Die Seite 3

Der Mai ist gekommen …

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

… und damit die so lange ersehnten ersten Lockerungen des Corona-Lockdowns. Diese Lockerungen von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren verdanken wir der bewundernswerten Einsicht und Disziplin einer breiten Schicht unserer Bevöl­kerung. Zustände wie in New York, Italien, Frankreich oder Spanien sind uns dank eines besonnenen Handelns vor allem der im Gesundheitswesen Tätigen bislang erspart geblieben. Der Ausbau von Klinik- und Intensivbetten für COVID-19-Erkrankte hat für ausreichende Versorgungskapazitäten gesorgt. Momentan sind wir in der komfortablen Situation, dass mehr Betten und Beatmungsgeräte für COVID-19-Patienten zur Verfügung stehen als benötigt werden. Die Situation entspannt sich also – und plötzlich werden tiefe Gräben sichtbar.

Da gehen auf der einen Seite am 1. Mai in Stuttgart und Berlin mehrere hundert Menschen auf die Straße und ignorieren jegliche Schutzmaßnahmen. Sie halten die Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 für übertrieben, die Einschränkungen ihrer Grundrechte für unverhältnismäßig.

Auf der anderen Seite sorgen sich ­unterschiedliche Gruppen von Ärzten wie Kardiologen, Onkologen, Neuro­logen und auch Gynäkologen um die Menschen, die aus Angst vor einer SARS-CoV-2-Infektion dringend notwendige Arztbesuche verschieben und selbst im Notfall keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen (DAZ 2020, Nr. 18, S. 24 und S. 17 in dieser DAZ). Das zeigt, wie wichtig es ist, jetzt trotz aller Ungewissheiten und Unsicher­heiten rund um die Corona-Pandemie wieder den Blick auf Erkrankungen und Patienten jenseits von COVID-19 zu richten. Auch hier drohen Gefahren: Eine zu spät erkannte oder nicht konsequent behandelte Krebserkrankung lässt ebenfalls Menschen über die Gebühr leiden und früher sterben, ebenso ein nicht rechtzeitig behandelter Herzinfarkt oder Schlaganfall. Um dieses Leid zu vermeiden, muss es gelingen, den zutiefst verunsicherten Menschen die Ängste zu nehmen. Sie müssen sich sicher fühlen können, wenn sie in ihre Hausarztpraxis gehen, wenn sie zum Facharzt oder in die Klinik müssen. Entscheidend wird sein, wie gut die Hygienekonzepte der einzelnen Praxen und Kliniken die ­Patienten überzeugen können.

Gleiches gilt natürlich auch für jede Apotheke. Denn auch hier werden die Menschen den Besuch meiden, wenn sie Sorge haben müssen, nicht ausreichend geschützt zu sein. Dass diese Sorge weitestgehend unberechtigt ist und die Apotheken ihre Hausaufgaben in Sachen Infektionsschutz sowohl für ihre Mitarbeiter als auch Kunden und Patienten bestens erledigt haben, zeigt einmal mehr das Ergebnis einer Umfrage des Norddeutschen Rundfunks. Danach mussten deutschlandweit nur 30 der rund 19.000 Apotheken wegen COVID-19-Infektionen zeitweise schließen.

Um den Riss durch die Gesellschaft wieder zu schließen, müssen also Ängste genommen und gleichzeitig die Übermütigen überzeugt werden, dass die Gefahr nicht gebannt ist, dass nur unter strikter Einhaltung von Schutzmaßnahmen der Einstieg in ein weitestgehend normales Leben ohne Einschränkungen gelingen kann. Für eine Entwarnung ist es definitiv zu früh. Denn bis es einen sicheren Impfstoff oder wirksame und gut verträg­liche Arzneimittel gegen SARS-CoV-2 geben wird, werden wir noch manche Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung und Enttäuschung hinlegen müssen. Remdesivir oder auch Hydroxychloroquin sind Paradebeispiele dafür.

Doris Uhl

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