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Infektiologie

Die Schwindsucht ist noch nicht verschwunden

Woher die Tuberkulose kommt und was man dagegen tun kann

 Anfang August 2019 war auf „Spiegel online“ folgende Meldung zu lesen: „Schule bei Heidelberg ‒ mehr als hundert Personen mit Tuberkulose infiziert“ [1]. Aber was ist Tuberkulose eigentlich, wer ist besonders gefährdet, welche Therapien gibt es, wie kann man vorbeugen und wie sieht es mit einer Impfung aus? Dies sind nur einige der Fragen, mit denen Sie in Ihrer Apotheke nun möglicherweise vermehrt konfrontiert sein werden. | Von Stefan Oetzel

Die Tuberkulose (TB, TBC, früher auch Schwindsucht, weiße Pest oder weißer Tod) ist eine meldepflichtige, weltweit verbreitete Infektionskrankheit, die durch verschiedene Arten von Mykobakterien verursacht werden kann [2, 3]. Als erster Tuberkuloseerreger wurde Mycobacterium tuberculosis im Jahr 1882 von dem deutschen Bakteriologen Robert Koch entdeckt, der im Jahr 1905 dafür den Nobelpreis für Medizin erhielt [4]. Die Infektion erfolgt in aller Regel über den Luftweg von Mensch zu Mensch. Am häufigsten wird die Lunge befallen (Lungentuberkulose), es können aber auch alle anderen Organe betroffen sein [2, 3].

Wie stark ist die Tuberkulose verbreitet?

Die Tuberkulose gehört neben HIV/AIDS und Malaria global zu den häufigsten Infektionskrankheiten [2, 3]. Etwa ein Drittel der Bevölkerung weltweit ist mit einem Tuberkuloseerreger infiziert, wobei nur etwa 5 bis 10% davon an einer aktiven, behandlungsbedürftigen Tuberkulose erkranken [2, 3]. Bei infizierten Patienten, deren Immunsystem bereits geschädigt ist, wie z. B. bei Menschen mit HIV, ist das Risiko für eine Erkrankung jedoch deutlich höher. Nach Angaben der WHO sind im Jahr 2017 weltweit zehn Millionen Menschen an einer Tuberkulose erkrankt und zwischen 1,2 und 1,4 Millionen daran gestorben [5]. Rund 85% aller an Tuberkulose Neuerkrankten leben in Afrika, Südostasien und der westlichen Pazifikregion, während auf die europäischen Länder insgesamt nur etwa 5% aller weltweit auftretenden Tuberkulose-Neuerkrankungen fallen (Abb. 1) [2].

Abb. 1: Geschätzte Rate der Neuerkrankungen mit Tuberkulose im Jahr 2017 für Länder mit mindestens 100.000 Krankheitsfällen [5].

In Deutschland wurden im Jahr 2018 nach Angaben des Robert Koch-Instituts 5429 Fälle von Tuberkulose gemeldet [6]. Dies entsprach einer Inzidenz von 6,5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Damit blieben die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr (Inzidenz: 6,6 Erkrankungen/100.000 Einwohner) auf nahezu unverändertem Niveau. Bei drei Viertel der gemeldeten Fälle handelte es sich um eine Lungentuberkulose, davon 82% als offene Form. Von diesen war mehr als die Hälfte mikroskopisch positiv und damit besonders infektiös. Der hohe Anteil der offenen und damit infektiösen Lungentuberkulosen zeigt, dass die Erkrankung auch in Deutschland immer noch ein relevantes Gesundheitsproblem darstellt [6].

