Morphinane und werden insbesondere für die Behandlung von Schmerzen eingesetzt. Einige Morphinane (z. B. Codein) werden aber auch aufgrund ihrer antitussiven Wirkung pharmazeutisch genutzt. Die Nebenwirkungen von Opiaten, insbesondere ihr Suchtpotenzial, sind hinlänglich bekannt und haben zu großer Vorsicht im Umgang mit Morphinanen als Arzneimittel geführt. Historisch hatte der Umgang mit Opiaten große gesellschaftliche Auswirkungen, wenn man z. B. an die Opiumkriege zwischen dem Vereinigten Königreich und China oder zuletzt die Opiumkrise in den USA denkt.

Links- oder rechtsdrehend?

Morphinane sind chemische Enantiomer-Verbindungen, die aus vier Ringen bestehen, nämlich einem aromatischen A-Ring, zwei gesättigten B- und C-Ringen sowie einem weiteren D-Ring, der ein Stickstoff-Atom enthält und mit den beiden gesättigten Ringen verbunden ist (s. Abb.). Im Gegensatz zu den linksdrehenden Morphinanen, von denen zum Teil eine starke Suchtgefahr ausgeht, weist das rechtsdrehende Morphinan Dextromethorphan nur bei Missbrauch und sehr hoher Dosierung eine psychische Suchtgefahr auf. Aus diesem Grund ist es in Deutschland nicht verschreibungspflichtig. Dextromethorphan wurde als Ersatz für den Hustenstiller Codein vor fast 70 Jahren in den USA entwickelt und ist seit vielen Jahrzehnten in Apotheken erhältlich.

Abb.:Das Morphinan-Grundgerüst besteht aus einem aromatischen Ring A, zwei gesättigten Ringen B und C und einem weiteren Stickstoff-haltigen Ring, der mit den beiden gesättigten Ringen verbunden ist. Rechts daneben die Struktur von Dextromethorphan.

Stark auch bei Diabetes & Co.

Neben den hustenstillenden Eigenschaften wurden aber noch weitere Wirkungen in präklinischen und klinischen Studien identifiziert: zum Beispiel die Linderung diabetischer neuropathischer Schmerzen, Verbesserung der Blutgefäßfunktion (als eine wichtige Prävention von Herzkreislauferkrankungen), Behandlung der Affektinkontinenz und Senkung der Blutglucose-Konzentration. Eine Verbesserung der Gefäßfunktion wird bereits bei einer niedrigen Dosierung von Dextromethorphan (30 mg oder 60 mg) beobachtet. Dagegen können diabetische neuropathische Schmerzen oder die Blutglucose-Senkung nur in hohen Dosen (270 mg) oder in geringer Dosis in Kombination mit anderen Wirkstoffen (wie Sitagliptin beim Diabetes mellitus oder Chinidin bei der Affektstörung und den diabetischen neuropathischen Schmerzen) behandelt werden. Bei hohen Dosierungen von Dextrometh­orphan müssen jedoch zentralnervöse Nebenwirkungen, insbesondere Schwindel, bedacht werden.

Schützt Beta- und Nervenzellen

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Eckhard Lammert, Direktor am Deutschen Diabetes-Zentrum und Leiter des Instituts für Stoffwechselphysiologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hatte vor einigen Jahren herausgefunden, dass die Blutglucose-Konzentration bei Menschen mit einem Typ-2-Diabetes nach Gabe von 270 mg Dextromethorphan sinkt. Auch konnte die Arbeitsgruppe in präklinischen Studien belegen, dass dieses rechtsdrehende Morphinan in der Lage ist, die Insulin-produzierenden Betazellen zu erhalten und somit den Verlauf einer Diabetes-Erkrankung günstig zu beeinflussen. Ein möglicher Wert des Morphinans wäre daher ein Aufhalten der Progression des Diabetes. Interessant sind zudem Berichte anderer Arbeitsgruppen, die zeigen, dass Dextromethorphan Nervenzellen und das Herzkreislauf-System schützt. Viele Diabetiker leiden nämlich im Zuge ihrer Erkrankung an Neuropathien und Herzkreislauf-Problemen.

ZNS-Nebenwirkungen gezielt ausschalten

Um die zentralnervösen Nebenwirkungen von Dextromethorphan zu verringern, arbeitete die Arbeitsgruppe um Prof. Lammert mit einem Team des Universitätsklinikums Düsseldorf sowie Chemikern aus Dortmund zusammen. Ziel war es, das Morphinan chemisch an seinem aromatischen A-Ring so zu verändern, dass seine positiven Wirkungen erhalten bleiben, gleichzeitig aber Nebenwirkungen im zentralen Nervensystem vermieden werden. In langjähriger Arbeit fanden die Wissenschaftler heraus, dass bestimmte stickstoffhaltige Substitutionen am A-Ring dazu beitragen, dass Dextromethorphan nicht die Bluthirnschranke durchdringen kann und damit auch keine zentralnervösen Nebenwirkungen verursacht. Umgekehrt blieben die positiven Wirkungen der Muttersubstanz auf die Insulin-produzierenden Betazellen und die Blutglucose-Regulation erhalten.

Höhere Dosierungen möglich

Lammert erläutert: „Die chemischen Veränderungen am Dextromethorphan erlauben es erstmals, dass dieser potente Wirkstoff zukünftig höher dosiert werden kann, um ihn damit der Behandlung verschiedener Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus Typ 2 oder neuropathische Schmerzen) zur Verfügung zu stellen.“ Für die Zukunft sieht Prof. Lammert auch die Möglichkeit, linksdrehende Morphinane ohne zentralnervöse Nebenwirkungen und mit verringertem Suchtpotenzial zu entwickeln. Lammert erklärt weiter: „Als Gesellschaft sind wir aufgefordert, Krankheiten besser als bislang zu bekämpfen. Die Arbeit an besseren Therapien ist leider mit vielen Risiken verknüpft, aber – wie wir an den Impfstoffen gegen COVID-19 sehen konnten – zuweilen für die Gesellschaft durchaus lohnenswert.“ |

Literatur

Marquard J et al. Effects of dextromethorphan as add-on to sitagliptin on blood glucose and serum insulin concentrations in individuals with type 2 diabetes mellitus: a randomized, placebo-controlled, double-blinded, multiple crossover, single-dose clinical trial. Diabetes Obes Metab. 2016 Jan;18(1):100-3

Marquard J et al. Characterization of pancreatic NMDA receptors as possible drug targets for diabetes treatment. Nat Med. 2015 Apr; 21(4):363-72

Nach persönlicher Mitteilung, Deutsches Diabetes Zentrum

Otter S, Lammert E. Exciting times for pancreatic islets: glutamate signaling in endocrine cells. Trends Endocrinol Metab 2016 Mar; 27(3):177-88

Scholz O et al. Peripherally active dextromethorphan derivatives lower blood glucose ­levels by targeting pancreatic islets. Cell Chem Biol. 2021 Jun 2: S2451-9456(21)00256-7

Welters A et al. NMDAR antagonists for the treatment of diabetes mellitus-Current ­status and future directions. Diabetes Obes Metab. 2017 Sep;19 Suppl 1:95-106

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.