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Kooperationen

Rein oder draußen bleiben?

Apotheken-Kooperationen mit Zukunft – welche und wie viele?

Hendrik Schröder | Wir treffen Julia Brandner, Carola Melchior und Ralf Wegemann an einem Samstagabend in einem Konferenzhotel. Die drei Apotheker haben seit dem Mittag an einem Seminar zu „Betriebswirtschaft für Apotheker“ teilgenommen und werden sich auch am morgigen Sonntag noch damit beschäftigen. Alle drei sind sich einig, dass in der heutigen Zeit von einem Apotheker umfangreiche betriebswirtschaftliche Kenntnisse verlangt und dass ihnen viele Themen noch Kopfzerbrechen bereiten werden.

Betriebswirtschaft – nicht nur am Wochenende

Julia Brandner ist 35 Jahre alt und hat vor Kurzem die Apotheke ihres Vaters übernommen. Es ist eine Stadtteilapotheke mit rund 120 m² Verkaufsfläche. Betriebswirtschaftliche Fragen hat Herr Brandner meist allein gelöst, manchmal mit der Unterstützung eines externen Beraters und einer Werbeagentur. Mitglied einer Apotheken-Kooperation zu werden, darauf hat Herr Brandner verzichtet. Julia Brandner ist während ihres Studiums der Pharmazie kaum mit wirtschaftlichen Lehrinhalten in Berührung gekommen. Ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse versucht sie in einer ERFA-Gruppe mit anderen Apothekern zu vertiefen.

Carola Melchior ist 52 Jahre alt, neben einer Stammapotheke führt sie zwei Filial-Apotheken. Alle drei Apotheken liegen in frequenzstarken Lagen, eine davon in einem Einkaufscenter. Seit drei Jahren ist Carola Melchior mit ihren drei Apotheken Mitglied in einer großhandelsnahen Apotheken-Kooperation, deren Schwerpunkt der gemeinsame Einkauf ist. Es werden auch einige Marketing-Maßnahmen angeboten. Nicht erst seit dem heutigen Seminar fragt sich Carola Melchior, ob ihre Kooperation sie ausreichend bei den künftigen Herausforderungen unterstützen kann.

Ralf Wegemann ist 47 Jahre alt, leitet eine Apotheke in einem Ärztehaus mit 25 Mitarbeitern, darunter fünf Apotheker. Ralf Wegemann hat mit rund 20 anderen Apothekern vor einigen Jahren eine Kooperation gegründet, die gemeinsam einkauft und in der Region gemeinsame Werbung durchführt. Vor Kurzem hat er das Angebot erhalten, eine Landapotheke zu übernehmen. Des Weiteren überlegt Ralf Wegemann, ob er in den Versandhandel mit Arzneimitteln einsteigen soll. In beiden Fällen ist er sich unsicher, wie er sich entscheiden soll. Ihm fehlen fundierte Informationen über das Absatz- und Umsatzpotenzial sowie über die erforderlichen Investitionsausgaben und die laufenden Betriebskosten. Darüber hinaus fragt er sich, wie er die Mitarbeiter an zwei Standorten führen kann, die rund 40 km auseinander liegen.

Um welche Entscheidungen geht es?

Das Spektrum betriebswirtschaftlicher Entscheidungen lässt sich erstens anhand der Märkte strukturieren, mit denen eine Apotheke zu tun hat. Auf der Beschaffungsseite sind es die Märkte für Investitionsgüter, die Märkte für Arzneimittel und apothekenübliche Sortimente, die Finanzmärkte, die Personalmärkte und die Immobilienmärkte. Um eine gute Beschaffungsentscheidung zu treffen, bedarf es geeigneter Entscheidungskriterien und fundierter Marktkenntnisse, wie etwa beim Kauf eines Kommissionierautomaten oder einer Apotheke. Komplex sind auch Entscheidungen über die Einstellung von Personal; denn hier kommt es nicht allein auf die Fachkenntnisse, sondern auch auf soziale Kompetenz an.

Ähnlich umfangreiche Fragen stellen sich für die Absatzseite. Zunächst sind die Merkmale und Verhaltensweisen der Kunden zu erfassen, dann sind Entscheidungen über die Zusammensetzung und Platzierung der Sortimente, über die Preise und über die Vermarktung zu treffen, wozu der persönliche Verkauf und der Einsatz von Printmedien und digitalen Medien zählen.