Die Tuberkuloseinfektionen sind in Deutschland nicht gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt. Viele Betroffene sind Geflüchtete aus Ländern, in denen Tuberkulose noch weit verbreitet ist. So hatten laut den aktuellsten Zahlen des Robert Koch-Instituts im Jahr 2017 ausländische Staatsbürger mit einer Inzidenz von 40,6 Krankheitsfällen pro 100.000 Menschen ein mehr als 18-mal höheres Risiko, an Tuberkulose zu erkranken, als die deutsche Bevölkerung, bei der die Rate an Neuerkrankungen 2,2 Fälle pro 100.000 Einwohner betrug [7]. Unterschiede gibt es hier auch hinsichtlich der Altersverteilung: Während bei ausländischen Staatsangehörigen vor allem Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 29 Jahren betroffen sind, handelt es sich in der deutschen Bevölkerung meist um ältere Erwachsene (Alters­gipfel > 79 Jahre), die nach einer Infektion in den Kriegs- oder Nachkriegsjahren dann im höheren Alter eine aktive Tuberkulose entwickeln haben [7].

Welche Erreger verursachen die Erkrankung?

Die für eine Tuberkuloseinfektion verantwortlichen Mykobakterien sind unbewegliche, langsam wachsende Stäbchenbakterien, die Sauerstoff benötigen, also aerob sind und aufgrund ihrer Eigenschaften beim Anfärben zu den sogenannten grampositiven Bakterien zählen (Abb. 2) [2]. Dabei kann die Erkrankung durch verschiedene Arten hervorgerufen werden, die insgesamt den „Mycobacterium-tuberculosis-Komplex“ bilden. Hierzu gehören Mycobacterium (M.) tuberculosis (am häufigsten), M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canetti und M. pinnipedii sowie der Impfstamm M. bovis BCG (Bacillus Calmette Guérin), der als einziger der genannten Arten nicht meldepflichtig ist [2, 3].

Foto: Science Photo Library / Dennis Kunkel Microscopy

Abb. 2: Mycobacterium tuberculosis ist ein aerob lebendes unbewegliches Stäbchen, das 0,2 bis 0,5 µm × 2 bis 5 μm groß ist. Hier eine gefärbte Aufnahme mit dem Rasterelektronenmikroskop.

Wie wird Tuberkulose übertragen und wer ist besonders gefährdet?

Eine Tuberkuloseinfektion geht in der Regel von Menschen mit einer sogenannten offenen Tuberkulose aus, bei denen der Krankheitsherd Verbindung zu den Luftwegen hat und die Bakterien so an die Umwelt abgegeben werden können [2]. Die Übertragung erfolgt dabei fast immer aerogen, das heißt durch feinste erregerhaltige Tröpfchen (Aerosole < 5 μm Durchmesser) in der ausgeatmeten Luft, die von den Patienten z. B. beim Sprechen, Husten oder Niesen freigesetzt werden. Auch eine Übertragung durch Mykobakterien-haltige Nahrungsmittel wie nicht-pasteurisierte Milch oder rohes Fleisch ist möglich, in Deutschland aber nicht mehr von Bedeutung. Die Inkubationszeit, das heißt die Zeit zwischen der Infektion und einer messbaren Immunantwort, beträgt im Durchschnitt sechs bis acht Wochen. Aber auch Jahrzehnte nach der Infektion kann es noch zu einer Reaktivierung und damit zu einer Erkrankung kommen, insbesondere bei Patienten, deren Immunsystem geschwächt ist.

Eine Ansteckung mit Tuberkulose erfolgt nicht so leicht, wie dies bei anderen auf dem Luftweg übertragbaren Krankheiten, z. B. Masern, der Fall ist [2]. Ob es zu einer Infektion kommt, hängt von der Intensität und Dauer des Kontaktes, von der abgegebenen Erregermenge, der Infektionskraft (Virulenz) der Bakterien und der Empfänglichkeit der Kontaktperson ab [3]. So erkranken bei intaktem Immunsystem nur ca. 5% der Infizierten an einer behandlungsbedürftigen, aktiven Tuberkulose. In den Industrieländern sind Patienten mit verminderter Immunabwehr besonders gefährdet. In den Entwicklungsländern tritt die Tuberkulose unter anderem deshalb viel häufiger auf, weil Mangel- und Unterernährung sowie schlechte hygienische Bedingungen, vor allem aber die hohen HIV-Raten dies begünstigen [3]. Besonders gefährdet, an einer Tuberkulose zu erkranken, sind demnach [2]:

  • Menschen mit geschwächtem Immunsystem, z. B. HIV-Infizierte, Diabetiker und Kleinkinder sowie Patienten, die immunsupprimierende Arzneimittel einnehmen müssen,
  • Personen, die eng mit bereits an offener Tuberkulose erkrankten Patienten in Kontakt stehen, z. B. nahe Angehörige, Pflegepersonal,
  • Menschen mit einer unzureichend behandelten früheren Tuberkulose,
  • Menschen, die eine Mangelernährung aufweisen und/oder unter schlechten hygienischen Bedingungen leben, wie dies z. B. häufig bei drogenabhängigen oder obdach­losen Personen der Fall ist.

Wie hoch das persönliche Risiko ist, an einer aktiven Tuberkulose zu erkranken, lässt sich anhand des TST/IGRA-Interpreters (TST/IGRA: Tuberculosis Skin Test/Interferon Gamma Release Assay) der kanadischen McGill-Universität über einen Algorithmus unter Einbeziehung einer Reihe von Faktoren online abschätzen [8].

Welche Symptome können auftreten?

In etwa 80% der Fälle manifestiert sich die Erkrankung als Lungentuberkulose [2]. Typisches Krankheitszeichen ist dann ein auch länger bestehender Husten, eventuell mit blutigem Auswurf und Schmerzen beim Atmen. Weitere mögliche Symptome sind unter anderem Einschränkungen des Allgemeinbefindens, Appetitmangel, ungewollter Gewichtsverlust, Fieber, vermehrtes nächtliches Schwitzen, Müdigkeit und allgemeine Schwäche. Breiten sich die Bakterien über die Lymph- oder Blutbahn im Körper aus, dann können andere Organe wie Nieren, Harnwege, Darm, Haut, Gehirn, Knochen und Gelenke befallen werden und sich auch noch Jahre nach der ursprünglichen Infektion entsprechende Tuberkuloseformen mit organspezifischen Symptomen entwickeln. Eine sehr seltene, aber besonders gefährliche Verlaufsform ist die Miliar-Tuberkulose, bei der mehrere Organe gleichzeitig befallen werden, sowie die tuberkulöse Hirnhautentzündung [2].

Wie wird eine Tuberkulose diagnostiziert?

Der Nachweis einer Tuberkulose kann über verschiedene Methoden erfolgen. So werden latente tuberkulöse Infek­tionen über den Tuberkulin-Hauttest (THT) nach Mendel-Mantoux oder den Interferon-Gamma-Test festgestellt [2]. Mit dem Tuberkulin-Hauttest wird eine Reaktion der T-Lymphozyten auf Antigene von M. tuberculosis getestet. Dazu wird standardisiertes, gereinigtes Tuberkulin-Extrakt intrakutan verabreicht und im Anschluss die Hautreaktion geprüft [9].

Der Interferon-Gamma-Test ist ein immunologisches Testverfahren, bei dem das Blut der Testperson mit Antigenen von M. tuberculosis in ein Reagenzglas gegeben wird. Hatte der Betreffende aufgrund einer Tuberkuloseinfektion schon mit dem Erreger Kontakt, dann bilden sogenannte Gedächtniszellen seines Immunsystems vermehrt den Botenstoff Interferon-Gamma, der im Zellüberstand gemessen werden kann [2].

Eine wichtige Säule bei der Diagnose der Lungentuberkulose bildet nach wie vor die Röntgenuntersuchung der Lunge (Abb. 3) [2, 3]. Sie wird bei einem positiven Tuberkulin-Hauttest immer durchgeführt und auch dann, wenn trotz eines negativen Tests aufgrund der Krankengeschichte ein Verdacht auf Tuberkulose besteht. Der Krankheitsverlauf während einer Therapie lässt sich so ebenfalls beurteilen. Sind die Röntgen-Befunde nicht klar, dann kann ergänzend eine Computertomografie veranlasst werden [10].

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Abb. 3: Röntgenbild der Lunge eines Tuberkulose-Patienten mit tuberkulosebedingten Kavernen [3].

