Arzneimittel und Therapie

Autismus und ADHS durch fetale Benzodiazepin-Exposition?

Genetische Faktoren der Mutter scheinen neurologische Entwicklungsstörungen zu begünstigen

Forscher einer großen Kohortenstudie in Taiwan widmeten sich der Frage, ob ein Zusammenhang zwischen pränataler Benzodiazepin-­Exposition und der Entwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen und Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) besteht. Die Untersuchung schloss Geschwisterkinder ein, um den Einfluss mütterlicher Gene als Störfaktor auszuschließen. Den Studien­ergebnissen zufolge scheinen Benzodiazepine in der Schwangerschaft das Risiko für das Auftreten einer Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS nicht zu erhöhen.

Benzodiazepine werden bei Schwangeren mit einer geschätzten weltweiten Prävalenz von 1,9% verschrieben. Es ist bekannt, dass die bizyklischen Moleküle plazentagängig sind und in Fruchtwasser sowie Muttermilch übergehen können. Inwieweit sich die Einnahme von Benzodiazepinen während der Schwangerschaft auf die neurologische Entwicklung des Kindes auswirkt, ist aufgrund fehlender Studien weitgehend unbekannt. Wissenschaftler gingen in einer aktuellen Studie der Fragestellung nach, ob Zusammenhänge zwischen einer Benzo­diazepin-Exposition im Mutterleib und dem Auftreten von Autismus-Spek­trum-Störungen und ADHS beim Kind bestehen. Ebenso wurde untersucht, ob genetische Faktoren der Mutter eine Rolle spielen. Dazu wurden Informationen aus der Datenbank der nationalen Krankenversicherung Taiwans verwendet, in der jeder Einwohner erfasst wird. Es wurden über 1,5 Millionen lebende Geburten (Schwangerschaftsdauer mindestens 37 Wochen) von mehr als 1,1 Millionen Müttern im Zeitraum von 2004 bis 2017 eingeschlossen. Die Daten aller Kinder wurden bis zum Auftreten einer Autismus-Spektrum-Störung, ADHS, dem Tod, einer Auswanderung oder dem Ende der Studie dokumentiert. Im Mittel wurden die Kinder 8,5 Jahre nachbeobachtet.

76.411 Kinder (5,0%) waren pränatal Benzodiazepinen ausgesetzt, wobei die Mutter mindestens ein Benzodi­azepin während der Schwangerschaft eingenommen hatte. Im ersten Trimenon waren 4,6%, im zweiten 2,2% und im dritten 0,6% der Kinder Benzo­diazepin-exponiert. Die exponierte Gruppe wurde mit der nicht-exponierten Gruppe hinsichtlich des Auftretens einer Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS verglichen. Von großer Bedeutung waren zusätzlich durchgeführte Vergleiche mit nicht-exponierten Geschwistern.

Foto: luengo_ua/AdobeStock

Die Exposition mit einem Benzodiaz­epin während der Schwangerschaft ging mit einem höheren Risiko für das Auftreten von ADHS oder einer Autismus-Spektrum-Störung gegenüber der nicht-exponierten Gruppe einher (Exposition im 1. Trimester: Hazard Ratio [HR] = 1,24 bzw. 1,13; 2. Trimester: HR = 1,27 bzw. 1,10; 3. Trimester: HR = 1,25 bzw. 1,21). Wurden die Daten jedoch mit denen nicht-exponierter Geschwisterkontrollen verglichen, ergaben sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Risiken für die neurologischen Entwicklungs­störungen.

Durch den Vergleich mit Geschwistern wurde eine Verzerrung der Ergebnisse durch genetische Faktoren der Mutter und Umgebungsfaktoren minimiert. Eine pränatale Benzodiazepin-Exposition war zwar im Vergleich zu nicht-exponierten Kontrollen mit einem erhöhten Risiko für ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen assoziiert, aber nicht im Vergleich zu nicht-exponierten Geschwistern. Die Autoren vermuten, dass genetische mütterliche Faktoren neurologische Entwicklungsstörungen des Kindes unter mütter­lichem Benzodiazepin-Gebrauch begünstigen. Daher sei es wichtig, gefährdete Mütter zu identifizieren und frühe Interventionen einzuleiten, um neurologische Entwicklungsstörungen zu reduzieren. |
 

Literatur

Chen VC et al. Association of prenatal exposure to benzodiazepines with development of autism spectrum and attention-deficit/hyperactivity disorders. JAMA Netw Open 2022;5(11):e2243282, doi :10.1001/jamanetworkopen.2022.43282
 

Apothekerin Sophie Schrade

 

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