Als dritter Bereich neben der Beschaffungs- und der Absatzseite ist die innerbetriebliche Organisation zu nennen, die sich darum zu kümmern hat, dass die Güter-, Geld- und Informationsströme zielgerichtet fließen. Im Mittelpunkt steht das Personal der Apotheke. Für jede Apotheke ist festzulegen, wer welche Aufgaben übernimmt, und dass ausreichend Personal in der Apotheke ist, um die jeweiligen Aufgaben zu erfüllen.

Wer beantwortet diese Fragen?

Julia Brandner, Carola Melchior und Ralf Wegemann haben grundsätzlich drei Optionen, um ihre Aufgaben zu lösen:

(1) Sie eignen sich das betriebswirtschaftliche Wissen selbst an,

(2) sie suchen sich fallweise externe Anbieter, die sie beraten und unterstützen, oder

(3) sie werden Mitglied in einer Apotheken-Kooperation.

In der Institutionenökonomik spricht man bei diesen drei Optionen von den Koordinationsmechanismen Unternehmung, Markt und Kooperation. Insbesondere bei sich häufig wiederholenden Vorgängen spricht vieles dagegen, Beschaffungs- oder Absatzvorgänge – den persönlichen Verkauf einmal ausgenommen – selbst durchzuführen. Denn Drittunternehmen können Größenvorteile (economies of scale) sowie Verbundvorteile (economies of scope) und damit Kostenvorteile realisieren. Die Größenvorteile ergeben sich erstens durch Mengenrabatte, zweitens durch die Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeiten und drittens durch Lernkurveneffekte. Verbundvorteile resultieren daraus, dass für verschiedene Produkte und Dienstleistungen auf identische Prozesse zurückgegriffen werden kann, wie z. B. der Transport verschiedener Güter in einem Lkw oder die Erstellung von Handzetteln nach dem Web-to-print-Verfahren: in einem standardisierten Design-Layout können bestimmte Felder mit individuellen Bildern und Texten belegt werden.

Was spricht für oder gegen die fallweise Beauftragung verschiedener Anbieter? Je häufiger eine Apotheke die Leistungen verschiedener Anbieter in Anspruch nimmt, desto mehr Transaktionskosten entstehen. Transaktionskosten sind der Aufwand in Geld, Zeit und Mühen, die bei der Suche von Anbietern, beim Vertragsabschluss sowie bei der Überwachung der Einhaltung der Verträge und gegebenenfalls bei der Vertragsanpassung anfallen. Diese Transaktionskosten können deutlich durch eine Apotheken-Kooperation gesenkt werden.

Apotheken-Kooperationen in Deutschland

Von den rund 20.700 Apotheken, darunter knapp 4000 Filialen (Stand: Anfang 2014), sind ca. 78 Prozent Mitglied in einer der 47 Apotheken-Kooperationen. Zudem gehören etwa 2000 Apotheken mehr als einer Kooperation an (Hartmann/Hölzel 2014). Die Kooperationen lassen sich nach ihrer Beziehung zum pharmazeutischen Großhandel in großhandelsgeführte (z.B. Gehe und gesund leben, Sanacorp und meine apotheke, Alliance Healthcare Deutschland und vivesco, künftig: alphega), in großhandelsnahe (z.B. Linda) und in großhandelsunabhängige Organisationen (z.B. Guten Tag Apotheken, Gesund-ist-bunt-Apotheken, easyApotheken) unterscheiden.

Geht man nach dem Leistungsspektrum, so kann man Apotheken-Kooperationen danach unterscheiden, ob sie sich auf (1) die Beschaffung, (2) die Vermarktung (Marketing) oder (3) die Unterstützung betrieblicher Prozesse in der Apotheke und der Vermarktung konzentrieren oder ob sie (4) als Full-Service-Kooperationen auftreten, also sämtliche der vorgenannten Leistungen anbieten. Als drittes Kriterium zur Abgrenzung von Apotheken-Kooperationen ließe sich die räumliche Ausdehnung nennen: national oder regional.

Von den rund 16.150 Apotheken, die einer Kooperation angehören, sind über 80% bei den zehn größten: MVDA, E-Plus, MIDAS, gesund leben, EMK, meine Apotheke, Linda, vivesco, Cura-San und Phytothek. Die übrigen 37 Kooperationen haben überwiegend deutlich weniger Mitglieder.

Was spricht für, was gegen eine Apotheken-Kooperation?