Liegt ein Verdacht auf Lungentuberkulose vor, sollte ein direkter Erregernachweis im Auswurf (Sputum) oder Bronchialsekret bzw. Trachealsekret eines Patienten, das mittels Bronchoskopie gewonnen werden kann, durchgeführt werden [2]. Diese Proben werden nach Anfärbung im Lichtmikroskop untersucht. Ein Nachweis gelingt so aber nur, wenn entsprechende Erregermengen vorliegen, der Patient also sehr infektiös ist. Deswegen wird in der Regel zusätzlich auch ein kultureller Nachweis durchgeführt, das heißt, die Erreger werden auf speziellen Nährmedien angezüchtet, wobei das Anlegen einer solchen Bakterien-Kultur je nach Verfahren zwischen zwei und acht Wochen dauern kann [3].

Auch molekularbiologische Methoden werden in der Diagnostik eingesetzt [2]. So kann mittels Nukleinsäure-Amplifikationsverfahren (z. B. Polymerase-Kettenreaktion) ein schneller Erregernachweis geführt werden, der jedoch nur eine Sensitivität von 80 bis 90% aufweist. Daher sollte immer auch zusätzlich eine Kultur angelegt werden, um das Testergebnis zu bestätigen. Über eine sogenannte DNA-Fingerabdruck-Analyse lässt sich ein Erreger auf molekularer Ebene typisieren [2].

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Tuberkulose kann meist gut behandelt werden, wobei die Standardtherapie in der Regel sechs Monate dauert [3]. Die Patienten erhalten mehrere Antibiotika in Kombination, da ansonsten das Risiko der Resistenzbildung zu hoch ist. Dabei werden üblicherweise in den ersten zwei Monaten vier Wirkstoffe und in den folgenden vier Monaten zwei Präparate gegeben, die dann jeweils täglich gleichzeitig eingenommen werden müssen. So können unkomplizierte Tuberkulosen vollständig geheilt werden, und die Gefahr eines Rückfalls ist dann auch sehr gering. Die Heilungsaussichten sind dabei umso besser, je früher die Diagnose gestellt wird und damit die Therapie begonnen werden kann. Wichtige Nebenwirkungen einer Tuberkulosetherapie sind unter anderem eine beeinträchtigte Leberfunktion und Blutbildveränderungen, weswegen die entsprechenden Werte während der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden müssen [3]. In Tabelle 1 sind die wichtigsten Arzneimittel zur Standardbehandlung von erwachsenen Patienten mit nicht-resistenter Tuberkulose, ihr Wirkmechanismus und ihre Einnahme­dauer und Dosierung sowie die Präparatenamen auf­geführt [11]. Für die Standardtherapie von Kindern und Jugendlichen werden dieselben Substanzen mit abweichenden Dosierungen und Einnahmeschemata empfohlen [12].

Tab. 1: Standardtherapie der nicht-resistenten Tuberkulose bei erwachsenen Patienten. In der Initialphase wird eine Vierfachtherapie mit INH, RMP, PZA und EMB über zwei Monate empfohlen, gefolgt von einer Zweifachtherapie in der Kontinuitätsphase mit INH und RMP über weitere vier Monate, nach [11].
Substanzen
Wirkprinzip
Einnahmedauer
Dosierung
Präparate (Beispiele)
Isoniazid (INH)
Hemmung der Mycolsäuresynthese und dadurch ­Störung der Membran­permeabilität
sechs Monate (zwei Monate in der Initialphase plus vier Monate in der Kontinuitätsphase)
  • 4 bis 6 mg/kg Körper­gewicht täglich
  • min./max. Dosis: 200 / 300 mg/Tag
Isozid®
Rifampicin (RMP)
Hemmung der bakteriellen RNA-Polymerase und damit spezifische Blockade der bakteriellen Transkription
sechs Monate (zwei Monate in der Initialphase plus vier Monate in der Kontinuitätsphase)
  • 8 bis 12 mg/kg Körper­gewicht täglich
  • min./max. Dosis: 450/600 mg/Tag
Eremfat®
Pyrazinamid (PZA)
Wirkmechanismus noch nicht genau bekannt
zwei Monate in der Initialphase
  • 20 bis 30 mg/kg Körper­gewicht täglich
  • min./max. Dosis: 1500 / 2500 mg/Tag
Pyrazinamid Jenapharm®
Ethambutol (EMB)
Hemmung der Biosynthese von Arabogalactanen und -mannanen; dadurch Behinderung des Zellwandaufbaus
zwei Monate in der Initialphase
  • 15 bis 20 mg/kg Körper­gewicht täglich
  • min./max. Dosis: 800/1600 mg/Tag
EMB Fatol®

