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Management

Die unterschätzte Zielgruppe

Was Sie über die Generation 60 plus wissen sollten

Es ist nur wenige Jahre her, dass die Reichweitenforschung der Medien bei der werberelevanten Altersgruppe „bis 49 Jahre“ endete. Inzwischen haben nicht nur die Medien, sondern die Wirtschaft insgesamt Menschen jenseits der 60 als höchst relevante (und kaufkräftige) Zielgruppen erkannt. Immerhin machen sie aktuell über ein Viertel der deutschen Bevölkerung aus – mit wachsender Tendenz. Grund genug, mehr über deren Bedürfnisse und Ansprüche zu wissen.

Eine eindeutige Festlegung, ab wann ein Mensch als „alt“ gilt, gibt es nicht. Die WHO zählt zu den „Alternden“ – und jetzt bitte stark sein – bereits Menschen ab 50 Jahren. Neben dem kalendarischen Alter (die Zahl der Lebensjahre) müssen jedoch auch das ­biologische Alter (die körperliche Verfassung) und das psychologische Alter (die subjektive Befindlichkeit) berücksichtigt werden – und diese „Alter“ stimmen in den seltensten Fällen überein.

Gut zu wissen

Die Mehrheit der Menschen jenseits der 60 fühlt sich generell 10 bis 15 Jahre jünger, als es ihrem kalendarischen Alter entspricht. Gleichzeitig schätzen sie Gleichaltrige häufig viel älter ein.

Das Denken über ältere Menschen ist insbesondere bei den Jungen häufig geprägt von Klischees, die sogar konkrete Erfahrungen mit eigenen Familienmitgliedern oder Bekannten überlagern. Beispielsweise, dass ältere Menschen die Hauptgruppe der Heizdeckenkäufer stellen oder sich auf Senioren-Nachmittagen mit Heimatmelodien zum Mitklatschen unterhalten lassen. Richtig ist dagegen, dass die Älteren, genau wie auch junge Menschen, über Reisen, das neueste Computermodell oder Trend­sportarten Bescheid wissen wollen. Auch die Freizeitgestaltung der Generation 60 plus sieht alles andere als langweilig aus: Wer in seiner Jugend den gewissen Kick gesucht hat, wird das auch im Alter tun. Denn längst gehört diese Gruppe nicht mehr nur zum alten Eisen.

Die sogenannten Best Ager sind zudem kaufkräftig: Sie verfügen über Ersparnisse und/oder Erbe, beziehen zum großen Teil eine ­gesicherte Rente und sind gut si­tuiert (was nicht heißen soll, dass Altersarmut nicht auch eine Realität ist). So wohnt fast jeder zweite Seniorenhaushalt in Deutschland in den eigenen vier Wänden. Schon jetzt verfügt die Generation 60 plus laut GfK-Analysen über knapp ein Drittel der Kaufkraft. Gleichzeitig ist sie eine erfahrene, anspruchsvolle und kritische ­Konsumentengruppe: „Aufgrund ihrer Lebenserfahrung geben sich die Best Ager nämlich nicht mit flotten Werbesprüchen und fadenscheinigen Versprechungen zufrieden. Sie wollen Fakten. Nur wenn ein Produkt hält, was seine Werbung verspricht, hat es bei ihnen eine Chance.“ (Mohammadi Akhabach, CEO der Deutschen ­Seniorenwerbung)

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Von wegen langweilig Wer als Jugendlicher schon aktiv war, gehört als Älterer nicht automatisch zum „alten Eisen“. Senioren sind heute oft sportlich, gesundheitsbewusst, wissbegierig, Internet-kundig und einfach gut drauf.