Über die Gründe, sich einer Kooperation anzuschließen oder dies nicht zu tun, ist schon häufig und viel geschrieben worden. Ich will hier nur die wesentlichen Punkte zusammenfassen und dazu einige Anmerkungen machen. Es geht im Wesentlichen um die Höhe der Konditionen bei der gemeinsamen Beschaffung, um die Entlastung bei der Übertragung betrieblicher Funktionen auf eine zentrale Einheit (Systemzentrale), um die standortbezogene Ausgestaltung von Maßnahmen, um die Aufgabe von Einfluss und Kontrolle bei der Übertragung betrieblicher Funktionen auf die Systemzentrale sowie um die Transparenz im Zuge der Übermittlung von Daten. Keinen Kooperationsvertrag abzuschließen könnte also damit begründet werden, dass die Konditionen zu schlecht, die Entlastungsvorteile nicht erkennbar, das Marketing nicht auf den Standort bezogen und die Fremdbestimmung sowie die Offenlegung zu groß seien.

Hierzu die erste Anmerkung: Wer Konditionenvorteile durch die gemeinsame Beschaffung erlangen will, braucht eine Kooperation, in der Verbindlichkeit tatsächlich praktiziert wird. Das bedeutet z.B., dass Apotheker bereit sind, sich auf bestimmte Arzneimittel bzw. Hersteller zu konzentrieren und dafür andere Arzneimittel bzw. Hersteller aus ihrem Sortiment auszulisten.

Eine zweite Anmerkung: Es braucht in der Tat Zeit, um den Nutzen zu quantifizieren, wenn eine Apotheke bestimmte betriebliche Prozesse auf die Systemzentrale verlagert. Die Vorteile können in der Einsparung von Geld, Zeit und Mühen liegen. Ich behaupte, dass die Verneinung solcher Vorteile häufig nicht auf einer Prozessanalyse beruht, sondern eher intuitiv erfolgt. Auch bei diesem Punkt sind die Apotheker gefordert. Sie müssen sich intensiv mit ihren Beschaffungs- und Absatzvorgängen sowie der innerbetrieblichen Organisation auseinandersetzen, um die Prozesskosten und die Kosten für Sachmittel zu quantifizieren. Nur dann lassen sich die Preise der zentral erbrachten Leistungen mit den Kosten der selbst erstellten Leistungen vergleichen.

Die dritte Anmerkung: Wer seine Betriebsabläufe nicht sämtlich allein gestalten will und wer weniger die Leistungen externer Anbieter in Anspruch nehmen und die damit verbundenen Transaktionskosten tragen möchte, wird sich in einer Kooperation auf Geben und Nehmen einlassen müssen. Damit ist die Einschränkung von Einfluss und Selbstständigkeit angesprochen. Soweit die Kontrolle nicht ausreicht, ist Vertrauen in die Arbeit der Systemzentrale erforderlich.

Die letzte Anmerkung: In jeder Kooperation behalten die Mitglieder ihre rechtliche und grundsätzlich auch ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit. Inwieweit ein Apotheker bereit ist, Aufgaben und Entscheidungen verbindlich auf die Systemzentrale zu übertragen, muss jeder selbst entscheiden. Aus dem Kooperationsvertrag geht hervor, welche Pflichten auf die Apotheker beim Eintritt in die Kooperation zukommen. Sie wissen eben auch, dass die Verbindlichkeit nicht nach Lust und Laune und Tagesform herbeigeführt wird und damit zu einem unkalkulierbaren Risiko gemeinsamen Handelns wird. Eines muss hier auch noch einmal klargestellt werden: Wie stark die vertraglichen Bindungen auch immer sein mögen, Kooperationen bleiben Organisationen rechtlich selbstständiger Unternehmer und sind keine Ketten, als die sie häufig und offensichtlich auch gern, aber eben falsch bezeichnet werden. In einem Filialsystem bzw. einer Kette hat die Systemzentrale die umfassende Anweisungsbefugnis, die sich auf sämtliche Entscheidungen der Filialen beziehen kann. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Preissetzung. Und spätestens hier ist erkennbar, wann eine Organisation eine Kooperation und kein Filialsystem ist. Denn in einer Kooperation bleibt die Hoheit der Preissetzung immer und ausschließlich bei den Apothekern.