Eine große Herausforderung bei der Behandlung der Tuberkulose ist die zunehmende Resistenzentwicklung gegenüber den Standardtherapien. Resistenzen entstehen vor allem dann, wenn Patienten die Arzneimittel nicht zuverlässig einnehmen oder die Therapie vorzeitig abbrechen, z. B. weil sie sich besser fühlen. Vor allem multiresistente Bakterienstämme, bei denen mehrere Standard-Antibiotika nicht mehr wirken, sind schwer zu behandeln und oft auch länger infektiös. Bei Resistenzen oder bei Unverträglichkeiten gegenüber Standardpräparaten kommen Reservemedikamente in unterschiedlichen Kombinationen zum Einsatz. Hierzu gehören unter anderem [3]: 

  • die Aminoglykoside Streptomycin, Amikacin und 
    Kanamycin
  • das Polypeptid-Antibiotikum Capreomycin
  • die Fluorchinolone Levofloxacin und Moxifloxacin
  • die Thionamide Protionamid und Ethionamid
  • Para-Aminosalicylsäure
  • die Oxazolidinone Cycloserin und Linezolid
  • das Ansamycin Rifabutin

Wenn solche Reserveantibiotika eingesetzt werden müssen, verlängert sich die Therapiedauer zum Teil auf bis zu zwei Jahre. Außerdem werden diese Substanzen oft schlechter vertragen und sind in aller Regel sehr viel teurer [3]. Die Behandlung sollte in diesen Fällen auch nur in einem spezialisierten Zen­trum erfolgen [13]. Weitere Wirkstoffe vor allem gegen multiresistente bzw. extrem resistente Formen der Tuberkulose wurden kürzlich zugelassen oder befinden sich derzeit in der Entwicklung (Abb. 4). So hat die US-amerikanische Behörde FDA im August 2019 das Nitroimidazol Pretonamid in Kombination mit Bedaquillin und Linezolid zur Behandlung erwachsener Patienten zugelassen, wenn diese an extrem resistenter Tuberkulose (XDR-TB) erkrankt sind oder eine multiresistente Lungentuberkulose aufweisen und andere Tuberkulosetherapien nicht vertragen oder nicht darauf ansprechen. Dieses Therapieregime hat in Studien Heilungsraten von etwa 89% bei extrem resistenter Tuberkulose erzielt, während der bisherige Outcome hier bei rund 34% lag. Auch bei der EMA liegt bereits ein Antrag für die europäische Zulassung vor. Ein weiterer Ansatz für eine neue Therapie ist z. B. die Modifikation des natürlichen Wirkstoffs Pyrodimicin, um dessen Stabilität zu verbessern und die Herstellung zu erleichtern [14].

Abb. 4: Wirkprinzipien von Antituberkulosemitteln DprE1: Decaprenyl-Phosphoribose-2´-Epimerase [Quelle: vfa - Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland, Stand August 2019]

Was können Patienten und ihre Angehörigen tun?