Ein paar wissenswerte Fakten

Aktuell hat Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts etwa 82,2 Millionen Einwohner. Im Jahr 2060 werden es – je nach den Annahmen zur Zuwanderung – nur noch ca. 70 Millionen sein. Zu diesem Rückgang kommt es, weil auch in den nächsten Jahrzehnten mehr Menschen sterben, als Kinder geboren werden. Gleichzeitig wird sich jedoch das zahlenmäßige Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Menschen erheblich verschieben:

  • Schon heute ist mehr als jeder Vierte in Deutschland über 60 Jahre alt (27%). Ein Fünftel (21%) ist 65 Jahre oder älter und immerhin 11 Prozent der Gesamtbevölkerung haben schon den 75. Geburtstag gefeiert.
  • Die Generation 60 plus stellte bereits bei der Bundestagswahl 2013 gut ein Drittel der Wahlberechtigten und damit mehr als doppelt so viele wie die Generation der unter 30-Jährigen.

Gut zu wissen

2030, und das ist in nur 13 Jahren, wird mehr als jede dritte Person jenseits der 60 sein, etwa jede achte sogar 80 Jahre oder älter.

Diese demografische Entwicklung wird von mehreren Faktoren bestimmt: Die „Baby-Boomer“, also die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre, feiern in wenigen Jahren ihren 60. Hinzu kommt die steigende Lebenserwartung aufgrund der immer besseren Lebensbedingungen: Sie hat sich seit dem 19. Jahrhundert fast verdoppelt und liegt heute für Jungen bei 78 Jahren und für Mädchen bei 83 Jahren. Auch für ältere Menschen hat die Lebenserwartung weiter zugenommen. Nach der Sterbetafel 2013/2015 beläuft sich die noch verbleibende Lebenserwartung von 65-jährigen Männern statistisch auf knapp 18 Jahre, für gleichaltrige Frauen auf 21 weitere Lebensjahre.

Dieser Wandel der deutschen Bevölkerung macht es zwingend erforderlich, sich rechtzeitig auf diese Kundschaft einzustellen und immer wieder einmal „durch deren Brille zu sehen“, gerade dann, wenn man selbst (noch) nicht dieser Zielgruppe angehört.

Die Lebensphase zwischen 60 und 70 Jahren

Nur der kleinere Teil der zwischen 1946 und 1956 Geborenen ist noch durch die Nachkriegszeit geprägt. Die Mehrheit wird von den Kindern des Wirtschaftswunders und der 68er-Generation gestellt. Diese Altersgruppe ist lebenserfahren und selbstbewusst, unternehmungslustig und konsumorientiert.

Die Kinder sind aus dem Haus und die Karriereziele längst realisiert. In dieser Dekade erreichen Berufstätige das Renteneintrittsalter. Doch nicht jeder geht in den Ruhestand. Die Erwerbstätigenquote der 65- bis 69-Jährigen ist in den vergangenen elf Jahren auf 14,5 Prozent gestiegen und hat sich damit mehr als verdoppelt. Vor allem Selbstständige arbeiten auch im Rentenalter weiter. Doch auch viele Rentner und Pensionäre möchten sich weiterhin nützlich machen. So engagieren sich die über 60-Jährigen häufig ehrenamtlich und jeder Dritte ist Mitglied in einem Verein.

Mit den digitalen Medien ist diese Altersgruppe laut Consumer Study 2016 (GfK Verein) übrigens bestens vertraut:

  • 88 Prozent der 60- bis 69-Jährigen besitzen ein Handy, 37 Prozent ein Smartphone.
  • 68 Prozent nutzen das Internet täglich – für die Suche nach Informationen über Waren und Dienstleistungen, die Buchung von Reisen oder das Lesen von Onlinenachrichten und -zeitungen.
  • Rund 90 Prozent der Internetnutzer tauschen E-Mails aus.

Die Bedürfnisse und Ansprüche dieser Kunden

Zeit für Reisen, Genuss und soziale Kontakte stehen als persönliche Werte zunehmend im Mittelpunkt. Auch wenn die über 60-Jährigen erste altersbedingte Veränderungen erleben, ist ihre gesundheit­liche Verfassung häufig gut und wird bewusst erhalten. Noch fühlen sie sich fit genug, um von Passau nach Wien zu radeln oder neue Länder zu entdecken. Das, was man durch die Zwänge des Arbeitslebens versäumt hat, lässt sich nicht nur nachholen, sondern sogar ausbauen – Gesundheit vorausgesetzt. „Wer will schon als reichste(r) Mann/Frau auf dem Friedhof enden?“ ist die stillschweigend kommunizierte Devise für ein unkompliziertes Genießen und Ausleben der Konsumbedürfnisse.

