Die Seite 3

Fatales Versagen

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Nicht nur um Schutzkleidung und ­Masken ist derzeit ein nie dagewesener Verteilungskampf ausgebrochen. Auch der Run auf Schmerzmittel, Narkosemittel, Sedativa und nicht zuletzt auf Arzneimittel, die ein Potenzial im Kampf gegen COVID-19 erkennen lassen, führt zu massiven Versorgungsproblemen. Selbst wenn es den Kliniken gelingt, ausreichend Kapa­zitäten für Intensivbetten und Beatmungsgeräte zur Verfügung zu stellen und ihr Personal zu schützen, dann könnte die Patientenversorgung immer noch daran scheitern, dass der für die Be­atmung deutlich gestiegene Bedarf an Narkotika wie Propofol oder Sedativa wie Midazolam nicht gedeckt werden kann. Hilferufe der Anästhesisten wurden schon über die Bild-Zeitung kundgetan (s. S. 30). Je nachdem, wie die Klinikapotheke oder die Klinik-versorgende Apotheke aufgestellt ist, droht der Mangel, teilweise fehlen die Arzneimittel schon jetzt. Immer häufiger muss improvisiert werden.

Und dann schreckte letzte Woche auch noch die Meldung auf, dass in Baden-Württemberg die Apotheken aufgefordert sind, sich mit Morphin und Sedativa zu bevorraten, damit schwerkranke COVID-19-Patienten auch ambulant ­behandelt werden können. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, wie schnell der so schon angespannte Markt für diese Arzneimittel leergefegt sein wird und wie schwer sich dann zum Beispiel Kliniken tun werden, ihren steigenden Bedarf zu decken.

Was gerne auch in diesen Zeiten mit dem „Klopapier-Phänomen“ verglichen wird, erreicht hier eine ganz andere, eine lebensbedrohliche Dimension. Wenn es nicht gelingt, die knappen Ressourcen an lebensnotwendigen ­Medikamenten so zu verteilen, dass sie auch dort zeitnah ankommen, wo sie benötigt werden, dann werden zunehmend Menschen ihr Leben lassen müssen, die trotz COVID-19 hätten überleben können.

Doch wir müssen auch an diejenigen denken, die jenseits der Coronavirus-Problematik auf die Medikamente angewiesen sind, auf die jetzt so große Hoffnungen im Kampf gegen das neuartige Virus gesetzt werden. Zum Beispiel Hydroxychloroquin für Rheumapatienten oder Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) für HIV-Patienten. Auch ­diese Patienten laufen dank des „Klo­papier-Phänomens“ nun Gefahr, nicht mehr versorgt werden zu können. Die Anordnung des BfArM zur Sicherstellung der Versorgung mit Hydroxychloroquin in den zugelassenen Indikationen ist ein verzweifelter Versuch, noch zu retten, was zu retten ist. Ebenso die im Rahmen des Entwurfs der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung vorgesehenen Regelungen, die bei Engpässen einen Durchgriff der ­Behörden erlauben sollen (s. S. 9).

Derweil wird in Talkshows staatstragend verkündet, dass die Corona-Krise jetzt die Chance bietet, über Globalisierung, Just-in-Time-Belieferung und Geiz-ist-geil-Mentalität nachzudenken, dass wir nicht nur die Produktion von Schutzkleidung wieder ins Land holen müssen, dass das auch den Arzneimittelsektor betreffe, auch wenn es teurer wird – so z. B. Bundesfinanzminister Olaf Scholz bei Anne Will, am 5. April 2020. Solche Statements sind ein Schlag ins Gesicht all derer, die schon vor Jahren vor solchen Szenarien gewarnt haben. In unzähligen Runden unter anderem zu Arzneimittel-Lieferengpässen saßen die verantwortlichen Politiker mit am Tisch. Konsequenzen wurden keine gezogen. Wenn jetzt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit Verweis auf die Pandemie-Planspiele der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 titelt: „Der Bericht, den keiner las!“, dann zeigt das symptomatisch das fatale Versagen unserer für die Daseinsfürsorge verantwortlichen Politiker.

Doris Uhl

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