Tuberkulosepatienten und deren Angehörigen bzw. Kontaktpersonen können folgende Maßnahmen empfohlen werden [3, 15]:

  • Frühzeitig zum Arzt gehen. Bei Husten, der länger als drei Wochen anhält, sollte der Arzt aufgesucht werden. Wenn ein blutiger Auswurf hinzukommt, ist eine sofortige Abklärung erforderlich. Je rascher eine Tuberkulose erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden.
  • Krankheitszeichen beachten. Kontaktpersonen von Patienten sollten bei sich und auch bei anderen Kontaktpersonen auf Symptome einer mög­lichen Tuberkuloseinfektion wie Husten, Fieber oder Nachtschweiß achten und gegebenenfalls den Arzt aufsuchen bzw. zum Arztbesuch raten.
  • Hygiene einhalten. Alle Hygieneregeln der behandelnden Einrichtung müssen strikt eingehalten werden. Zu den wichtigsten Hygienemaßnahmen zählen eine ausreichende Raumlüftung, das Patientenverhalten (Hustenhygiene, Mund-Nasen-Schutz) sowie persönliche Schutzmaßnahmen des betreuenden medizinischen Personals.
  • Therapie befolgen. An Tuberkulose erkrankte Patienten müssen unbedingt alle Medikamente zuverlässig und so lange wie vom Arzt verordnet einnehmen, auch wenn sie sich schon wieder besser fühlen. Ansonsten besteht das Risiko eines Rückfalls und/oder der Resistenzbildung.
  • Alkohol und Nicotin vermeiden. Da Alkohol und Nicotin die Erkrankung fördern, sollten Rauchen bzw. Alkoholgenuss auf ein Minimum reduziert oder wenn möglich eingestellt werden.
  • Verhütung anpassen. Tuberkulostatika ändern die Wirksamkeit der oralen Kontrazeptiva. Daher sollten damit behandelte Patientinnen andere Verhütungsmethoden wählen.

Und wie sieht es mit einer Impfung aus?

Es besteht zwar die Möglichkeit einer aktiven Impfung mit dem abgeschwächten Lebendimpfstoff M.-bovis-BCG [3]. Diese bietet jedoch keinen verlässlichen Schutz, sondern hilft nur, schwere Tuberkulose­verläufe im Kindesalter zu verhindern. Daher wird die Impfung mit diesem Impfstoff überwiegend in Ländern mit hohem Tuberkulosevorkommen durchgeführt. In Deutschland wird die BCG-Impfung aufgrund der niedrigeren Infektionszahlen und des damit verbundenen ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses seit 1998 von der Ständigen Impf­kommission (STIKO) am Robert Koch-Institut grundsätzlich nicht mehr empfohlen [2, 3].

Derzeit sind allerdings neue, vielversprechende Impfstoffe in der Erprobung. So wurde in einer doppelblinden Phase-IIb-Studie das Vakzin M72/AS01E getestet, ein Totimpfstoff, der ein rekombinantes Fusionsprotein aus den zwei bakteriellen Antigenen Mtb32A und Mtb39A sowie das Adjuvans AS01 enthält [16]. In die Studie wurden über 3500 zwischen 18 und 50 Jahre alte, HIV-negative Probanden in Kenia, Südafrika und Sambia eingeschlossen, bei denen eine latente Tbc-Infektion nachweisbar war [16]. Diese erhielten nach Randomisierung im Verhältnis 1 : 1 im Abstand von 30 Tagen entweder zwei Dosen des Impfstoffs oder stattdessen Placebo injiziert. Im Verlauf der über zwei Jahre andauernden Follow-up-Phase entwickelten zehn Probanden aus der Impfstoff- und 22 aus der Placebo-Gruppe eine aktive Lungentuberkulose. Dies entsprach einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 54% (p = 0,04) [16]. Allerdings traten bei den geimpften Personen deutlich häufiger Nebenwirkungen wie Reaktionen an der Einstichstelle und grippeähnliche Symptome auf als in der Placebo-Gruppe (67,4% vs. 45,4%). Schwere unerwünschte Ereignisse wie Autoimmunerkrankungen oder Todesfälle waren in beiden Gruppen ähnlich selten (Vakzin: 1,6% vs. Placebo: 1,8%) [16].