Spürbar wenden sich nicht nur ­bekennende Alt-68er oftmals vom traditionellen Rollenverständnis als „Ältere“ ab. Sie wollen daher weder in der Werbung noch im Beratungsgespräch als alternder Teil der Gesellschaft behandelt oder als „Senior“ angesprochen werden.

Gut zu wissen

Beratungsgespräche, die den Alterungsprozess thematisieren, werden von dieser Altersgruppe nur sehr ungern ­geführt. Stattdessen sucht sie nach Informationen, die zeigen, wie man jung bleibt.

Als erfahrene Konsumprofis sind die 60- bis 70-Jährigen qualitätsorientiert und wünschen sich, genau wie jüngere Altersgruppen, die neueste Technik oder ein aktuelles Design. Dabei sind sie gerne bereit, mehr zu investieren – wenn die Leistung durch Qualität überzeugt. Sie sind eben auch kritische Kunden und durchaus wechselbereit.

Die Lebensphase zwischen 70 und 80 Jahren

Den zwischen 1936 und 1946 geborenen Menschen ist es wichtig, möglichst lange selbstständig zu wohnen und ein aktives Leben zu führen. Doch nicht jeder hat dafür die besten Voraussetzungen: Die einen treiben Sport, sind aktiv und lebensbejahend, die anderen kämpfen bereits mit körperlichen Einschränkungen oder Krank­heiten. Die Ausprägung ihres „Alters“ wird dabei maßgeblich bestimmt durch die jeweilige Lebenslage (Bildung, Einkommen und frühere Berufstätigkeit), genetische Faktoren und den individuellen Lebensstil.

Im Vergleich zu früheren Jahren sind Menschen in dieser Lebensphase erkennbar agiler. Reiseveranstalter bestätigen, dass mit der zunehmenden Fitness und der erhöhten Mobilität in dieser Altersgruppe der Trend zum Reisen steigt. Auch die Nutzung der digitalen Medien hat laut Consumer Study 2016 bei den über 70-Jährigen innerhalb weniger Jahre deutlich zugenommen:

  • Drei Viertel der über 70-Jährigen besitzen ein Handy, 14 Prozent ein Smartphone.
  • Der Anteil der regelmäßigen Internetnutzer über 70 steigerte sich innerhalb von nur vier Jahren um bemerkenswerte 21 Prozent und betrug 38 Prozent im Jahr 2016.

Aufgeschlossen zeigt sich diese Altersgruppe gegenüber dem für sie bequemen Onlineshopping. Mehr als zwei Drittel der Internetnutzer hatten 2015 schon einmal etwas im Internet bestellt. Neben dem Kauf von Kleidung und Gebrauchsgütern hat die ­Generation 70 plus keine Scheu davor, Medikamente im Internet zu kaufen.

Gut zu wissen

2015 orderten 38 Prozent der Onlineeinkäuferinnen und -einkäufer ab 65 Jahren Arzneimittel im Onlinehandel. Damit lag der Anteil so hoch wie in keiner anderen Altersgruppe.

(Quelle: GfK Verein: Consumer Study 2016)

Die Bedürfnisse und Ansprüche dieser Kunden

Informationen rund um die Bewahrung des Wohlbefindens, der Mobilität und der Eigenständigkeit werden wichtig. Generell nimmt das Thema Gesundheit bei der ­Generation 70 plus einen höheren Stellenwert ein. Entsprechend ­steigen die Ausgaben für Gesundheitsprodukte.

