Arzneimittel und Therapie

Phthalate in Arzneimitteln – ein Risiko für Brustkrebs?

Hinweise auf möglichen Zusammenhang mit Dibutylphthalat

Phthalate sind nicht nur als Weichmacher in Kunststoffen zu finden, auch in Arzneimitteln können sie nützliche Eigenschaften vermitteln. Doch Sorgen machen muss man sich deswegen wohl nicht.

Phthalate zeichnen sich durch eine geringe akute Toxizität aus – sie können jedoch in hohen Dosierungen im Tierexperiment die Testosteron-Synthese in den Hoden hemmen und die Entwicklung der männlichen Reproduktionsorgane stören. Unklar ist, ob dies für den Menschen relevant ist und ob diese Stoffe auch hormonabhängige Krebserkrankungen auslösen können. Ein Zusammenhang zwischen hoher Phthalat-Exposition und Brustkrebs wurde in einigen älteren epidemiologischen Studien postuliert, in neueren umfangreichen Untersuchungen konnte dagegen kein Zusammenhang zwischen der Krebserkrankung und einer Phthalat-Exposition über die Nahrung erkannt werden (s. Kasten).

Hilfsstoff in Arzneimitteln

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Ester der Phthalsäure, einer Dicarbonsäure. Diese Vielfalt an möglichen Verbindungen gestattet sehr unterschiedliche Anwendungsbereiche. Sie sind nicht nur als Weichmacher in Kunststoffen weit verbreitet, sondern finden auch Anwendung in Kosmetika und als Hilfsstoffe in Medizinprodukten und Arzneimitteln. Bei der Herstellung von Kapseln können mithilfe von Phthalaten retardierende Eigenschaften erzielt werden. Wenn Phthalate über Arzneimittel aufgenommen werden, nimmt der Patient eine deutlich höhere Menge zu sich als über die Nahrung. Wenn man die Vermutung hat, dass Phthalate Brustkrebs verursachen könnten, sind also entsprechend exponierte Patientinnen eine geeignete Studienpopulation.

Assoziation mit Dibutylphthalat

Der Frage nach einer solchen Assoziation gingen Wissenschaftler in Dänemark nach. Sie wollten überprüfen, ob bei Studienteilnehmerinnen, die Phthalat-haltige Arzneimittel einnehmen, ein höheres Brustkrebsrisiko besteht und werteten zwischen 2005 und 2015 die Daten von mehr als einer Million Frauen aus. Während der Zeit erkrankten gut 27.000 Patientinnen an Brustkrebs. Etwa 160.000 Frauen (14%) hatten Arzneimittel eingenommen, die ein Phthalat als Hilfsstoff enthielten. Dieser Anteil wurde aus den eingelösten Rezepten der Frauen berechnet. Insgesamt wurden 204 verschiedene Phthalat-haltige Arzneimittel verschrieben, die 26 verschiedene Arzneistoffe beinhalteten, darunter Wirkstoffe wie Bisocodyl, Budesonid, Diclofenac, Mesalazin und andere. Da der Anteil der Hilfsstoffe an der Zubereitung bekannt war, konnten die Gesamt­mengen an Phthalat berechnet werden, die verschrieben und (wahrscheinlich) auch eingenommen wurden. Der Gehalt zeigte eine hohe Variabilität: Eine Kapsel enthielt zwischen 3 µg und 150 mg Phthalat. Eine Messung der Exposition erfolgte nicht. Patien­tinnen, die Phthalat-haltige Arzneimittel eingenommen hatten, waren älter, hatten häufiger Begleiterkrankungen und wurden häufiger mit Herzglykosiden, Statinen, Acetylsalicylsäure oder Hormonen behandelt als die zum Vergleich herangezogenen Frauen ohne solche Exposition. Diese Unterschiede wurden bei der Berechnung des Hazard Ratio (HR) berücksichtigt.