Ein weiterer Impfstoff-Kandidat ist der von Max-Planck-Gesellschaft, Vakzine Projekt Management GmbH und Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung entwickelte Lebendimpfstoff VPM1002, bei dem der ursprüngliche BCG-Impfstoff gentechnisch so modifiziert wurde, dass er für das Immunsystem besser zugänglich ist und eher die gewünschte Antikörperbildung auslösen kann, die vor einer Tuberku­lose-Infektion schützt [14]. Der Lebendimpfstoff VPM1002 wird derzeit in einer Wirksamkeitsstudie an rund 2000 Probanden in Indien getestet [17].

Auf einen Blick

  • Tuberkulose gehört weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten und ist vor allem in Afrika, Südostasien und der westlichen Pazifik­region verbreitet. In Deutschland sind überproportional häufig Migranten aus Ländern betroffen, in denen Tuberkulose weit verbreitet ist.
  • Verursacht wird Tuberkulose durch verschiedene Arten von Mykobakterien, die meist auf dem Luftweg von Mensch zu Mensch übertragen werden und in der Regel die Lunge befallen.
  • Typische Symptome sind andauernder Husten, eventuell mit blutigem Auswurf und Schmerzen.
  • Die Diagnose wird mittels Tuberkulin-Hauttest, Interferon-Gamma-Test, Röntgenuntersuchung, direktem Erregernachweis und molekularbiologischen Methoden gestellt.
  • Für die Standardtherapie werden die Antibiotika Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol in Kombination eingesetzt.
  • Prophylaktische Maßnahmen sind die strikte Einhaltung der Hygienevorschriften und ein frühzeitiger Arztbesuch bei Anzeichen der ­Erkrankung.
  • Eine Impfung wird in Deutschland derzeit nicht empfohlen, neue Impfstoffe befinden sich aber in der Erprobung.
  • Gesetzliche Grundlagen sind in Deutschland z. B. das Infektionsschutzgesetz, das unter anderem die Meldepflicht der Tuberkulose regelt, sowie das Asylgesetz, das ein Screening von Asyl­suchenden auf Tuberkulose ermöglicht.

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln in Deutschland den Umgang mit Tuberkulose?

Jede behandlungsbedürftige Tuberkulose und auch der Tod an der Krankheit müssen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Dabei hat die Meldung unverzüglich bis spätestens 24 Stunden nach Kenntnis zu erfolgen [2]. Auch Personen, die an einer behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose leiden, aber die Therapie verweigern oder abbrechen, müssen gemeldet werden [2, 3]. Um die Weiterverbreitung der Tuberkulose zu verhindern, führt das Gesundheitsamt dann eine Suche nach der Infektionsquelle sowie eine Umgebungsuntersuchung durch, bei der Personen, die Kontakt zum Patienten hatten, ermittelt und im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung untersucht werden. Besteht bei einem Erwachsenen der Verdacht auf eine latente Tuberkuloseinfektion, dann kann der infizierten Person eine präventive Chemotherapie angeboten werden, um die im Körper vorhandenen Erreger abzutöten und den Ausbruch einer aktiven Tuber­kulose zu verhindern. Bei Kindern unter fünf Jahren sollte unmittelbar nach dem Kontakt zu einer erkrankten Person immer eine medikamentöse Prophylaxe erfolgen [2, 3].

Neben Kontaktpersonen von infektiösen Tuberkulosepatienten gehören auch Migranten aus Ländern mit hoher Tuberkulose-Prävalenz zu den Risikogruppen [2, 3]. Daher müssen gemäß Asylgesetz (AsylG) Asylsuchende die Durchführung einer Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane dulden. Durch diese Untersuchungen sollen schwere Infektionskrankheiten wie z. B. Tuberkulose rechtzeitig erkannt werden, um Übertragungen in Gemeinschaftsunterkünften vorzubeugen und gegebenenfalls entsprechende Behandlungen einleiten zu können [18]. |

Literatur

 [1] Schule bei Heidelberg – Mehr als hundert Personen mit Tuberkulose infiziert – die Fakten. Spiegel online vom 2. August 2019, www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/tuberkulose-in-deutschland-die-wichtigsten-fragen-und-antworten-a-1280184.html, Abruf 14. August 2019