Vertrauen ist dabei ein Faktor, der für diese Altersgruppe von großer Bedeutung ist. Das führt nicht nur zu einer hohen Apothekentreue, sondern auch zu einer ausgeprägten Markentreue. So wird zum Beispiel die seit Jahren genutzte und geliebte Körperlotion weiter gekauft, selbst wenn ein neues, ähnliches Produkt günstiger und ökologischer ist. Auch wächst die Compliance bei bekannten Arzneimitteln, aber auch die Ablehnung neuer oder anderer Medikamente.

Was von Anbietern häufig unterschätzt wird: Die über 70-Jährigen sind eine emanzipierte, selbstbewusste Klientel, die neue Spielregeln im Konsumverhalten praktiziert. So belegen Untersuchungen aus dem Einzelhandelsbereich, dass mit zunehmendem Alter das Preis-Leistungs-Verhältnis im Sinne von Nutzen und Praktikabilität für eine Kaufentscheidung an Bedeutung gewinnt.

Gut zu wissen

Für die Mehrheit der Generation 70 plus zählen statt Preis die individuelle Beratung und der gebotene Service (Komfort). Dafür zahlen viele auch gerne mehr.

Wenn ältere Menschen das preiswertere Produkt ohne Hilfe nicht handhaben, nicht selbst installieren, die Anleitung nicht lesen können, was nützt dann das „billige“ Angebot? Warum sollen sie sich mit einer schwer zu öffnenden Verpackung, mit den (zu) kleinen Knöpfen einer Fernbedienung oder eines Haushaltsgerätes quälen? Wie sollen sie eine Tablette einnehmen, die kaum aus dem Blister zu drücken ist? Warum sollen sie im Laden fragen müssen, wie viel ein Produkt kostet – bloß weil die Schrift kaum gelesen werden kann?

Je älter ein Mensch wird, umso mehr Wert legt er auf die individuelle Beratung und den gebotenen Service (auch im Sinne von überzeugender Problemlösung/Hilfestellung) – und entscheidet sich auf dieser Grundlage für oder gegen ein Angebot. Dabei gewinnt das als „angenehm“ erlebte Gespräch gegenüber der kompetenten Sachinformation an Bedeutung. Ein klares Muss ist dabei die diskrete Beratung zu Tabu-Themen

Empfehlungen

Übergreifend gilt: Behandeln Sie Ihre älteren Kunden wie alle ­anderen Kunden auch: Als sou­veräne Menschen, die sehr wohl wissen, was sie wollen. Und akzeptieren Sie sie als erfahrene, kritische Kunden.

Bieten Sie Problemlösungen und Hilfestellungen

Tabletten teilen, Dragees aus dem Blister drücken oder die Tropfflasche mit Kindersicherung öffnen: Ältere Menschen sind bei der Arzneimitteleinnahme mit zahlreichen Widrigkeiten konfrontiert. An den Einnahmezeitpunkt zu denken, ist die eine Sache, das ­Medikament korrekt zu applizieren, ist die andere.

Arthrosegezeichnete Hände, Sehschwäche oder Kraftlosigkeit sind nur einige Beispiele, die im Alter die richtige Anwendung von Arzneimitteln ­behindern. Aufmerk­same Apothekenteams kennen und nennen nützliche Tipps und Hilfsmittel.

Sorgen Sie dafür, dass sich ältere Kunden in Ihrer Apotheke wohlfühlen

Ganz oben auf der Wunschliste der Kunden über 60 stehen:

  • wenige, besser gar keine Treppenstufen,
  • verständliche Orientierungs­hilfen,
  • gut lesbare Beschriftungen auf reflexfreien Materialien (Preisschilder, Flyer etc.),
  • eine Ablagemöglichkeit am HV-Tisch für die Tasche,
  • ein Stuhl zum Ausruhen und
  • im Bedarfsfall ein Kunden-WC.

Fast alle dieser Wünsche werden auch von jüngeren Kunden geteilt. Wenn Sie sich also gezielt um die Wünsche Ihrer älteren Kunden kümmern, werden Sie auch für junge Kunden attraktiver! |

Cornelia Tromm, Kommunikations­beraterin, -trainerin und -coach, www.cornelia-tromm.de

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