Unter den Phthalat-exponierten Patientinnen hatten etwa 2000 Arzneimittel genommen, die Diethylphthalat (DEP) enthielten, etwa halb so viele Arzneimittel mit Hypromellosephthalat, fast 400 mit Celluloseacetatphthalat und deutlich weniger mit Dibutyl­phthalat (DBP) oder Polyvinylacetatphthalat. Im Vergleich zu den nicht­exponierten Teilnehmerinnen war kein erhöhtes Krebsrisiko erkennbar. Zum Beispiel betrug der HR-Wert 0,98 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,89 bis 1,1) bei den 498 Frauen mit der höchsten Gesamtexposition DEP von bis zu 100 mg. In fast allen anderen Gruppen mit einer Exposition gegenüber anderen Phthalaten wurden ebenfalls Werte von 1,0 oder niedriger berechnet, eine erhöhte Gefährdung war also nicht erkennbar. Nur in einer Gruppe, jenen Frauen, für die eine Gesamt­aufnahme von mehr als 9999 mg DBP berechnet wurde, ergab sich ein HR von 2,0 (95%-KI 1,1 bis 3,6). Ein ähnlicher Wert konnte für Frauen mit einem Estrogenrezeptor-­positiven Typ der Krebserkrankung ermittelt werden, bei Estrogenrezeptor-negativem Befund lag der HR-Wert dagegen bei 0,99 (95%-KI 0,14 bis 7,0).

Mehr zum Thema

Inwieweit Ester der Phthalsäure – „Phthalate“ – hormonabhängige pathologische Prozesse beeinflussen könnten, wird seit Jahren diskutiert. In zahlreichen epidemiologischen Studien wurde untersucht, ob zwischen hoher Phthalat-Exposition und Brustkrebs ein Zusammenhang besteht. Wie die aktuelle Studienlage zu bewerten ist, können Sie im Beitrag „Entwarnung für Phthalate: Keine Assoziation mit Brustkrebs“ in DAZ 2019, Nr. 16, S. 52 nachlesen.

Foto: photka – stock.adobe.com

Toxikologisch plausibel?

Auf den ersten Blick scheint also eine toxikologisch plausible Situation zu bestehen, da nur jene Frauen die Risikoerhöhung zeigten, die besonders viel von dem Phthalat aufgenommen hatten. Allerdings lag in den drei Gruppen mit niedrigeren DBP-Expositionen der HR-Wert unter 1,0, was auf eine Risiko­reduktion hinweist. Eine Dosisabhängigkeit war also nicht erkennbar. Besonders auffällig ist, dass es sich hierbei um besonders kleine Gruppen handelte. Obwohl in der Studie initial 1,1 Millionen dänische Frauen erfasst wurden, bestand die hoch DBP-exponierte Gruppe nur aus 13 Patien­tinnen. Bei derartig kleinen Gruppen besteht immer die Gefahr einer zufallsbedingten Verzerrung der Ergebnisse. Es ist auch nicht überraschend, dass die Assoziation sich nicht änderte, wenn man nur auf die Erkran­kungen bei Estrogenrezeptor-positiven Patientinnen fokussierte. Schließlich wiesen 84% der gesamten Kohorte diesen Hormon­rezeptorstatus auf.

Nicht mehr auf dem Markt

Die Autoren weisen darauf hin, „dass man nicht ausschließen könne, dass es sich um einen Zufallsbefund handele“. Ein wichtiges Ziel sei es, die Assoziation zwischen hoher DBP-Exposition und Brustkrebs in einer unabhängigen Studie zu bestätigen. Dies dürfte in Zukunft kaum möglich sein, denn Phthalat-haltige Arzneimittel sind nicht nur in Deutschland vom Markt genommen worden. Vor mehr als zehn Jahren hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin­produkte (BfArM) bereits die betroffenen pharmazeutischen Unternehmer aufgefordert, aus „Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes“ dafür zu sorgen, dass der Richtwert von 10 µg DBP pro Kilogramm Körper­gewicht und Tag nicht überschritten wird. Ende 2010 wurde von der Behörde mitgeteilt, dass bis auf wenige Ausnahmen der Hilfsstoff bereits ausgetauscht sei. Im Mai 2014 konnte schließlich festgestellt werden, dass in Deutschland keine Phthalat-haltigen Arzneimittel mehr vermarktet werden. |

Literatur

Ahern TP et al. Phthalate Exposure and Breast Cancer Incidence: A Danish Nationwide Cohort Study. J Clin Oncol 2019:JCO1802202; doi: 10.1200/JCO.18.02202

Autor

Prof. Dr. Ralf Stahlmann, ehem. Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

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