Arzneimittel und Therapie

Erst Asthma, dann Osteoporose

Langzeitfolgen unter inhalativen Glucocorticoiden

cel/mab | Auch inhalative Corticoide erhöhen das Risiko für Osteoporose und Frakturen, und zwar in Abhängigkeit von der kumulativen Dosis. Ab elf jährlichen Verordnungen über Beclometason, Budesonid-, Ciclesonid- oder Fluticason-Inhalatoren hatten Asthmatiker einer Studie zufolge ein 1,6-fach erhöhtes Osteoporose-­Risiko. Eine Osteoporose-Prophylaxe erfolgte unzureichend, die Leitlinien berücksichtigen diese nicht.

334 Millionen Menschen leiden weltweit an Asthma, in der Therapie spielen inhalative (ICS) und auch orale Corticoide (OCS) eine wichtige Rolle bei der Entzündungshemmung. Vor ­allem die Stellung der inhalativen Glucocorticoide ist mit der jüngsten GINA-Empfehlung noch gestärkt worden: Die GINA (Global Initiative for Asthma) empfiehlt in ihrer 2020 aktualisierten „Global Strategy for Asthma Management and Prevention“ inhalative Cor­ticoide bereits bei leichtem Asthma Corticoide zur Inhalation. Patienten mit mildem Asthma (Stufe I: Asthmasymptome weniger als zweimal pro Monat) sollen bei Bedarf inhalative Corticoide in niedriger Dosis (in Kombination mit Formoterol) erhalten. Ab Stufe II (Asthmasymptome häufiger als zweimal pro Monat, jedoch nicht täglich) sieht die GINA die tägliche Inhalation von Corticoiden in niedriger Dosis vor (oder bei Bedarf ICS plus Formoterol). Patienten mit moderatem bis schwerem Asthma der Stufen III bis V erhalten ebenfalls inhalative Cortico­ide, jedoch in höheren Dosen und gemeinsam mit einem bronchienerweiternden langwirksamen β2-Agonisten. Bei schwerem Asthma oder akuten Verschlechterungen des Asthmas (Exazerbationen) können Patienten orale Glucocorticoide erhalten.

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Langfristige Effekte von Beclometason 
und Co.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des durch die GINA gestärkten Einsatzes von inhalativen Glucocorticoiden interessierten sich die Wissenschaftler um Christos Chalitsios von der University of Nottingham (UK) für die Auswirkungen der Corticoide auf die Knochengesundheit der Asthmatiker. Ihre Fall-Kontroll-Studie wurde jüngst im Fachjournal „Thorax“ des „British Medical Journal“ veröffentlicht. Dabei ging es bei den inhalativen Corticoiden um Beclometason, Budesonid, Fluticason und Ciclesonid. Als orales ­Corticoid kam in den meisten Fällen (97 Prozent) Prednisolon zum Einsatz.

Risiko für Osteoporose und Frakturen bei Asthmatikern

Die britischen Forscher fanden ein dosisabhängig erhöhtes Risiko für Osteoporose und Fragilitäts-Frakturen – dazu zählten sie Brüche der Wirbel und der Hüfte, des Unterarms, des Oberarms und des Handgelenks. Offene Brüche wurden ausgeschlossen, da diese normalerweise nicht durch spröde Knochen, sondern eine massive ­äußere Krafteinwirkung verursacht werden. Die Wissenschaftler werteten dafür Daten von 15,4 Millionen Briten aus, bei denen im Zeitraum zwischen April 2014 und Dezember 2017 Asthma diagnostiziert worden war. Dabei wurde ein Asthmapatient mit Osteoporose oder erlittenen Frakturen mit bis zu vier zufällig ausgewählten Asthmatikern (gleiches Alter und Geschlecht) derselben Arztpraxis verglichen, die keine Osteoporose oder Knochenbrüche hatten. Von 69.074 Asthmatikern litten 1564 zusätzlich an ­Osteoporose (Kontrollgruppe ohne ­Osteoporose: 3313). 2131 hatten Frakturen (Kontrollgruppe ohne Knochenbrüche: 4421) erlitten.

Je häufiger orale Corticoide verordnet wurden, desto häufiger wurden Osteoporose und Frakturen berichtet: Bereits bei zwei bis drei Prednisolon-Verordnungen im Vorjahr zeigte sich ein erhöhtes Risiko für Osteoporose; lagen neun oder mehr Prednisolon-Verordnungen im jeweiligen Vorjahr vor, erhöhte sich das Risiko einer Osteoporose um das 4,5-Fache. Die kumulative ­Dosis geben die Wissenschaftler mit 2.500 mg Prednisolon an. Dieser Effekt zeigte sich ebenso bei den Knochenbrüchen, wenn auch weniger ausgeprägt: Das Frakturrisiko stieg ab neun Prednisolon-Verordnungen um das 2,16-Fache verglichen mit Asthmatikern, die keine Prednisolon-Verordnung erhalten hatten.