Einige Annahmen über die Zukunft

Um eine Prognose über die Anzahl und die Struktur von Apotheken-Kooperationen treffen zu können, sind einige Annahmen über die Randbedingungen notwendig. Ich gehe zunächst davon aus, dass der Margendruck bei den Arzneimitteln zunehmen wird. Des Weiteren – und das hängt unmittelbar damit zusammen – wird die Beschaffung von Arzneimitteln in Deutschland stärker international ausgerichtet sein. Diesen Schritt haben andere Kooperationen anderer Branchen, etwa Lebensmittel, Unterhaltungselektronik und Elektrogeräte, Bau- und Heimwerkerartikel sowie Bekleidung, schon längst vollzogen. Sie bündeln ihre Nachfragemengen international. Die fachlichen und rechtlichen Anforderungen in die Betriebsführung werden deutlich zunehmen. Gleichzeitig wird der Bedarf an Informationen über das Umfeld der eigenen Apotheke steigen, um besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Kunden einzugehen. Die Stichworte lauten lokale Marktforschung und mikrogeografisches Marketing. Das Potenzial an solchen Daten ist bereits jetzt vorhanden, es muss „nur“ noch ausgeschöpft werden. Dies führt zu der nächsten Annahme, dass die bislang wenig ausgeschöpften Kostensenkungs- und Umsatzsteigerungspotenziale der Betriebsführung in den Mittelpunkt rücken.

Szenarien für Apotheken-Kooperationen

Die Apotheken-Kooperationen in Deutschland blicken auf eine vergleichsweise junge Vergangenheit zurück. Viele von ihnen sind vor rund zehn Jahren gegründet worden, wie z.B. Linda, gesund leben, meine apotheke, easyApotheke, Guten Tag Apotheken und vivesco. Der Markt der Apotheken-Kooperationen befindet sich nach wie vor in einer Entwicklungsphase, die durch Marktein- und Marktaustritte von Kooperationen sowie durch ein breites Spektrum an Leistungen der Kooperationszentralen gekennzeichnet ist. Die nächste Phase wird durch eine Konsolidierung und Konzentration geprägt sein. Soweit sich die Kooperationen bislang auf die Gewinnung von Einkaufsvorteilen beschränken, werden etliche von ihnen diese Vorteile mit der bisherigen Anzahl an Mitgliedern nicht mehr realisieren können. Betrachtet man die Erfahrungen in anderen Branchen, so werden etwa fünf Kooperationen in der Lage sein, die für solche Einkaufsvorteile kritische Masse an Mitgliedern auf sich zu vereinen.

Die Wettbewerbsvorteile der Kooperationen werden aber nicht allein in der Beschaffung großer Mengen an Arzneimitteln liegen. Vielmehr werden die effektive und effiziente Gestaltung betrieblicher Prozesse in der Apotheke im Vordergrund stehen. Diejenigen Kooperationen, die auf diesen Feldern bereits heute gut aufgestellt sind, d.h. über hohe betriebswirtschaftliche Kompetenzen verfügen, werden künftig stärker als bisher den Zuspruch von Apothekern erfahren.

Neben diesen auf Größe und auf betriebswirtschaftliche Kompetenz ausgerichteten Kooperationen können durchaus auch regionale Kooperationen bestehen. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie schlagkräftige, flexible Organisationen sind, die sich besonders intensiv auf die lokalen und regionalen Gegebenheiten einstellen. Zwei wesentliche Voraussetzungen sind, dass die Chemie unter den Partnern stimmt und dass sie gleichzeitig die betriebswirtschaftlichen Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Der letztgenannte Punkt kann dazu führen, dass zumindest in einer Übergangsphase die Doppelmitgliedschaften in Kooperationen zunehmen, insbesondere bei den Mitgliedern regionaler Kooperationen.

Was nicht zu vergessen ist: Sollten das Fremd- und das Mehrbesitzverbot doch fallen, so wird dies zu einer äußeren und inneren Straffung der Kooperationen führen, aber keineswegs zu deren Verschwinden. Vielmehr können sie ein starkes Gegengewicht gegenüber den dann auftretenden Ketten sein. Auch das haben andere Branchen bewiesen.

Letztlich entscheidet aber nicht allein das Leistungsangebot über die Zukunft der Apotheken-Kooperationen, sondern es sind Julia Brandner, Carola Melchior, Ralf Wegemann und ihre Kolleginnen und Kollegen, die beurteilen, welche Kooperation ihre Bedürfnisse am besten erfüllt. 

Autor

Univ.-Prof. Dr. Hendrik Schröder, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl Marketing und Handel,

hendrik.schroeder@uni-duisburg-essen.de

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