Interpharm 2013

Wenn das Immunsystem die Gelenke "frisst"

(cae). Rheuma kann man nicht heilen, aber stoppen. Dies war die Botschaft des Vortrags von Prof. Dr. Thomas Herdegen, Kiel, über "Rheuma-Kannibalismus". Es ist deshalb wichtig, die Erkrankung möglichst früh zu diagnostizieren und gleich anschließend mit der Therapie zu beginnen.
Prof. Dr. Thomas Herdegen

Rheuma ist eine Autoimmunerkrankung, die sowohl die Gelenke als auch innere Organe befallen kann. Als Autoimmunerkrankung ist sie grundsätzlich von einer anderen chronischen Gelenkerkrankungen zu unterscheiden: der Arthrose, die auf mechanischem Verschleiß beruht, und nach der Degeneration des Gelenkknorpels gewöhnlich in eine Arthritis übergeht.

Wie entsteht Rheuma?

Wenn auch die primäre Ursache der Erkrankung noch unbekannt ist und eine familiäre Häufung nicht vorzuliegen scheint, so ist die Pathogenese auf molekularer Ebene doch weitgehend geklärt. Hier spielt das Citrullin, das durch Desaminierung der Aminosäure Arginin entsteht (s. Formel), eine entscheidende Rolle. Dadurch dass Citrullin anstelle von Arginin in Proteine eingebaut wird, besitzen diese eine andere dreidimensionale Struktur und einen anderen Ladungszustand. Dem Immunsystem erscheinen diese zyklischen citrullinierten Proteine (CCP) als fremd; daher entwickelt es Antikörper, um die CCP zu eliminieren.

Gelenkdestruktionen bei rheumatoider Arthritis.

Fortschreiten der Erkrankung

Die CCP-Antikörper greifen aber auch andere Proteine im Bindegewebe und im Knorpelgewebe an und rufen dort eine "basale Entzündungsreaktion" hervor, wie Herdegen darlegte. Angefacht wird die Entzündung, wenn Verletzungen oder Infektionen hinzukommen. Denn dann wandern T-Lymphozyten in das Gelenk ein und setzen Zytokine wie die Interleukine 1, 2 und 6 und den Tumornekrosefaktor TNF-α frei. Oft greift die Entzündung auf die Innenschicht der Gelenkkapsel über, deren Sekrete das Gelenk schmieren; dadurch potenziert sich das Problem.

Letzten Endes kann das Immunsystem in einem langwierigen entzündlichen Prozess den Knorpel gewissermaßen "auffressen" – deshalb "Rheuma-Kannibalismus".

Die Desaminierung von Arginin zu Citrullin steht am Anfang aller rheumatischen Erkrankungen. Die Folge ist die Synthese zyklischer citrullinierter Proteine (CCP), die dem Immunsystem "fremd" erscheinen.

Diagnose und Therapie

Die im Blut kursierenden CCP-Antikörper können labormedizinisch identifiziert werden, bevor die ersten Symptome des Rheuma auftreten. Wie Herdegen darlegte, sind sie wesentlich bessere Diagnosemarker als der altbekannte Rheumafaktor.

Sofern ein Rheumapatient Raucher ist, sollte er das Rauchen sofort einstellen. Denn die im Zigarettenrauch enthaltenen Cyanide werden zu Thiocyanaten metabolisiert, die wiederum die Umwandlung von Arginin in Citrullin und die folgende Synthese von CCP fördern, sodass das Immunsystem entsprechend mehr CCP-Antikörper bildet und das Rheuma sich verschlimmert.

Als Arzneimittel kommen Immunsuppressiva wie Ciclosporin und Zytostatika wie Methotrexat und Leflunomid, die die Proliferation der Immunzellen hemmen, zum Einsatz. Hochwirksam ist die Kombination von Methotrexat mit Cortison. Sehr spezifisch wirken monoklonale Antikörper gegen TNF-α, IL-6, IL-6-Rezeptoren, IL-1-Rezeptoren, RANKL oder CD20. Durch sinnvolle Kombinationen ist es oftmals möglich, den Krankheitsprozess zu stoppen oder zumindest wesentlich zu verlangsamen.

Für nicht empfehlenswert hält Herdegen pflanzliche Präparate wie Teufelskralle. Zufriedenstellende Erfolge mit Phytopharmaka bei rheumatischen Erkrankungen seien nicht belegt.

Immunpathologische Vorgänge bei rheumatischen Erkrankungen. Aus der Blutbahn (rechts) wandern T-Lymphozyten in das Gelenk ein und setzen Zytokine frei, die u. a. den Abbau von Knorpel- und Knochengewebe induzieren und als Entzündungsmediatoren fungieren.

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