 [2] Tuberkulose. Ratgeber des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Tuberkulose.html, Abruf am 15. August 2019

 [3] Tuberkulose. Informationen der Lungenärzte im Netz, www.lungen­aerzte-im-netz.de/krankheiten/tuberkulose/, Abruf am 15. August 2019

 [4] Robert Koch: Der Mitbegründer der Mikrobiologie. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/Institut/Geschichte/robert_koch_node.html, Abruf am 15. August 2019

 [5] Global tuberculosis report 2018. Weltgesundheitsorganisation (WHO), www.who.int/tb/publications/global_report/en/

 [6] Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2018. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2018.pdf

 [7] Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2017. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/InfAZ/T/Tuberkulose/Archiv_Berichte_TB_in_Dtl_tab.html, Abruf am 15. August 2019

 [8] McGill University. The Online TST/IGRA Interpreter. www.tstin3d.com/en/calc.html, Abruf am 15. August 2019

 [9] Tuberkulin-Hauttest. DocCheck-Flexikon, flexikon.doccheck.com/de/Tuberkulin-Hauttest, Abruf am 20. August 2019

[10] Tuberkulose. nformationen des Lungeninformationsdiensts, www.lungeninformationsdienst.de/krankheiten/tuberkulose/index.html, Abruf am 19. August 2019

[11] Schaberg T, Bauer T, Brinkmann F, Diel R, Feiterna-Sperling C, Haas W, Hartmann P, Hauer B, Heyckendorf J, Lange C, Nienhaus A, Otto-Knapp R et al. Tuberkulose im Erwachsenenalter. S2k-Leitlinie des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V., AWMF-Registernummer 020-019, Pneumologie 2017;1:325-397

[12] Feiterna-Sperling C, Brinkmann F, Adamczick C, Ahrens F, Barker M, Berger C, Berthold LD, Bogyi M, Both U von, Frischer T, Haas W, Hartmann P et al. Diagnostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter. 2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) e. V., AWMF-Registernummer 048–016, Pneumologie 2017;71:629-680

[13] Tuberkulose. Informationen des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), www.patienten-information.de/kurzinformationen/lunge/tuberkulose, Abruf am 19. August 2019

[14] Wo steht die Tuberkulose-Forschung? Informationen des Lungeninformationsdiensts, www.lungeninformationsdienst.de/krankheiten/tuberkulose/forschungsansaetze/index.html, Abruf am 21. August 2019

[15] Tuberkulose. Informationen des DAN Netzwerk Deutscher Apotheker GmbH, www.apotheken.de/krankheiten/4273-tuberkulose, Abruf am 19. August 2019

[16] Van Der Meeren O, Hatherill M, Nduba V, Wilkinson RJ, Muyoyeta M, Van Brakel E, Ayles HM, Henostroza G, Thienemann F, Scriba TJ, ­Diacon A, Blatner GL et al. Phase 2b placebo-controlled trial of M72/AS01E candidate vaccine to prevent active tuberculosis in adults. N Engl J Med 2018: Epub ahead of print

[17] Impfstoff-Kandidat gegen Tuberkulose in Phase-II/III-Studie. Informationen der Max-Planck-Gesellschaft, www.mpg.de/11982088/tuberkulose-impfstoff-wirksamkeitsstudie, Abruf am 21. August 2019

[18] Vorscreening und Erstaufnahmeuntersuchung für Asylsuchende, Erläuterungen und Muster-Dokumentationsbogen für Ärzte. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/Inhalt/Erstaufnahmeuntersuchung_Tab.html, Abruf am 21. August 2019

[19] Mycobacterium tuberculosis. DocCheck-Flexikon, flexikon.doccheck.com/de/Mycobacterium_tuberculosis, Abruf am 16. August 2019

Autor

Diplom-Biologe Stefan Oetzel hat an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sowie an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen studiert. Im Anschluss absolvierte er eine Weiterbildung zum Fachzeitschriftenredakteur beim Ernst Klett Verlag in Stuttgart. Seit 1998 arbeitet er als freiberuflicher Medizinjournalist.

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