Fluticasonpropionat vs. Fluticasonfuroat

Um Nebenwirkungen weitestgehend zu vermeiden, weisen inhalative Glucocorticoide optimalerweise eine hohe lokale Entzündungshemmung bei gleichzeitiger geringer systemischer Wirkung auf. Glucocorticoide, die eine hohe Affinität zu dem Glucocorticoidrezeptor aufweisen, verweilen länger im Lungengewebe, gleichzeitig wird die systemische Wirkung reduziert. Schon eine unterschiedliche Veresterung im Molekül kann eine große Änderung in der Affinität zum Rezeptor bewirken. So konnten die Forscher um Biggadike et al. in Versuchen zeigen, dass Fluticasonfuroat besser in die Ligandenbindungsstelle des Glucocorticoid-Rezeptors passt als das nah verwandte Fluticasonpropionat und es dadurch eine um 60% höhere Bindungsaffinität zu dem Rezeptor hat. Darum kann mit einer Dosierung von einmal täglich 100 Mikrogramm Fluticasonfuroat in etwa die gleiche Wirkung wie mit zweimal täglicher Inhalation von 250 Mikrogramm Fluticasonpropionat erreicht werden.

Ab elf Cortison-Sprays: 1,6-fach erhöhtes Osteoporose-Risiko

Auch eine inhalative Glucocorticoid-Therapie konnte mit einem höheren Risiko für Osteoporose und Frakturen in Zusammenhang gebracht werden: Erhielten Asthmatiker elf oder mehr Verordnungen im Vorjahr über inhalative Glucocorticoide, war die Diagnose einer Osteoporose 1,6 mal wahrscheinlicher als in der Kontrollgruppe. Das Risiko sei bei allen inhalativ eingesetzten Glucocorticoiden ähnlich, so die Autoren, wobei Budesonid sich am stärksten auswirkte. Hinsichtlich des Frakturrisikos zeigte sich ebenfalls eine Erhöhung mit Anzahl der Verordnungen (elf und mehr) und der kumulativen Dosis, und zwar um den Faktor 1,3. Hier wurde kein statistisch signi­fikanter Unterschied zwischen den einzelnen Wirkstoffen gefunden. Die Krux: Auf inhalative Corticoide (und teilweise auch auf ­orale) kann in der Asthma-Therapie aktuell nicht verzichtet werden. Die britischen Forscher raten deswegen, Corticoide in der niedrigst möglichen Dosis, die zur Asthmakontrolle erforderlich ist, anzuwenden.

Nur wenige Patienten erhalten Bisphosphonate

Erstaunlicherweise hatten nur 31 Prozent der Patienten mit Osteoporose und 21,4 Prozent der Patienten mit Knochenbrüchen und oraler Glucocorticoidtherapie auch eine Verordnung über ein Bisphosphonat. Nur etwa die Hälfte der Patienten unter oraler Corticoidtherapie (neun und mehr Verordnungen) erhielt auch eine Verordnung über ein Bisphosphonat. Die US-amerikanische Leitlinie für Rheumatoide Arthritis rät hingegen zur Osteoporose-Prophylaxe bei einer täglichen Prednisolon-Dosis ab 2,5 mg und einer Therapiedauer ab drei Monaten.

Osteoporose-Prophylaxe in Asthma-Leitlinien ungenügend

Die Wissenschaftler schlagen vor, dass eine Osteoporose-Prophylaxe explizit in künftigen Asthma-Leitlinien berücksichtigt werden soll. Der GINA-Report weist zwar auf systemische Nebenwirkungen einer langfristigen und hochdosierten inhalativen Glucocorticoid-Therapie hin – unter anderen ein erhöhtes Risiko für Osteoporose. Allerdings findet sich eine Empfehlung zur Verordnung einer Osteoporose-Prophylaxe nur bei oraler Cortison-Therapie bei einer voraussichtlichen Therapiedauer ab drei Monaten. Allgemein stellt die GINA fest, dass vor allem bei älteren Menschen das Risiko für eine Osteoporose erhöht sei. Hinweise auf eine Osteoporose-Prophylaxe während einer ­inhalativen Glucocorticoid-Therapie fehlen, ebenso wie eine solche (bei OCS und ICS) auszusehen hat. In der Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma, die brandaktuell ist (September 2020), findet sich das Wort „Osteoporose“ nur ein einziges Mal – und auch hier nur im Zusammenhang mit oralen Corticoiden. |

Literatur

Global Strategy for Asthma Management and Prevention, Informationen der Global Initiativ for Asthma, https://ginasthma.org/gina-reports/, Abruf am 12. November 2020

Chalitsios C V, Shaw D E, McKeever T M et al. Risk of osteoporosis and fragility fractures in asthma due to oral and inhaled corticosteroids: two population-based nested case-control studies. BMJ Journals Thorax 2020. http://dx.doi.org/10.1136/thoraxjnl-2020-215664

Buckley L, Guyatt G, Fink H A et al. 2017 American College of Rheumatology Guideline for the Prevention and Treatment of Glucocorticoid Induced Osteoporosis. ACR 2020. doi:10.1002/acr.23279

Nationale Versorgungsleitlinie Asthma Langfassung, 2020, 4. Auflage, AWMF-Register-Nr.: nvl-002

Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V. Fluticasonfuroat/Umeclidinium/Vilanterol (Trelegy Ellipta). Modul 2. Informationen des GBA. Version vom 18. April 2013

Biggadike K, Bledsoe RK, Hassell AM et al. X-ray crystal structure of the novel enhanced-affinity glucocorticoid agonist fluticasone furoate in the glucocorticoid receptor-ligand binding domain. J Med Chem. 2008. doi: 10.1021/jm800279t

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